Was tun, damit’s nicht mehr brennt?

Kaltland Kein Tag vergeht mehr ohne rassistische Anschläge. Eine Veranstaltung in Berlin zeigte: DIE Gegen-Strategie gibt es nicht, dafür viele Möglichkeiten, sich einzubringen.

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Die Bilder von Anschlägen auf Asylunterkünfte wie hier in Tröglitz sind präsent. Doch die Diskussion darüber, wie dieser rassistischen Mobilisierung zu begegnen ist, ist kaum wahrnehmbar
Die Bilder von Anschlägen auf Asylunterkünfte wie hier in Tröglitz sind präsent. Doch die Diskussion darüber, wie dieser rassistischen Mobilisierung zu begegnen ist, ist kaum wahrnehmbar

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

202 Angriffe auf Asylunterkünfte, schon im ersten Halbjahr 2015 sind das mehr als im gesamten Jahr 2014. Die Medien haben aus diese Zahlen Filme und Karten gemacht, mittlerweile müsste allen klar sein, dass in Deutschland kein Tag mehr ohne rassistische Anschläge vergeht. Trotzdem ist die Diskussion darüber, wie dieser rassistischen Mobilisierung zu begegnen ist, kaum wahrnehmbar.

Die Gruppe "Deutschland demobilisieren" will das ändern und hat am Mittwoch ins K-Fetisch geladen, um verschiedene Einschätzungen und Erfahrungen aus dem Alltag in Kaltland zusammenzubringen. Antifas aus Freital und Marzahn-Hellersdorf, die Oranienplatz-Aktivistin Napuli Görlich, die gerade auf Refugee Bus-Tour war, sowie ein Mitglied des bereits in den 90ern gegründeten Café Morgenlands haben die Frage diskutiert: "Was tun, damit’s nicht mehr brennt?“

Zur besseren Verortung der Sprecher*innen und ihrer Positionen fasse ich hier zunächst kurz die Eingangsrunde zusammen.

Freital und Marzahn-Hellersdorf

Lukas aus Dresden berichtete von der Entwicklung in Freital. Im März habe es in der 40.000-Einwohner-Stadt die erste Demonstration der Initiative „Nein zum Hotelheim“ gegeben, zu der die gleichnamige Facebook-Seite aufgerufen habe. 1500 Menschen seien dem Aufruf gefolgt, hätten die Polizei angegriffen und versucht, zu dem ehemaligen Hotel durchzubrechen - das zu dem Zeitpunkt noch leer stand. Darunter seien viele Hooligans aus dem Umfeld von Dynamo Dresden sowie organisierte Neonazis gewesen.

Es war die Zeit, als sich Pegida spaltete und die viele Rassist*innen versuchten, die Proteste in der Region zu verankern, so Lukas. Jeden Freitag seien von da an zwischen 300 und 600 Leute unter dem Slogan „Nein zum Hotelheim“ durch Freital gezogen. Nach der Eskalation der letzten Wochen sei die Polizei nun immerhin in voller Ausstattung vor Ort, so dass Nazis wahrscheinlich nicht zum Heim durchkommen werden. Rassistisches Gepöbel und Böller-Würfe seien jedoch Alltag, ebenso wie Angriffe auf Unterstützer*innen und Verfolgungsjagden.

In Hellersdorf begann die rassistische Mobilisierung bereits im Jahr 2013, als Geflüchtete in die alte Schule einzogen. Es gab jedoch schnell einige große Solidaritäts-Veranstaltungen und in der Folge Uni-Projekt, Lokale und Initiativen vor Ort, sagte Katharina von der Antifa Friedrichshain. Derzeit stehe vor allem die Container-Unterkunft in Marzahn im Fokus der Nazis und Rassist*innen, gegen die sie nun schon seit 11 Monaten jeden Montag auf die Straße gingen.

Gegen die Montagsdemos stellten sich regelmäßig einige Antifas, Leute der Linkspartei und der Initiative Hellersdorf hilft. Derzeit arbeitet die Antifa auch an einer Zeitung, sowie an einer Aktion zur Eröffnung der Containersiedlung, in der bald 300 Geflüchtete wohnen werden.

„We don’t trust a white person“

Napuli, O-Platz-Aktivistin und soeben auf der 3. Refugee-Bus-Tour durch Deutschland gefahren, um die Situation in den einzelnen Lagern kennenzulernen und die Proteste zu vernetzen, machte daraufhin deutlich, wie schwierig das Verhältnis zwischen Refugees und Unterstützer*innen ist: „We don’t trust a white person“. Es sei nie klar, ob sie Rassistinnen seien und Refugees attackieren würden, ob sie im Auftrag der Politik kämen, oder ob man ihnen vertrauen könne. Zur der Angst vor der eigenen Abschiebung käme so die alltägliche Angst, angegriffen zu werden.

Außerdem würden viele der Unterstützer*innen für genau jene große Lager-Unterkünfte streiten, die die Refugees selbst gar nicht wollten. Sie wollten in Häusern leben - und nicht in den unmenschlichen Massen-Unterkünften. Das wichtigste sei, dass zu den Aktionen der Refugees viele Unterstützer*innen kommen.

Nach den Ausführungen Napulis war klar, dass der Kampf gegen die rassistische Mobilisierung in Kaltland nie die Kämpfe der Refugees aus den Augen verlieren darf.

"Der Otto-Normalvergaser ist wieder da"

Chrisantos und das Café Morgenland haben schon gegen die Pogromstimmung in den 90ern angeschrieben. Eigentlich hätte er genau so gut einen Text von damals vorlesen können, denn geändert habe sich nichts. Chrisantos las ein paar Einträge aus dem Blog „Perlen aus Freital vor“ - unterschiedliche Meinungen, die alle einen deutschen Vernichtungswillen teilten: „der Otto-Normalvergaser ist wieder da“.

Das Neue im Vergleich zu den 90ern sei nur: Heute äußerten die potentiellen Vergaser ihre Mordfantasien unter Klarnamen, weil sie wüssten, dass sie nichts zu befürchten hätten. Doch anstatt diese Rassist*innen anzugreifen, mache sich die antirassistische Linke lieber zum Teil einer großen deutschen Symbiose aus Molotow-Cocktail und Willkommenstranspi - „wir wollen aber kein anderes, wir wollen gar kein Deutschland!“

Applaus - klar, wer mag hier schon Deutschland. Katharina von der Antifa Friedrichshain wurde in der Diskussion etwas pragmatischer: Es gebe nun mal Deutschland und es flüchteten Menschen hierher. Und gerade weil Refugees gar nicht wüssten, wer auf ihrer Seite stehe, sei es umso wichtiger nach Verbündeten zu suchen und vor Ort zu sein, wenn wieder Nazis aufliefen oder entsprechende Gedanken „besorgter Bürger*innen“ geäußert würden. Dazu brauche es mehr Leute als bisher, damit sich die Rassist*innen nicht mehr trauten, öffentlich Stimmung zu machen.

Das Problem, dass de Maizére, Seehofer u.a. die Grenzen des rassistisch Sagbaren längst gesprengt haben, kam in der Diskussion leider nicht zur Sprache. Denn wie soll man auf der Straße Äußerungen die Legitimität streitig machen, die die politischen Elite täglich über das Fernsehen versendet?

Keine sicheren Orte im Hinterland

Lukas aus Dresden warnte schließlich davor, als Willkommensbündnis die unbezahlte Sozialarbeit der Stadt zu machen - und davor, in eine „Nützlichkeitsdebatte“ einzusteigen. Es könne nicht sein, dass Linke zusammen mit Wirtschaftsvertreter*innen argumentierten, in den Geflüchteten liege ein großes Potential für die Wirtschaft. Was, wenn sich diese Stimmung ändere? Und, so müsste man ergänzen, was ist mit denen, die schon jetzt nicht darunter fallen - wie die Geflüchteten aus dem Balkan, die Roma?

Napuli machte noch einmal das Misstrauen der Refugees gegenüber Politiker*innen jeder Partei und angeblich sicheren Stadtteilen deutlich. Sogar in Kreuzberg habe es gebrannt. Nachdem die Installation 28 Doors zerstört war, habe der Bezirk mit dem Entfernen des Info-Points nun auch noch das letzte Zeichen der Proteste vom Oranienplatz entfernt. „We always react, we never act“, sagte sie auch in Bezug auf Pegida und die Nazi-Aufmärsche.

Womit die Diskussion bei den Handlungsperspektiven angekommen war. Zum einen ginge es darum, in den Stadtteilen durch eigene Präsenz den Nazis die Straße streitig zu machen; zum anderen müsse man aber auch versuchen, über eine Info-Material oder Gespräche potentiell Verbündete zu erreichen, so Katharinas Position. Chrisantos glaubt nicht, dass das funktioniere werde: Seit 25 Jahren suche man nun diese "guten Deutschen", aber der Vernichtungswille sei nun mal seit Generationen in diesem Land weitergegeben worden. Besser wäre es, man würde die Rassist*innen aus bestimmten Orten zu evakuieren.

Lukas macht die Jugend ein wenig Hoffnung: Die, die auf die Soli-Demos kämen, das seien 14- bis 16-Jährige. Die Älteren hätten schon in den 90ern vor den Heimen gestanden und sie attackiert. Die Jugendlichen seien die einzigen, die vor Ort seien. Mit ihnen müsse man versuchen, gemeinsame Treffpunkte und sichere Orte zu schaffen - die gebe es bisher nicht.

Der Rassismus hat keine Zentralbank

Gegen Ende wurde das Problem der rassistischen Mobilisierung in Deutschland immer breiter diskutiert: Ein Refugee aus Uganda betonte die Flucht-Ursachen, das Kolonialsystem, die Waffenlieferungen Deutschlands. Andere Teilnehmer*innen verlangten mehr Engagement gegen den institutionellen Rassismus; der erneuten Asylrechtsverschärfung zum Beispiel habe man nicht viel entgegensetzen können. Viele Unterstützer*innen seien sich der „White Supremacy“ und der eigenen Privilegien gar nicht bewusst, bei vielen Willkommensinitiativen zeige sich außerdem ein liberaler Hilfskomplex, der mit den Bedürfnissen der Geflüchteten gar nichts zu tun habe. Lukas aus Dresden betonte dazu die große Wirkungsmacht der Extremismus-Theorie in Sachsen, die jegliches antifaschistische Praxis kriminalisiert habe.

Alle kritisierten, dass es „die Linke“ zwar schaffe, Tausende vor eine Bank nach Frankfurt zu bringen, aber im Angesicht der alltäglichen Bedrohungslage viel zu wenig passiere. Dabei gebe es so viele Punkte, an denen man je nach Neigung ansetzen könnte.

Für die Gruppe "Deutschland demobilisieren" könnten das zum Beispiel sein: dokumentieren und informieren, politisch-heiraten, Geld organisieren, um die Refugees zu unterstützen. Und solange man die rassistische Hegemonie nicht drehen könne, müsste man eben Exempel statuieren: Warum könnten die Informations-Veranstaltungen der Kommunen immer noch so ungestört zu Foren rassistischer Stimmungsmache werden? Und warum sei ihnen immer noch kein wirksames Mittel gegen die rassistischen Facebook-Gruppen eingefallen?

Niemand werde dieses Problem lösen, wenn nicht die Anwesenden selbst, sagte Napuli zum Schluss. "Come to our demonstrations!" Jeden Sonntag um 15 Uhr gebe es nun wieder einen Treffpunkt am Oranienplatz und im August eine große Refugee-Conference in Hannover - „we have to be visible again.“

Es soll einen Mitschnitt der Veranstaltung geben. Weiter Infos auf der Facebook-Seite der Gruppe.

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