War es in jedem Fall Unrecht, im nationalsozialistischen Deutschland in einem Konzentrationslager einzusitzen? Über sieben Jahrzehnte nach dem alliierten Sieg mag es abstrus anmuten, diese Frage zu stellen. Doch das spontane „Ja“ auf sie bleibt im Hals stecken angesichts des Befunds, dass eben nicht allen Opfergruppen des Nationalsozialismus die Anerkennung als solche widerfährt. „Berufsverbrecher“ und „Asoziale“ wurden von den Nazis zu Zehntausenden eingesperrt, misshandelt, ermordet und zur „Vernichtung durch Arbeit“ freigegeben. Bekannt ist das kaum, Entschädigungen gab es nur in sehr wenigen Fällen.
Das soll sich ändern. Nachdem der Sozialwissenschaftler Frank Nonnenmacher Anfang vergangenen Jahres eine Petition gestartet und die Grünen im Herbst einen interfraktionellen Antrag im Bundestag gestellt hatten, ist nun die letzte Hürde genommen: Die Unionsfraktion hat ihre Zurückhaltung aufgegeben und mit der SPD Ende Oktober einen Antrag vorgelegt. Die Zustimmung umfasst nun alle Fraktionen außer der AfD.
Neben der AfD als einzige Fraktion dazustehen, die Zweifel darüber offenlässt, ob jede KZ-Haft Unrecht war, war der Unionsfraktion wohl doch unangenehm. Als „Berufsverbrecher“ galten Straftäter, die in den Augen der Nazis ihrer Anlage nach zur „Besserung“ unfähig waren. Sie wurden nach ihren Haftstrafen ohne weiteres Verfahren in Lager gebracht und mit einem grünen Dreieck markiert. Die Kategorie „asozial“ war so dehnbar, dass alle möglichen devianten Personen mehr oder weniger willkürlich davon betroffen sein konnten. Vor allem Obdachlose, Wanderarbeiter, Prostituierte und Bettler wurden, mit einem schwarzen Dreieck versehen, in KZs gebracht.
Der Antrag konzentriert sich auf die Förderung von Forschung und öffentlicher Gedenkkultur. Es gibt schließlich kaum noch Überlebende, die Entschädigungen erhalten könnten. Insofern mag die Entscheidung richtig sein, doch für die meisten Betroffenen kommt sie viel zu spät. Sie haben ihr Leben mit dem Stigma verbracht. Denn die Betroffenen galten weit über das Ende des NS hinaus als soziale Außenseiter. Das zeigt nicht zuletzt die nach wie vor schmerzhaft übliche Verwendung des Begriffs „asozial“ als Beschreibung und Beleidigung.
Kommentare 4
Sehr gut, dass Sie den Antrag der Grünen und Frank Nonnenmachers Petition zum Anlass nehmen, zu den zahlreichen unentschädigten, aber eben auch unbeachteten Opfergruppen der nationalsozialistischen Herrschaft zu schreiben, Herr Badura.
Schon die Sprache stigmatisiert häufig, wie Sie feststellen.
Aber auch Fachbegriffe schaffen das! "Devianz", deviante Personen, deviante Gruppen, Begriffe aus der älteren Soziologie, der Kriminologie, Pädagogik und Sozialpsychologie, verlieren, allgemein genutzt, gerne auch die Spezifität und werden damit zum Stigma.
Wie der Begriffe der "Psychopathie", der "psychopathischen Persönlichkeit", die zuletzt wieder eine seltsame Renaissance erfuhren, diente er dazu, brutal biologisch gedacht, Individuen als "Gemeinschaftsunfähige" auszuschließen und mit ihnen letztlich machen zu können was man wollte.
Abweichung von der Norm, entwickelte sich so zu einer negativen und normativen Bezeichnung dessen, was nicht so sein soll und dann auch nicht mehr sein darf, aber genetisch verankert sei. Weil diese Begriffe konsequent biologisch gedacht wurden, nicht erst im III. Reich und keineswegs nur in Deutschland, lag auch der Gedanke an die physische Vernichtung, als Möglichkeit, so schrecklich nahe und erlaubte eine monströse, pseudowissenschaftlicher Begründung.
Gibt es mittlerweile auch "Stolpersteine", Anstöße der Aufmerksamkeit, die im Pflaster glänzen, mit den Namen als "asozial" verfolgter Personen, die aus ihrem Leben gerissen wurden, starben oder in Lagern leben mussten? Das fände ich sehr wichtig: Namensgebung, Identität, der Namenlosen!
Beste Grüße
Christoph Leusch
die nazi- "sozial-hygieniker" waren entschlossen, sozial-darwinistische
konzepte zu exekutieren,
die auch die eleminierung/tötung von "ballast-existenzen",
die im internationalen/völkisch-gedachten wettbewerb als stör-faktor
identifiziert wurden, mit einbezog.
die nazis führten nicht nur einen krieg gegen die große konkurrenz-macht USA,
gegen den bolschewismus, die juden mit ihrer kultur,
die slawen und "verweichlichten", "bastardisierten" west-mächte,
sondern von anfang an einen kampf gegen "a-soziale" ziele,
"verelendungs-tendenzen" in
"abweichenden" milieus und sexuellen orientierungen.
schwach-schützende rechte der weimarer republik wurden
durch "schutz-haft" und konzentrations-lager(KL) ersetzt.
Prima. Danke für die Info.
Christoph Leusch