Schreiben lassen

#FreeDeniz Seit einem Jahr im Gefängnis und trotzdem weitergearbeitet: Deniz Yücels neues Buch "Wir sind ja nicht zum Spaß hier" zeigt, was Journalismus kann
Schreiben lassen

Bild: Montage der Freitag

Dummrumsitzen nennt Deniz Yücel das, was er im Gefängnis in der Türkei macht. Ganz kann das nicht stimmen, denn das Zweitschlimmste nach dem Rauchverbot – die Unmöglichkeit, seinen Job zu machen – hat er zu umgehen geschafft. Als vor einem Jahr, zwei Wochen nach seiner Verhaftung, in der Welt ein Text erschien, in dem er die Haftbedingungen schilderte, blieb die Frage, wie er diesen verfassen konnte, zunächst im Unklaren. In einer Vorbemerkung, die diesem „Haftprotokoll“ nun voran gestellt wurde, erzählt er es: Bei einer Leibesvisitation stibitzte er einem Arzt den Stift und als Papier musste ein Buch herhalten, das glücklicherweise mit großzügigen Weißräumen gestaltet ist: die türkische Ausgabe von Der Kleine Prinz. Und um zu unterstreichen, dass er sich seinen Job nicht nehmen lässt, wurde der einleitende Satz des Haftprotokolls – „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ – nun zum Titel seines neuen Buches, das heute im Nautilus-Verlag erscheint.

Es beginnt mit einem Ende, das an den Anfang erinnert. Anlässlich seines Abschieds aus der taz-Redaktion erinnerte sich Yücel an sein erstes Redaktionspraktikum, bei der Main-Spitze. Die Chronologie mag verwirren, die verschiedenen Texte stammen aus verschiedenen Phasen seiner Arbeit, mal bei taz, mal bei Jungle World, mal bei der Welt. Doch die sorgsame Anordnung ist gelungen. Seine langjährige Vertraute Doris Akrap fungiert als Herausgeberin, wählte in mühsamer Kassiber-Arbeit mit ihm die Texte aus und wühlte sich durch die 400 Seiten handgeschriebenen Anmerkungsapparats, den er mithilfe seine Anwälte übermittelte. So berichtet es die taz-Redakteurin im Vorwort.

Natürlich ist Yücel ein guter Journalist. Zeugnis davon legen nicht zuletzt die einen Großteil des Buches einnehmenden „Texte aus der Türkei“ ab. Doch Yücel – und das unterscheidet einen guten Journalisten von einem guten Autoren – war stets auch ein guter Polemiker; seine scharfen Satiren und Kommentare haben nicht nur ihm verlässlich Ärger eingehandelt, sondern nicht selten auch den Verlagen, für die er arbeitete. Justitiable Texte finden sich natürlich nicht in der Sammlung, dafür der Lobgesang Super, Deutschland schafft sich ab, im August 2011 in der taz erschienen. Ein Text, der ihm bis heute den Hass deutscher Nationalisten sichert. Laut Herausgeberin ist Yücel ein Fan, vor allem der Menschen – der Grund dafür, dass er so bissig über die Deutschen schreiben kann, ist nicht der Hass auf ein Volk, sondern der Traum davon, das alles auch anders – eben: besser – sein könnte. Und sollte.

Die Untrennbarkeit des Himmels

Dieses Engagement, diese Leidenschaft für die bessere Welt, ist es letztlich auch, was einem Journalisten erlaubt, die Distanz zu wahren. Der kluge Journalist ist ein enttäuschter Idealist, der die Hoffnung nicht aufgeben will. Wenn Yücel über Taksim oder Gezi schreibt, dann mit der Faszination für die Solidarität der Aufständischen, wenn er den PKK-Anführer Cemil Bayık interviewt, dann mit dem Abstand des kritischen Beobachters. Letzteres ist übrigens einer der acht Texte, die ihm die Staatsanwaltschaft vorhält, als Beweis für seine Unterstützung der PKK. Ob da was dran ist? Da hilft nur eins: selber lesen.

Ja, und dann sind da die Texte aus der Haft, darunter einer, der bis dato unveröffentlicht war. Ebenso neu ist ein Beitrag seiner Frau, der Fernsehproduzentin Dilek Mayatürk, eine kurze, poetische Erinnerung an die Untrennbarkeit des Himmels. Yücel sinniert über die (Un-)Möglichkeit eines Gefängnisromans, wenn man meistens in Einzelhaft ist. Eine Ankündigung? Hoffentlich, denn Deniz ist ein guter Autor. Doch dafür muss man ihn schreiben lassen. Er berichtet von Begegnungen in der Haft und denkt über die Hintergründe nach, sein Dasein als Geisel eines Regimes, das, „halb Teppichhändler aus Kayseri, halb İstanbuler Parkplatzmafia“, um ihn feilschen will. Die Äußerung des türkischen Premierministers Binali Yıldırım, er hoffe, Yücel komme bald frei, muss man in diesem Kontext natürlich mit der Meldung in Verbindung bringen, dass der Panzer-Deal zwischen Bundesregierung, Rheinmetall und Türkei wohl längst eingetütet ist. Ein Vorgehen, dem sich Deniz Yücel stets verwehrt hat. Besser: einfach freilassen.

Deniz Yücel sitzt seit einem Jahr zu Unrecht in der Türkei im Knast. Tausende mit ihm

Lesen Sie mehr zum Thema in der aktuellen Ausgabe des Freitag

Info

Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte Deniz Yücel, Doris Akrap (Hrsg.) Edition Nautilus 2018, 224 Seiten, 16 €

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

Leander F. Badura

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