Vom NS als „asozial“ vernichtet

Aufarbeitung War jede KZ-Haft Unrecht? Ein Antrag der Grünen wirft Fragen auf
Ausgabe 46/2019
2016 wurden in Deutschland erstmals solche Gedenksteine für die von den Nationalsozialisten als „asozial und arbeitsscheu“ gebrandmarkten Menschen verlegt
2016 wurden in Deutschland erstmals solche Gedenksteine für die von den Nationalsozialisten als „asozial und arbeitsscheu“ gebrandmarkten Menschen verlegt

Foto: Markus Heine/Imago Images

War es in jedem Fall Unrecht, im nationalsozialistischen Deutschland in einem Konzentrationslager einzusitzen? Über sieben Jahrzehnte nach dem alliierten Sieg mag es abstrus anmuten, diese Frage zu stellen. Doch das spontane „Ja“ auf sie bleibt im Hals stecken angesichts des Befunds, dass eben nicht allen Opfergruppen des Nationalsozialismus die Anerkennung als solche widerfährt. „Berufsverbrecher“ und „Asoziale“ wurden von den Nazis zu Zehntausenden eingesperrt, misshandelt, ermordet und zur „Vernichtung durch Arbeit“ freigegeben. Bekannt ist das kaum, Entschädigungen gab es nur in sehr wenigen Fällen.

Das soll sich ändern. Nachdem der Sozialwissenschaftler Frank Nonnenmacher Anfang vergangenen Jahres eine Petition gestartet und die Grünen im Herbst einen interfraktionellen Antrag im Bundestag gestellt hatten, ist nun die letzte Hürde genommen: Die Unionsfraktion hat ihre Zurückhaltung aufgegeben und mit der SPD Ende Oktober einen Antrag vorgelegt. Die Zustimmung umfasst nun alle Fraktionen außer der AfD.

Neben der AfD als einzige Fraktion dazustehen, die Zweifel darüber offenlässt, ob jede KZ-Haft Unrecht war, war der Unionsfraktion wohl doch unangenehm. Als „Berufsverbrecher“ galten Straftäter, die in den Augen der Nazis ihrer Anlage nach zur „Besserung“ unfähig waren. Sie wurden nach ihren Haftstrafen ohne weiteres Verfahren in Lager gebracht und mit einem grünen Dreieck markiert. Die Kategorie „asozial“ war so dehnbar, dass alle möglichen devianten Personen mehr oder weniger willkürlich davon betroffen sein konnten. Vor allem Obdachlose, Wanderarbeiter, Prostituierte und Bettler wurden, mit einem schwarzen Dreieck versehen, in KZs gebracht.

Der Antrag konzentriert sich auf die Förderung von Forschung und öffentlicher Gedenkkultur. Es gibt schließlich kaum noch Überlebende, die Entschädigungen erhalten könnten. Insofern mag die Entscheidung richtig sein, doch für die meisten Betroffenen kommt sie viel zu spät. Sie haben ihr Leben mit dem Stigma verbracht. Denn die Betroffenen galten weit über das Ende des NS hinaus als soziale Außenseiter. Das zeigt nicht zuletzt die nach wie vor schmerzhaft übliche Verwendung des Begriffs „asozial“ als Beschreibung und Beleidigung.

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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