Malerei heute: Was fällt uns eigentlich ein, so zu gucken?

Kunsttagebuch „male gaze“ oder auf Deutsch: „männliches Starren“ – ein Phänomen, das zwar immer mehr im künstlerischen Diskurs thematisiert, aber selten für Außenstehende erfahrbar gemacht wird. Anders in einer Ausstellung im Berliner Schinkel-Pavillon
Ausgabe 10/2024
Installation „Jill Mulleady & Henry Taylor – You Me“ im Schinkel Pavillon (2024)
Installation „Jill Mulleady & Henry Taylor – You Me“ im Schinkel Pavillon (2024)

Courtesy the artists, Galerie Neu, Gladstone Gallery, Hudgins Family Collection New York, Hauser & Wirth; Foto: Frank Sperling, 2024.

Wir müssen hier ja weiterhin aufpassen, was wir so schreiben. Denn nicht nur der Berliner Kultursenator, auch die Kulturstaatsministerin Roth hat es angekündigt. Spätestens seit der Berlinale soll ganz genau aufgepasst werden. Selbst auf die Jurys hat man es nun abgesehen, um kulturelle Inhalte kontrollieren zu können – und damit Antisemitismus zu verhindern –, kündigten beide in der Presse an. Also, jetzt bloß nicht auffallen. Nicht provozieren lassen! Lassen Sie uns zu etwas Unverfänglichem kommen: nackte (und Schwarze) weibliche Körper, beziehungsweise der Blick auf diese.

Im Berliner Schinkel-Pavillon werden nämlich gerade Arbeiten der beiden Maler Jill Mulleady und Henry Taylor gezeigt und die beschäftigen sich mit der Darstellung von Körpern in der Kunstgeschichte. Mulleady, 1980 geboren, und Taylor, geboren 1958, sind Freunde, malen hier und da zusammen, tauschen sich aus, über sich, die Welt, die Kunst und beziehen sich zum Teil auf ähnliche Bilder. Marcel Duchamps und Gerhard Richters Darstellungen eines Akts auf der Treppe zum Beispiel. Henry Taylor setzt in dieses wiederkehrende Sujet der Kunstgeschichte eine Schwarze Frau ein und Jill Mulleady malt sich selbst. Vermutlich zumindest. Trittsicher, selbst auf dem Spielbein, den Blick zwar aufgerichtet, aber Augen, als hätte sie etwas sehr Gruseliges gesehen. Hat sie vermutlich auch, nämlich uns. Die Betrachter. Was fällt uns eigentlich ein, so zu gucken?

Wie malt man Menschen mit Respekt? Wie blickt man auf nackte Körper? Wie malt man sich selbst? Darum geht es in diesen Bildern. Und immer auch: Wie war das denn eigentlich alles sonst so? Also früher? In den letzten Jahrzehnten ist viel passiert. Der Diskurs über den sogenannten Male Gaze, die problematische Darstellung von Frauen in der Kunstgeschichte – aber auch der auffällige Mangel von People of Colour im Kunstkanon, die Kritik daran, löst heute kaum mehr Widerspruch aus.

Der Wandel wird auch deutlich, weil die Kuratorin Lina Krämer mit Künstlerin und Künstler noch Werke anderer Künstler ausgewählt hat. Neben den Malereien von Taylor und Mulleady sehen wir ein Bild von Otto Dix, ein anderes von Käthe Kollwitz. Ersterer zeichnete eine getötete Prostituierte (damals hieß das noch so), mit rausgerissenem Darm, weggeknickte Gliedmaße. Daneben zwei kopulierende Hunde. Auch Kollwitz zeigt den Frauenkörper als geschunden. Ein paar Meter weiter hängt ein Bild von Mulleady, in zarten Farben, in ähnlich schutzloser Pose. Oder ist es eine selbstermächtigte (wie man heute sagt)?

Bei Henry sei es sehr interessant, dass er Menschen, die er gut kenne, anders malt, sagt die Kuratorin Lina Krämer. Der Bruder hat Farbfurchen im Gesicht, sein Freund, der Schauspieler Ben Vereen, Gefühle in den Augen, das Bild von Michelle Obama wirkt dagegen reduzierter, als würde er sich zu Intimes nicht anmaßen. Und Mulleady malt manchmal abwesende Menschen. Voyeuristische Blicke in leere Schlafzimmer.

Beide arbeiten mit „drips“ oder Lichtreflexen, zum Beispiel auf Tropfen, um eine zum Blick distanzierende Ebene einzufügen.

Und dann gibt es noch eine raffinierte Skulptur. In der Mitte eines Raumes sind spezielle Glasscheiben aufgestellt, in denen man sich spiegelt, aber auch die Bilder hinter sich. So schauen sie zurück. Oder man läuft in sie rein. So wird die Unverschämtheit des eigenen Blickes fühlbar.

Und dieser Wandel, Auseinandersetzungen wie in dieser Ausstellung, liegt auch daran, dass wir die Unverschämtheit besitzen, Kunst zu machen, Kunst zu gucken. Und wer dabei den eigenen Blick reflektieren kann, der schafft Verbesserung – ganz ohne Kontrolle.

Kunsttagebuch

Laura Ewert ist Kunst-Kolumnistin für der Freitag. Sie schreibt als freie Autorin und Journalistin für Zeit, Monopol, Spiegel Online, Focus Magazin und viele andere. Als Kritikerin bespricht sie Kunst und Musik im Deutschlandradio oder Deutschlandfunk Kultur.

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