Über Theaterwissenschaftler Hans Knudsen: „Er sah in der Deutschen Revolution eine Chance“
Interview Hans Knudsen war 1948 Mitgründer des Instituts für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Vorher arbeitete er für Joseph Goebbels. Jan Lazardzig erforscht die NS-Vergangenheit des Theaterwissenschaftlers
„Das zieht sich als roter Faden durch, dieses Führer-und-Gefolgschafts-Verhältnis.“ Hans Knudsen mit Student:innen 1943
Foto: Charlotte Willot/Ullstein
Noch weit bis in die Nachkriegszeit prägten Personen die Welt des Theaters und der Theaterwissenschaft, die Karriere im Nationalsozialismus gemacht hatten. Einer davon war Hans Knudsen, einst Assistent des Gründers des Theaterwissenschaftlichen Instituts an der Berliner Universität, Max Herrmann. Während Herrmann in Theresienstadt starb, avancierte Knudsen zum einflussreichen Theaterfunktionär und Professor und gründete nach dem Krieg das Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin (FU) mit. Er prägte das Kulturleben der jungen Bundesrepublik, doch heute kennt ihn kaum noch jemand. Der an der FU arbeitende Professor Jan Lazardzig hat Knudsens Leben erforscht.
der Freitag: Herr Lazardzig, Hans Knudsen hat als Wissenschaftler
Hans Knudsen hat als Wissenschaftler nicht viel hinterlassen und ist in seinem eigenen Fach heute vergessen. Warum sollte man sich trotzdem für ihn interessieren?Jan Lazardzig: Das ist genau die Kernfrage, an der ich auch viele Jahre verzweifelt bin. Warum beschäftigst du dich mit dieser letztlich mediokren oder zumindest aus heutiger Sicht nicht erinnerungswürdig scheinenden Person? Ein Grund ist für mich erst mal, dass es eine für die Geschichte des Fachs Theaterwissenschaft wichtige Person ist, weil es eine Gründungsfigur ist und eine, die im Prinzip lange Zeit beschwiegen wurde, in ihrer Zeit aber unglaublich viele Menschen fasziniert, beschäftigt und ausgebildet hat. Man kann sagen, dass die ganze Nachkriegsgeneration an Theater-, Kultur-, Filmkritik irgendwie mit dieser Figur Knudsen verbunden ist. Darüber hinaus ist es für mich eine Provokation, über so einen Fall eines Mitläufers, eines Opportunisten, eines in seiner Zeit aber auch hoch angesehenen und sehr verehrten Menschen, der immer so was wie eine Diskursfähigkeit hatte, nachzudenken.Es geht also nicht so sehr um ihn als Person, sondern darum, wofür er steht? Heißt das Buch deshalb „der Fall Knudsen“ und nicht „Biografie“?Ich habe mich lange von dieser Idee der Biografie emanzipieren müssen, denn es ist ein Fall, ja. Und das Buch beschreibt im Prinzip die Fallwerdung. Wann wird jemand zum Fall? In dem Moment, wo etwas problematisch erscheint. Der Fall Knudsen wird das erste Mal auf größerer Bühne greifbar in einer Veröffentlichung von Joseph Wulf Anfang der 1960er. Wulf beschäftigt sich in einer Publikationsreihe mit großteils noch lebenden und zur Funktionselite der BRD gehörenden Akteuren und deren Wirken in der NS-Zeit. Da gräbt er auch Mitläufer und Opportunisten aus, darunter Hans Knudsen.Knudsen ist ja kein glühender Anhänger des Nationalsozialismus. Ihm gelingt es vielmehr,auf Grundlage einer konservativen, antimodernen Gesinnung, alle Systemwechsel zu überstehen und für sich zu nutzen. Ist das etwas Exemplarisches?Ja, aber das ist gar nicht so schnell greifbar. Dieses antimoderne Denken ist ja nichts per se Schlechtes. Aber hier zeigt es sich in antisemitischer Gestalt, und zwar nicht im Sinne eines notwendigerweise völkischen Antisemitismus, sondern zunächst als kultureller Antisemitismus. Der lässt es zu, mit Juden im Alltag umzugehen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, sich einen als Mentor zu wählen. Aber gleichzeitig wird alles, was in der modernen Gesellschaft als Fehlentwicklung angelegt zu sein scheint – das Auflösen von Traditionen, ein Verlust der Deutungshoheit angesichts moderner Kunst- und Kulturentwicklung –, sehr schnell mit jüdischen Tropen belegt. Und das ist sehr typisch, das ist mehrheitsfähig vom Kaiserreich ohne großen Bruch bis in die 1960er Jahre.Gehen wir doch ein wenig auf die Biografie ein. Wer war Hans Knudsen?Er kam aus einem bürgerlichen Beamtenhaushalt im preußischen Posen, einer damals stark segregierten Stadt, mit einer deutschen Minderheit, die in Führungspositionen war, und einer polnischsprachigen Mehrheitsgesellschaft, die sich in der Minderheitenrolle befand. Knudsen studierte dann Deutsch und Geschichte in Greifswald, um Lehrer zu werden, und ging später nach Berlin. Dort traf er am Germanistischen Seminar unter anderem Max Herrmann, dem als Juden die ordentliche Professur verwehrt blieb und der gewissermaßen Knudsens Mentor wurde. Nach der Dissertation 1908 begann er, als Lehrer und Theaterkritiker zu arbeiten.Max Herrmann gilt als einer der Begründer der Theaterwissenschaft. Welche Rolle spielte dabei Knudsen?Knudsen setzte sich nach Republikgründung sehr stark für die Einführung dieses neuen Faches ein, für das Herrmann 1919 einen Antrag gestellt hatte, unter dem sozialdemokratischen Bildungsminister. Der wurde 1923 genehmigt und Knudsen wurde Herrmanns Assistent. Man kann sagen, dass diese Theaterwissenschaft ein Stück weit eigentlich der Revolution zu verdanken ist. Anders wäre das nicht denkbar gewesen, ein solches stärker praxisorientiertes Fach einzuführen.Was passierte dann 1933, wie gelang es Knudsen, dem Assistenten eines jüdischen Professors, sich anzupassen?Knudsen war 1932 eigentlich schon raus aus dem Universitätsbetrieb. Er hatte Aufbauarbeit geleistet, kam aber über den Posten des Assistenten nie hinaus. Und er sah dann in der Deutschen Revolution gewissermaßen seine große Chance. Da geht ihm auf, dass er sich thematisch ganz auf der Linie dessen bewegt, was der NS sich dann zu eigen gemacht hat als Theaterpolitik. Und das ist wiederum etwas, was strukturell an den Universitäten zu beobachten ist, dass durch das Ausstoßen von jüdischen Gelehrten eine ganze Generation von bislang aus inhaltlichen Gründen nicht berücksichtigten deutschen Wissenschaftlern auf Posten kommt.Er arbeitete dann zunächst fürs Propagandaministerium. Goebbels erließ 1936 das sogenannte Kritikverbot, wonach Kunstwerke nicht mehr beurteilt, sondern nur emphatisch unterstützend im Sinne der völkischen Ideologie gedeutet werden durften. War das kein Problem für den Theaterkritiker Knudsen?Im Gegenteil. Knudsen setzte das Kritikverbot in der Zeitschrift Die Bühne, dem Organ der Reichstheaterkammer, durch und propagierte es in vielfältiger Weise. Schon 1935 hatte er das Buch Wesen und Grundlagen der Theaterkritik geschrieben, wo er vertrat, was dann wenige Monate später zum Kritikverbot wurde. Und da ist er ganz stringent, das fordert er im Prinzip seit den 20er Jahren.Er plappert Goebbels also nicht einfach nach.Genau, das ist auch, warum er gefördert wird. Er beglaubigt die NS-Erzählung eines verrotteten jüdischen Weimarer Theaters. Er hat das schon in der Weimarer Zeit geschrieben, und solcher Leute bedarf es in der Aufbauzeit, um den NS glaubhaft zu machen.Seine Bemühungen wurden gekrönt mit einer Professur von Hitlers Gnaden. Gibt es Hinweise darauf, dass er von den Verbrechen wusste? Immerhin starb sein Mentor in Theresienstadt.Er beschreibt in einem Brief an eine Freundin Max Herrmanns, wie leid es ihm getan hätte, Max Herrmann in der Bibliothek mit Judenstern zu sehen. Dazu muss man wissen, Max Herrmann war der Eingang in die Staatsbibliothek zwar noch erlaubt, er durfte aber die öffentlichen Transportmittel nicht verwenden, sodass er da nach anderthalb Stunden Weg erschöpft als Mitte 70-Jähriger in der Bibliothek war, sich aber auch nicht setzen durfte und dem Wohlwollen der ihm sehr bekannten Mitarbeiter ausgeliefert war.Daraus folgt nichts für Knudsen?Nein. Das wird erwähnt, aber in dem Sinne, dass man doch mit ihm, Hans Knudsen, Mitleid haben muss, weil er selber wiederum an dem entsetzlichen Schicksal nichts hat ändern können. Bücher für ihn zu entleihen, scheint er gar nicht erwogen zu haben. Und das Wissen um die Verbrechen, davon kann man einfach ausgehen. Der ganze Theatersektor ist mehr oder weniger judenfrei – und das, obwohl Juden in diesem Bereich zuvor vergleichsweise überrepräsentiert waren. Wenn man das miterlebt, denke ich, hat man ausreichend Wissen darum, was passiert.Wie kann es sein, nach all dem, dass Knudsen 1948 an der Freien Universität Professor wurde?Es herrschte ein gewisser Pragmatismus, und Knudsen brachte ein Netzwerk mit, geformt durch seine Tätigkeit fürs Reichspropagandaministerium. Er brachte auch eine Bibliothek mit, aus alten Beständen des Instituts, geplündert und aus dem Osten entwendet. Und er lässt sich, das ist seine Strategie, von seinen Anhängern, also von seinen Schülern, vorschlagen. Das zieht sich als roter Faden durch, dieses Führer-und-Gefolgschafts-Verhältnis. Auf einer diskursiven Ebene kann es gelingen, weil der philosemitische Diskurs der Nachkriegszeit im Prinzip eine Umkehrung des antisemitischen Diskurses ist. Ihm kommt sehr zupass, dass er der Schüler des Fachgründers war, der im Konzentrationslager umgekommen ist. Und diese Karte spielt er aus.
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