„We are childfree“: Zoë Noble ist aus freien Stücken kinderlos – und sie ist nicht alleine
Interview Frauen, die ein Leben ohne Kinder selbst gewählt haben, werden noch immer gesellschaftlich stigmatisiert. Die Künstlerin Zoë Noble möchte das mit Porträts und Geschichten der Betroffenen ändern
Zoë Noble fährt im Wohnmobil herum, um Menschen zu fotografieren – gerade in Europa, bald in Amerika
Foto: Zoë Noble
Zoë Noble ist international anerkannte Fotografin und der Kopf hinter dem Projekt „We are Childfree“. Was mit einer Fotoreihe über kinderlose Frauen und ihren Geschichten begann, hat sich zu einem internationalen Social-Media-Phänomen entwickelt.Der Freitag hat sich mit Noble zum Online-Gespräch verabredet. Gerade reist sie mit ihrem Mann und dem Van durch Südeuropa.
der Freitag: Frau Noble, in Ihrem Projekt „We are Childfree“ veröffentlichen Sie die Geschichten von kinderlosen Frauen in den sozialen Medien und auf Ihrer Homepage. Wie kam es dazu?
Zoë Noble: In den Medien werden kinderlose Personen kaum gezeigt, und wenn, dann in einem negativen Kontext: traurig, einsam, egoistisch, unreif. Also dachte ich mir, wenn ich kinderlosen M
tiven Kontext: traurig, einsam, egoistisch, unreif. Also dachte ich mir, wenn ich kinderlosen Menschen ein Gesicht gebe, könnte ich den Leuten zeigen, dass wir keine Monster sind. Wir haben nur einen anderen Weg gewählt. Aus dieser Idee entstand eine Porträtserie. Ich habe etwa 30 Frauen in meinem Studio fotografiert und ihre Geschichten aufgeschrieben. Das war 2018. Die Reaktion auf die Veröffentlichung war unglaublich: Eine Story dazu erschien in der New York Times. Ich bekam Hunderte von Mails und Nachrichten von Menschen aus der ganzen Welt, die sagten: „Ich dachte, ich wäre allein.“ Ich wusste, dass ich weiterhin unsere Geschichten weitergeben musste, weil darin so viel Kraft lag. Inzwischen ist daraus eine globale Gemeinschaft geworden – mit mehr Porträts, Podcasts und Videos.Das Projekt verwendet die Formulierung „childfree“, also „kinderfrei“. Warum denken Sie, dass dieser Begriff besser passt?Zunächst einmal: Wir haben das Wort nicht erfunden. Durch meine Arbeit am Projekt, also mit Ende 30, lernte ich das Wort „childfree“ kennen. Damit hatte ich endlich das richtige Wort, um auszudrücken, was ich bin: Ich bin aus freien Stücken kinderlos. Traditionell wird das Wort „childless“ mit denjenigen in Verbindung gebracht, die sich Kinder gewünscht haben und sie nicht bekommen konnten, sei es wegen Unfruchtbarkeit oder aufgrund anderer Umstände. Doch der Punkt ist: Sie sind unfreiwillig kinderlos. Das Wort ist mit Trauer verbunden.Stimmt.Bei dem Wort „childfree“ geht es nicht um Traurigkeit oder Trauer über etwas, das man vermisst. Es geht um eine Entscheidung. Man wählt den Weg, der sich für einen selbst richtig anfühlt. Denn auch wenn man keine Kinder hat, kann man glücklich sein und ein erfülltes Leben führen. Das Wort ist nicht perfekt, weil es immer noch das Wort „child“, also „Kind“, enthält. Ich denke, es wäre großartig, wenn es ein Wort gäbe, das nichts mit Kindern zu tun hat. Denn wir wollen nicht dadurch definiert werden, dass wir keine Kinder haben. Außerdem können Eltern das Wort „childfree“ auch als Angriff auf ihre Entscheidung sehen. Das wollen wir natürlich nicht.Sie möchten nicht nur darüber definiert werden, dass Sie keine Kinder haben. Aber Sie beschäftigen sich im Rahmen Ihres Projekts vor allem mit diesem Thema. Wie passt das zusammen?Das wird in den Kommentaren tatsächlich häufig gefragt. Die Realität ist, dass das Projekt eine Art Megafon dafür ist, Gleichgesinnte zu finden. Eine Gruppe für Kinderlose ist nicht anders als eine Gruppe für Mütter oder für Eltern. Sicherlich definiere ich mich über meine Kinderlosigkeit – über meine Arbeit und die Erstellung von Content verbringe ich nun viel Zeit damit. Doch es ist wichtige Arbeit, anderen Menschen zu zeigen, dass es viele von uns da draußen gibt und dass wir nicht unnormal sind.Das Projekt begann mit dem Fokus auf Frauen. Werden auch kinderlose Männer einbezogen?Wir teilen auch die Geschichten von Männern und die Geschichten von nichtbinären und trans Menschen. Ich habe das Projekt mit dem Fokus auf Frauen begonnen, weil das eben meine Geschichte war. Auf unserem Social-Media-Kanal sind etwa 95 Prozent unserer Follower*innen Frauen. Aber auch Männer brauchen eine Stimme, denn die Familienplanung sollte nicht allein auf den Schultern der Frauen lasten. Wir brauchen Männer, die aufstehen, uns unterstützen und ihre Stimme erheben.Sie haben bisher einen erstaunlichen Fundus an Geschichten gesammelt. Sehen Sie Ähnlichkeiten bei den eingereichten Storys?Viele Geschichten, die wir erhalten, erzählen von harten Verurteilungen und Stigmatisierungen aus dem Umfeld: Es kann von Arbeitskollegen, von der eigenen Familie, von Fremden oder vom medizinischen Fachpersonal kommen. Sonst sind die Geschichten und die Menschen, die sie erzählen, sehr vielfältig. Wir wollten nicht nur die kinderlose Person zeigen, die im Privatjet um die Welt fliegt und am Strand Champagner trinkt, wie es teilweise dargestellt wird. In Wirklichkeit hören wir vor allem von Menschen, die einfach nur in Ruhe ihr Leben leben und die Freiheit lieben, die ihnen ein kinderloses Leben gibt.Bekommt Ihr Projekt on- und offline Gegenreaktionen?Wir haben überwiegend positive Rückmeldungen erhalten. Als ich das Projekt startete, hatte ich ziemliche Angst, dass wir jeden Tag Hasspost erhalten würden. Denn es gibt da diese Leute, für die unser Konto ein rotes Tuch ist. Sie wollen nicht, dass Frauen sagen: „Ich entscheide für mich selbst, und ich werde meinen eigenen Weg wählen.“ Und mit dem Erstarken von rechtsextremen Parteien wird es immer Menschen geben, die Projekte wie „We are Childfree“ als einen Angriff auf „traditionelle Familienwerte“ verstehen.Mit dem Erstarken von rechtsextremen Parteien werden auch verstärkt die reproduktiven Rechte, insbesondere von Frauen, angegriffen. Haben Sie Angst vor dem, was kommen könnte?Auf jeden Fall. Wir sehen, was in Amerika passiert, seit „Roe vs. Wade“ gekippt wurde. Es ermächtigt und ermutigt Menschen, die dieses Modell gerne in anderen Ländern umsetzen würden. Ich befürchte, wenn bestimmte Parteien an die Macht kommen, werden die reproduktiven Rechte der Frauen als eines der ersten Rechte fallen. Es ist eine sehr beängstigende Zeit.Könnten Communitys wie „We are Childfree“ etwas gegen den Rechtsruck ausrichten?Das ist eine schwierige Frage. Fakt ist: Wir müssen so laut sein, wie wir können. Wir müssen auf die Straße gehen und protestieren. Wenn über etwas abgestimmt werden soll, dann müssen wir abstimmen. Wir müssen uns zusammenschließen und uns gegen die Mächte wehren, die uns unsere Rechte nehmen wollen, egal ob wir Kinder haben oder nicht.Wie geht es weiter mit Ihrem Projekt?Der Plan ist, im Wohnmobil herumzufahren, um Menschen in Europa zu fotografieren. In diesem Jahr möchte ich mehr ältere Frauen fotografieren. Auch die nächste Staffel des Podcasts wird sich auf ältere kinderlose Frauen – in ihren 70ern und 80ern – konzentrieren.Weshalb setzen Sie nun den Fokus auf ältere Frauen?Ich möchte zeigen, dass kinderlose Frauen eine schöne Zukunft vor sich haben können und ihre Entscheidung eben nicht bereuen werden. Wenn man diese Vorbilder in der Welt sieht, ist das wirklich ermutigend. Zum Glück gibt es viele ältere Frauen, die ihre Geschichte erzählen wollen. Und das ist wichtig: Denn das Stigma und die Verurteilung, mit denen sich jemand konfrontiert sah, der sich in den 1950er oder 1960er Jahren dafür entschied, keine Kinder zu bekommen, kann ich mir nicht einmal vorstellen. Danach fahren wir nach Amerika. Wir werden auch dort in unseren Van steigen, Menschen treffen und ihre Geschichten hören. Ich würde gern noch einen Dokumentarfilm über uns drehen, wie wir diese Porträts sammeln. Und schlussendlich noch ein Buch mit den Porträts veröffentlichen. Es gibt also eine Menge zu tun.Placeholder infobox-1
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