Deutschlands ältester Frauenbuchladen: Margarete Stokowski neben Alice Schwarzer
Feminismus Ein undogmatischer Frauenbuchladen in München überlebt seit fast 50 Jahren sämtliche Frauenbewegungen. Nun steht ein Betreiberinnenwechsel an. Ein Besuch
„Wir haben uns nie auf eine Seite geschlagen“, sagt Andrea Gollbach (hier mit Hund Xisca)
Foto: Anna Aicher für der Freitag
Die Einladung in eine andere Welt kommt gelegen: „Was immer Sie sich in Ihrer Fantasie vorstellen, hinter dieser Tür passiert es.“ Mit solch selbstbewusster Verheißung begrüßt der Münchner Frauenbuchladen Lillemors im Szeneviertel Schwabing seine Kundschaft. Die Umgebung ist hektisch, die Straße laut, die Cafés und Shops nervtötend hip.
Lillemors, was im Schwedischen etwa kleine Mutter bedeutet, war der erste Frauenbuchladen, der in Deutschland gegründet wurde – und es ist der einzige, der so lange durchgehalten hat. Seit 47 Jahren gibt es ihn schon. Im November 1975 wagten sechs Frauen den Sprung ins kalte Wasser und gründeten den Frauenbuchladen nach dem Vorbild der Pariser „Librairie des Femmes“.
Sie wollten d
Sie wollten der Literatur von Frauen, für Frauen, über Frauen einen festen Platz in der Welt erkämpfen. Sabine Holm ist eine der Gründerinnen, sie war zuvor bereits als Buchhändlerin in einem Verlag angestellt. „Als wir anfingen, gab es wirklich nichts!“, erzählte sie vor einigen Jahren in einem Interview mit der Münchner Initiative „Themengeschichtspfade“. Sie erinnert sich noch gut daran, wie schwierig es anfangs war, überhaupt Literatur von Frauen zu finden. Das Genre „feministische Literatur“ war noch gar nicht erfunden.Endlich ungestörte TreffenAllerdings war der Frauenbuchladen kein abgehobener Literatursalon, sondern eine Anlaufstelle in turbulenten Zeiten. Hier konnten sich Frauen erstmals ungestört unter sich treffen. Lillemors fungierte dabei weder als Beratungsstelle noch als Politbüro, sondern schlicht als ein Ort der direkten Begegnung. Der Kontakt stellte sich über die persönliche Begegnung her. Man konnte zu den sehr verlässlichen Öffnungszeiten einfach vorbeikommen, sich umschauen, anonym bleiben.Wenn die Frauen sich wohlfühlten, Vertrauen fassten, kamen sie miteinander ins Gespräch, oft spontan und intuitiv. So kam langsam, aber immer vehementer zur Sprache, was davor verschwiegen wurde, auch von den Frauen selbst. Gewalt, Missbrauch und Demütigungen, aber auch Wut, Sehnsucht und die Lust auf eine andere Welt im Hier und Jetzt. Diese Aufbruchsstimmung lockte auch Andrea Gollbach. Sie führt den Laden seit den 1990er-Jahren mit ihrer Kollegin Ursula Neubauer – von den ursprünglichen Gründerinnen ist heute niemand mehr dabei. Mit Anfang 20 kam die heute 64-jährige Andrea Gollbach aus der Nähe von Fulda aus einem „stockkatholischen“ Umfeld nach München und ging schnurstracks in den Frauenbuchladen. „Ich wollte herausfinden, wie ich in die Frauen- und Lesbenbewegung reinkommen kann. Das ging dann schnell“, erzählt sie im Gespräch mit dem Freitag. Erst half sie vier Stunden aus, dann vier Tage, irgendwann war es ein Fulltime-Job und schließlich wurden aus den vier Tagen vierzig Jahre. Sie machte eine Ausbildung zur Buchhändlerin und begleitete Lillemors durch alle Höhen und Tiefen.So wie die Sache mit der unbezahlten Arbeit. Von Anfang an sollten alle bezahlt werden, auch die Aushilfen, erinnert sich Andrea Gollbach. Ein nahezu verrückter Anspruch für solch ein Projekt war das damals. „Wir hatten hier zwischendurch linke Betriebsberater, weil es finanziell so mies war. Die sagten: Seid ihr wahnsinnig, einen solchen Personalaufwand zu betreiben?! Das muss unbedingt weniger werden! Das waren Linke, die uns das empfohlen haben!“, empört sich Gollbach noch heute. Die Frauen wollten aber nicht hinter ihren Anspruch zurückfallen. Sie mussten in all den Jahren permanent einen „Seiltanz auf dem Bankkonto“ vollführen, wie Andrea Gollbach das nennt. Der Laden ging nicht pleite, dank der Beharrlichkeit seiner Betreiberinnen und der treuen Kundschaft.Dass der Münchner Frauenbuchladen die Mitarbeiterinnen von Anfang an entlohnte, führte zu Konflikten mit anderen Frauenbuchläden. „Uns wurde immer wieder vorgeworfen, wir seien ein elitärer Frauenbuchladen aus einer elitären Stadt, weil wir darauf bestanden, nicht unentgeltlich zu arbeiten. Es hieß dann, das sei unpolitisch, wenn man es nicht umsonst macht“, erzählt Andrea Gollbach. Doch davon haben sich die Frauen nicht beirren lassen.Sie blieben unabhängig in der Arbeitsweise – auch was andere politische Positionierungen anging. „Wir wollten offen sein und uns für niemanden verbiegen. Viele der damals üblichen Boykottaufrufe haben wir nicht unterstützt.“ Als später Konflikte mit der Lesbenbewegung aufbrachen, ging der Frauenbuchladen seinen eigenen Weg. „Da gab es Streit in viele Richtungen. Sind Bücher zu sadomasochistischem Sex unter Lesben noch feministisch oder ist das eine patriarchale Ausgeburt? Müsste sich der Frauenbuchladen nicht noch viel stärker oder sogar ausschließlich auf die Lesben konzentrieren? Wir haben uns nie auf eine Seite geschlagen“, sagt Andrea Gollbach. „Selbstverständlich gab es hier immer Lesbenliteratur, wir waren ja selber lesbisch. Aber der Laden sollte für alle Frauen da sein – und beim Feminismus geht’s um mehr als um gelebte Sexualität“.Diese Eigenwilligkeit ist bis heute spürbar. Nicht nur haben die Frauen darauf verzichtet, den Laden einer zeitgeistigen Ästhetik anzupassen. Er ist schlicht, aber wer den Blick über die vielen Regalreihen schweifen lässt, entdeckt allerlei Schätze in einer herzerwärmend undogmatischen Sortierung. Wahrscheinlich gibt es keinen Ort in der ganzen Bundesrepublik, an dem Alice Schwarzer und Margarete Stokowski so entspannt aneinander lehnen, Buchrücken an Buchrücken. In den Regalen findet sich politische Literatur der unterschiedlichsten Richtungen.Ein Wechsel steht anDie Auswahl wird mit wohltuendem historischen Bewusstsein getroffen, das hier nicht erst in den akademischen 1990er-Jahren mit Judith Butler einsetzt, sondern um die Kämpfe der vorherigen Jahrzehnte und Jahrhunderte weiß. Von Büchern zur Schwarzen Botin, einer bissigen, gesellschaftskritischen Literaturzeitschrift der Zweiten Frauenbewegung, bis hin zum kurdischen Feminismus ist alles dabei. Auch ein wenig Belletristik und spirituelle Bücher, Ratgeber, Lyrik und Literatur für Kinder und Jugendliche gibt es.Eine Abteilung wartet mit antiquarischen und vergriffenen Büchern auf, die oft nicht einmal mehr in den Untiefen des Internets aufzutreiben sind. Hier stehen sie ordentlich aufgereiht und warten auf euphorische Entdeckung.Ursula Neubauer, die den Laden seit Jahren mit Andrea Gollbach betreibt, wälzt Hunderte von Katalogen, auch die von kleinen, randständigen Verlagen und überlegt sich bei jedem Titel, ob er zu Lillemors passt. Darauf ist auch Andrea Gollbach besonders stolz: „Soweit ich weiß, hat keine einzige Buchhandlung in der Bundesrepublik einen solchen handverlesenen Katalog, egal ob feministisch oder nicht. Die meisten Buchhandlungen übernehmen einfach die Kataloge der großen Verlage und picken sich die Bestseller-Titel raus. Auf diese Rankings legen wir keinen Wert.“ Stolz ist Andrea Gollbach auch darauf, dass der Buchladen mehrfach ausgezeichnet wurde. „Als wir 1975 angefangen haben, wurden wir belächelt. In drei Jahren ist dieser Hype vorbei und dann seid ihr wieder weg vom Fenster, hieß es.“ Aber der Laden sei genauso wenig totzukriegen wie der Feminismus.Demnächst steht ein Generationenwechsel an. In diesem Jahr soll der Laden an Nachfolger*innen übergeben werden. Andrea Gollbach und Ursula Neubauer blicken mit Zuversicht auf den neuen Abschnitt. Erste Gespräche mit Interessierten, die den Laden im Sinne seiner Entstehungsgeschichte weiterführen wollen, haben bereits stattgefunden. Vorgaben wollen die beiden Veteraninnen der Frauenbewegung ihren Nachfolger*innen nicht machen.„Wenn ich mir vorstelle, ich würde so einen Laden übernehmen – da hätte ich ja auch keine Lust, dass zwei Oldies hinter mir sitzen und mir die ganze Zeit sagen, wie es zu laufen hat. Wir wären geschmeichelt, wenn man auf unsere Erfahrung zurückgreift. Wir hoffen einfach, dass es weitergeht und der Laden mit seiner historischen Bedeutung erhalten bleibt“, sagt Andrea Gollbach. Was immer sich die nachfolgende feministische Generation in ihrer Fantasie vorstellt, hinter den Türen von Lillemors könnte es auch in Zukunft einen Anfang nehmen.Placeholder infobox-1
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