Gefangen im Flaschenhals

Forschernachwuchs Immer mehr wissenschaftliche Mitarbeiter sind prekär beschäftigt
Ausgabe 08/2017
Auch Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) übt sich in alternativen Fakten
Auch Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) übt sich in alternativen Fakten

Foto: Ipon/Imago

Die Bildungsministerin fand eine aparte Überschrift: „Wissenschaftliche Karrieren werden immer attraktiver“. So steht es in der Pressemitteilung Johanna Wankas (CDU) über den sogenannten Mittelbau der Hochschulen. Dabei ist das Gegenteil richtig. Die Karrieren in der Wissenschaft werden immer prekärer, anstrengender – und kinderloser.

Das einzig Positive in dem „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs“, der von diversen Hochschulforschern erstellt wird, ist der Zuwachs: vom Jahr 2000 bis 2014 stieg die Zahl der Nachwuchswissenschaftler um 76 Prozent, von 82.400 auf nahezu 145.000 – eine gigantische und erfreuliche Ausweitung. Zu den Nachwuchsforschern zählt, wer promoviert oder als „Postdoc“ hauptberuflich wissenschaftlich an der Hochschule oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung arbeitet.

Eine zweite Zahl verdeutlicht, warum es mit der Attraktivität nicht so weit her ist: Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Professuren um ganze 21 Prozent. Das bedeutet: Der Ansturm auf die Hochschulen wird auf dem Rücken befristet Beschäftigter ausgetragen. Diese „Flaschenhalsproblematik“ – immer mehr Nachwuchsforscher stehen einer relativ abnehmenden Zahl an Professuren gegenüber – hat sich nun also weiter verschärft.

Damit geht eine gefährliche Prekarisierung junger Wissenschaftler einher. 93 Prozent befinden sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Über die Hälfte dieser Verträge haben eine Laufzeit von unter einem Jahr. Und diese Zahl steigt dauernd.

Ursachen gibt es dafür viele. Die wesentliche steht auf Seite 52 von 296 des Nachwuchsforscherbreviers: Die Grundfinanzierung der Hochschulen hat sich im Untersuchungszeitraum deutlich verschlechtert. Im Jahr 2000 kamen nur 22 Prozent der Gelder an den Unis aus sogenannten Drittmitteln, also von großen Zuschussgebern wie der DFG oder der Industrie. Im Jahr 2014 waren es bereits 38 Prozent. Wenn man sich ansieht, dass sowohl die Industrie als auch der Bund ihre Hochschulausgaben um 150 Prozent gesteigert haben, weiß man, wo das Problem liegt: Die Länder kommen mit der Finanzierung dessen, was sie gerne als ihre Kernaufgabe bezeichnen, nicht mehr hinterher.

Die Auswirkungen auf die jungen Forscherinnen und Forscher sind massiv. Ein Beispiel: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Kein Wunder, dass die Autoren der Studie bei Nachwuchswissenschaftlern besonders viele „endgültig Kinderlose“ feststellen – mehr als bei anderen Hochschulabsolventen. Bei Letzteren wird dieser Wert auf 25 Prozent geschätzt, bei Wissenschaftlerinnen beträgt er 49 Prozent, bei deren männlichen Kollegen beträgt er immerhin 42 Prozent. Gleichzeitig konstatiert die Studie eine hohe Kinderwunschquote. Was passiert also?

Auch hier keine Überraschung: 52 Prozent geben an, den Kinderwunsch aufgrund zu geringer Planungssicherheit aufzuschieben, 44 Prozent nennen finanzielle Gründe. Bei Frauen liegt der Anteil jeweils etwas höher. Besonders eklatant fällt dieser Unterschied bei der „beruflichen Etablierung“ ins Auge: Sie verhindert bei 51 Prozent der Frauen den Nachwuchs.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka gibt sich zerknirscht. In Zukunft will sie mehr auf „Tenure Track“-Professuren setzen. Sie ermöglichen, auf befristete Verträge eine Lebenszeitprofessur folgen zu lassen, um so die Planbarkeit zu verbessern. Die letztes Jahr verabschiedete Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wird sich noch bewähren müssen. Befristungen sollen nun der „angestrebten Qualifizierung“ angemessen sein.

Doch mit Gesetzesänderungen wird es nicht getan sein. Die geringere Wertschätzung von Kultur- und Geisteswissenschaften zeigt, dass es einen Mentalitätswandel braucht. Die Ausrichtung der Hochschulen auf eine Rolle als Zulieferer der Wirtschaft macht aus den Geisteswissenschaften ungeliebte Stiefkinder, die zunehmendem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sind. Sie leiden am meisten unter der Prekarisierung.

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