Vier Freunde treffen sich zum Abendessen, es gibt krossen Vogel, Rotwein, dazu geschmackvolle Musik. Die vier üben alle kreative oder intellektuelle Berufe aus: Lukas (David Ruland), der Gastgeber, ist Dokumentarfilmer, Maria (Carolin Haupt) Lehrerin, Orest (Yurii Radionov) Schauspieler, Anastasia (Maryna Klimova) ist juristisch tätig. Sie treffen sich in einer Altbauwohnung in Berlin, Flügeltüren, Dielenboden (Bühne: Jan Pappelbaum). Soweit nichts Ungewöhnliches. Doch schon als Maria und Orest, die ein Paar sind, bei Lukas eintreffen, geht es sofort hoch her: Orest hat auf eine Rolle verzichtet, weil an dem Projekt Russen beteiligt sind – für ihn als Ukrainer ein Ausschlusskriterium. Lukas kann diese Unterordnung des Individuums unter nationale Int
Interessen nicht nachvollziehen.Damit ist das Spannungsfeld von Postkarten aus dem Osten an der Schaubühne eröffnet. Fortan bewegen sich die vier durch den gesamten Diskursraum zum Ukrainekrieg: Wie weit muss die deutsche Unterstützung für die Ukraine gehen? Was wird aus dem Pazifismus? Ist es feige, als Mann aus der Ukraine geflohen zu sein? Darf man über die Verstrickungen der Ukraine in den Nationalsozialismus sprechen, wenn die Geschichte von Putin instrumentalisiert wird? Das sind nur einige der Fragen, die hier in etwas unter zwei Stunden zur Sprache kommen.Gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und ZukunftDie vier Figuren haben sich vor zehn Jahren in Mariupol kennengelernt, gerade, als Russland zum ersten Mal versuchte, sich diese Hafenstadt am Asowschen Meer einzuverleiben. Von dieser Zeit zehrt die Freundschaft bis heute; lange bestand sie nur aus gelegentlichen Zusammenkünften, doch die Invasion Russlands hat Orest und Anastasia nach Berlin gespült, wo sie nun wütend und hadernd auf den Krieg zu Hause blicken müssen.Bald wird klar, dass die vier nicht vollzählig sind. „Lukas, stellst du nicht einen fünften Teller dazu?“, fragt Maria. „Willst du das immer noch machen?“ Sie will. Denn Mischa, mit dem Anastasia verheiratet ist, scheint an der Front zu sein, oder verschwunden, oder an der Front verschwunden, das wird nicht ganz klar. Er markiert jedenfalls eine Leerstelle, eine Wunde, die allen hier in der Seele klafft.Das Stück von Pavlo Arie, Martín Valdés-Stauber und Ensemble, das in der Regie von Stas Zhyrkov an der Schaubühne in Berlin zur Aufführung kommt, wurde im Rahmen eines Projekts entwickelt, das von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) gefördert wird. Um es vorsichtig zu formulieren: das merkt man. Das Abendessen, ja die ganze Handlung, scheint hier nur ein Gerüst zu sein, an das der Diskurs gehängt wirkt. Das wird schon durch den Zeitraffer deutlich, in dem immer wieder durch den Abend gespult wird, durch das Gesellige durch, hin zum Ernsten. Mit zunehmender Trunkenheit nimmt die Emphase zu, die Argumente und Zahlen sitzen dennoch präzise. So zum Beispiel, wenn Anastasia auch zu fortgeschrittener Stunde (im Stück) noch genau weiß, wie viele Ukrainer an den Untaten der Nazis beteiligt waren und wie viele Opfer dies wann forderte.Wozu solches Theater, wenn man auch zum Kiosk gehen kann?Die vier Protagonisten wirken so mehr wie Typen, denn wie Persönlichkeiten. Insbesondere in den Monologen, die sie an das Publikum richten, wird der pädagogische Impetus des Stücks mehr als deutlich. Als habe man die Kommentarspalten von FAZ, SZ, taz und vielleicht auch dem Freitag genommen und jedem eine Position zugeteilt: Lukas der abgeklärte Beobachter, Orest der wütende Patriot, Maria die leidende Pazifistin, Anastasia die von Ambivalenz zerrissene Jüdin. Derlei politisches Theater ist indes wenig mehr als die Fortsetzung des Leitartikels mit anderen Mitteln. Nur: Wozu Theater, wenn man auch zum Kiosk gehen kann?Dem Spiel der vier Darsteller:innen ist zu verdanken, dass man trotzdem nicht vorzeitig den Saal verlässt. Vor allem Radionov und Klimova scheinen die Figuren nur wie eine dünne Haut aufzuliegen; die Wut und Emphase nimmt man den beiden ukrainischen Schauspielenden fraglos ab. Allein, in einem Stück, das auf Figurenentwicklung, statt auf Verlautbarung gesetzt hätte, wäre ihr Können noch schöner zum Tragen gekommen.