Kein Elterngeld für Reiche: Klassenkampf im Kinderzimmer
Elterngeld Weniger Geld vom Staat für Menschen, die mindestens 150.000 Euro Jahreseinkommen haben? Dagegen protestiert eine Petition. Deren Initiatorin ist keine Unbekannte: Sie saß bis 2019 im Wirtschaftsforum der FDP und spendete für die Partei
Aus dem Fotoalbum eines Paares mit mehr als 150.000 Euro Jahreseinkommen, entstanden bei deren Weltreise während der Elternzeit
Foto:Sasha Gulish/ Getty Images
Am 5. Juli hat das Kabinett den Bundeshaushalt 2024 beschlossen. Zwei Tage davor startet eine Petition mit dem Titel „Nein zur Elterngeld-Streichung“. Sie bezieht sich auf einen Artikel des Spiegel vom 3. Juli über die vom Bundesfamilienministerium geplante Verkleinerung des Berechtigtenkreises beim Elterngeld. Das Ministerium macht nur 2,85 Prozent des Gesamthaushalts aus, dennoch kürzt Finanzminister Christian Lindner (FDP) hier. Das ist bemerkenswert, denn Deutschland sieht sich massiven Herausforderungen durch seine alternde Bevölkerung gegenüber. Am vergangenen Freitag wurde deshalb ein Gesetz zur qualifizierten Einwanderung beschlossen, das die Fachkräftestrategie der Bundesregierung stützt. Sie schreibt auf ihrer Webseite: „Gleichzeiti
ten Einwanderung beschlossen, das die Fachkräftestrategie der Bundesregierung stützt. Sie schreibt auf ihrer Webseite: „Gleichzeitig gilt es, alle inländischen Potenziale zur Fachkräftesicherung auszuschöpfen – etwa die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren zu erhöhen.“Lisa Paus will keine Elterngeld-Kürzung für alleUm mehr Frauen in Vollzeit beschäftigen zu können, müssen sich die Bedingungen für Frauen ändern. Dass ihre Vollzeitbeschäftigung eng mit den staatlichen Ausgaben für Familien zusammenhängt, ist leicht zu verstehen. Lindner kürzt trotzdem um 218 Millionen Euro. Eine Sprecherin von ihm sagt dazu in der Bundespressekonferenz vom 5. Juli, dass die Ressorts frei gewesen wären in ihrem eigenen Ermessen, Prioritäten zu setzen. Allerdings gab es eine Forderung des Hauses von Lindner an das Familienministerium, „im Rahmen der Aufstellung des Regierungsentwurfs die dynamische Steigerung der Kosten des Elterngeldes zu stoppen“. Also doch nicht frei.Die Ausgaben für das Elterngeld sind im vergangenen Jahr von 7,6 auf 8,3 Milliarden Euro angestiegen. Die grüne Familienministerin Lisa Paus reagierte auf die Forderung mit der Verkleinerung des Kreises der Bezugsberechtigten und verzichtete auf Beitragskürzungen für alle. Unter den schlechten Voraussetzungen sei diese Entscheidung die am wenigsten schlechte für alle. Nicht mehr anspruchsberechtigt sind nach der neuen Regelung Paare und Alleinerziehende, die mindestens 150.000 Euro zu versteuerndes Einkommen haben.Die Chefin der IG Metall ist auch gegen die Elterngeld-StreichungDie Petition „Nein zur Elterngeld-Streichung“ richtet die Initiatorin und Unternehmerin Verena Pausder direkt an Paus. Darin wird argumentiert, dass die geplante Veränderung ein massiver Rückschritt für die Gleichstellung sei und Paaren mit mindestens 150.000 Euro Jahresverdienst ein „Wohlstandsabfall“ drohe. Die Petition erreicht innerhalb weniger Tage 500.000 Unterschriften. IG-Metall-Chefin Christiane Benner argumentiert, dass Frauen im Durchschnitt weniger als die Hälfte von dem verdienen, was Männer bekommen und „Väter auch aufgrund der hohen Inflation und damit verbundenen Kosten weniger oder gar keine Elternzeit nehmen“.FDP-Fraktionschef Christian Dürr hält die geplante Einschränkung für falsch vor dem Hintergrund der Gleichstellung von Mann und Frau. Petitionsinitiatorin Verena Pausder lobt auf ihren Social-Media-Kanälen die Unterzeichner*innen mit den Worten, die Mitte der Gesellschaft sei wieder da, und weist darauf hin, Lindner habe bei seiner Pressekonferenz am Mittwoch gesagt, dass man über das Elterngeld noch mal reden müsse. Von der „Mitte der Gesellschaft“ kann allerdings keine Rede sein. Rechnerisch hat die pro Haushalt durchschnittlich nur knapp 60.000 Euro brutto im Jahr zur Verfügung, nicht 150.000 Euro. Frauen verdienen laut Equal Pay Gap 18 Prozent weniger als Männer: Aufgrund von schlechterer Bezahlung in sogenannten Frauenberufen, durch Teilzeit und Diskriminierung. Aus diesen Gründen, aber auch weil es gesellschaftlich von ihnen gefordert wird, bleiben Frauen eher zu Hause, wenn ein Kind kommt.50.100 Euro spendete Verena Pausder an die FDPDas Elterngeld, das unter anderem die Situation für Frauen verbessern sollte, hat in der Realität kaum etwas für die Gleichstellung von Mann und Frau gebracht. Nur 1,6 Prozent der erwerbstätigen Väter, deren jüngstes Kind unter sechs Jahre alt ist, nahmen 2021 Elternzeit, gegenüber 25,3 Prozent der Mütter. Das als Argument für den Erfolg von Gleichstellung anzuführen, ist nahezu substanzlos. Der wesentliche Hebel für Gleichstellung der Geschlechter liegt in der besseren Bezahlung von Frauen. Aber dafür müssten sich Arbeitgeber und Männer bewegen. Eine Forderung, die von Lindner und Co. kaum zu erwarten ist. Stand Dezember 2021 sind nur 20,1 Prozent der FDP-Mitglieder weiblich. Vielleicht kommt den Liberalen die Petition deshalb so recht. Sie bietet die Chance, Kürzungen beim Elterngeld zu fordern, die Umsetzung aber dem Familienministerium zuzuschieben. Die FDP und Verena Pausder kennen sich. Bis 2019 saß sie im Wirtschaftsforum der Partei. Zwei Jahre zuvor, im August, ging laut abgeordnetenwatch.de eine Großspende von ihr über 50.100 Euro bei der FDP ein.Abgesehen davon hinkt die Argumentation der Gleichberechtigung, wenn sie sich nur auf Frauen und Männer bezieht. Gleichberechtigung heißt, alle Diskriminierungsformen zu betrachten: Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Klasse, Zuwanderungsgeschichte und Behinderung. Die Forderung, dass Paare mit 150.000 Euro elterngeldberechtigt bleiben, dient den Reichen. Ihr zweitliebstes Argument: Sie hätten besonders hart gearbeitet für ihr Geld. Im Umkehrschluss sind arme Leute arm, weil sie weniger hart arbeiten. Das ist Klassismus auf dem Silbertablett. Paaren, die Bürgergeld beziehen, wird das Elterngeld als Einkommen davon abgezogen. Das Einsparen bei denen, die viel haben, damit die, die weniger haben, keine Elterngeldkürzungen hinnehmen müssen, ist solidarisch im Sinne echter Gleichberechtigung. Natürlich wäre es schöner, wenn das Familienministerium mehr Budget zur Verfügung hätte. In der aktuellen wirtschaftlichen und demografischen Lage an Familien zu sparen ist absurd.Lars Klingbeil will das Ehegattensplitting abschaffenSich angesichts des beschlossenen Haushalts aber über das Was-wäre-wenn auszulassen, ist politischer Whataboutism. Klug gewesen wäre es, sich direkt mit einem Vorschlag zur Verbesserung der Lage für alle einzusetzen – zum Beispiel für die Abschaffung des Ehegattensplittings. Diese fordern Expertinnen seit Jahren, auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) belegte wiederholt die Vorteile. Das übernimmt jetzt verspätet SPD-Chef Lars Klingbeil und fordert: „Ehegattensplitting abschaffen statt Elterngeld kürzen.“ Die FDP amüsiert das gar nicht, dadurch würden indirekt Steuern erhöht.Der viel größere Brocken wartet auf die Ampel noch mit der für 2025 geplanten Kindergrundsicherung, für die seltsamerweise keine wohlhabende Person Reichweite und politischen Einfluss nutzt, um die Gleichberechtigung von Armen voranzutreiben. Lindner parkt dafür im Haushalt nur zwei Milliarden Euro, obwohl Lisa Paus 12 Milliarden fordert. Der Streit wurde auf die Sommerpause verlegt. Erst danach ist eine Einigung zu erwarten. Um den gesellschaftlichen Disput um das Elterngeld beizulegen, können Eltern ihren Kindern eine simple Aufgabe stellen. Zwei werdende Elternpaare: eines hat 15 Äpfel, das andere sechs. Beide Paare arbeiten gleich viele Stunden, aber ein Paar verdient trotzdem weniger Äpfel. Welchen werdenden Eltern würdest du einen weiteren Apfel geben, wenn sie ein Kind bekommen? Dem Paar mit 15 Äpfeln oder dem mit sechs?Placeholder infobox-1