Bucatini all’amatriciana sind sein Lieblingsgericht, Kochen und Aikidō gehören zu seinen Hobbys, und La Casa del Papel ist seine Lieblingsserie auf Netflix. Der 28-jährige Jordan Bardella sitzt im Schnitt jeden dritten Tag in Radio- oder Fernsehshows, betreibt einen Tiktok-Account mit gut 1,1 Millionen Followern. Bei seinen Meetings stehen die Fans Schlange und bitten um Selfies. Er gibt sich zugewandt, ehrgeizig, energiegeladen und steht auf der Liste der 50 beliebtesten Persönlichkeiten Frankreichs. Allerdings ist Bardella weder Schauspieler, Musiker noch Fußballer, sondern seit November 2022 Vorsitzender des rechtspopulistischen, in Teilen rechtsextremen Rassemblement National (RN/ehemals Front National).
Das skizzierte Narrativ zeigt par excellence seinen
excellence seinen eigentlichen Erfolg: Ihm scheint gelungen zu sein, was sich seine Gönnerin Marine Le Pen ihr Leben lang ersehnt hat, als sie hoffte, ein normaler Teil des Politikbetriebes zu werden. Bardella ist als Person ein Politiker, den mancher sympathisch, zumindest tragbar findet. In wenigen Wochen dürfte er ein weiteres Kapitel seiner Erfolgsgeschichte schreiben. Meinungsforschungsinstitute und Beobachter sind sich einig: Der Spitzenkandidat des RN wird in Frankreich mit noch größerem Abstand als 2019 die Europawahlen gewinnen und erneut als Abgeordneter im EU-Parlament sitzen.In der jüngsten Umfrage des Institut Français d’Opinion Publique (IFOP) rangiert der RN bei 32 Prozent – das Bündnis der Macron-Partei mit 18,5 deutlich dahinter. Ein nicht aufzuholender Vorsprung, der Bardella noch weiter in die Mitte der französischen Gesellschaft rücken wird. Er ist das, was man gemeinhin salonfähig nennt. Die Inkarnation der „dédiabolisation“, der Entteufelung jener Partei, dessen Gründer die Gaskammern als „Detail der Geschichte“ bezeichnete und mehrfach wegen antisemitischer Äußerungen verurteilt wurde – jener Jean-Marie Le Pen, dem Bardella als junger Mann bei öffentlichen Auftritten begeistert zujubelte.Jordan Bardella schaffte den Aufstieg von der Banlieue in die SpitzenpolitikHeute ist er nicht nur ein Siegertyp, der stets im maßgeschneiderten weißen Hemd und wohl frisiert auftaucht, er hat auch zwei große Vorteile. Zum einen wuchs er als Sohn italienischer Einwanderer im berüchtigten Departement Seine-Saint-Denis nordöstlich von Paris auf. Seine Mutter – so erzählt er gern vor Anhängern – habe nach der Trennung von ihrem Lebenspartner Mühe gehabt, über die Runden zu kommen, Armut sei stets ein Thema gewesen. Das unterscheidet ihn von der stets selbstreferentiellen französischen Politikelite, die von jüngster Kindheit an die Kaderschmieden der Republik durchläuft. Zum anderen verkörpert Bardella den Selfmademan, der sich durch Fleiß und dank seiner Überzeugungen aus der Banlieue an die Spitze einer Partei gearbeitet hat und der weiß, wie es den „einfachen“ Menschen geht.Sein Aufstieg wirkt wie eine Werbung, die dem Rassemblement National neue Wähler verschafft, die jung, gut ausgebildet und weiblich sind. Zudem prallen durch seine Wurzeln Argumente, seine Partei sei ausländerfeindlich, an ihm ab.Er firmiert als Beispiel für „gute Einwanderung“ und sieht sich als legitimiert, das Thema Migration politisch auszuschlachten. Und noch etwas spielt ihm in die Hände: Auch wenn er als Protegé Marine Le Pens gilt und deren Nichte seit vier Jahren die Frau an seiner Seite ist, trägt er als erster Parteichef nicht den Namen Le Pen. Er ist zwar Teil dieses Clans, aber eben nur indirekt. Marine Le Pen nennt ihn hingebungsvoll „mon Jordan“ oder „petit lion“ (kleiner Löwe) und findet, er habe alle Qualitäten, um Premierminister „oder noch mehr“ zu werden. Könnte Bardella bereits 2027 an ihrer Stelle zum Präsidentschaftskandidaten ernannt werden, weil er größere Chancen hat? Ihm bleibe Zeit, hört man aus der Partei und von ihm selbst. Zumal es sich Le Pen nicht nehmen lassen wird, ein viertes Mal für das höchste Staatsamt zu kandieren. Aber ihr „Fohlen“, wie die Pariser Presse spottet, beginnt sich deutlicher von ihr abzusetzen. In einem Interview Anfang 2023 beklagte Bardella die „kollektive Naivität gegenüber den Ambitionen von Wladimir Putin“, der 2017 sichtlich erfreut Marine Le Pen im Kreml empfing.Bei dem ganzen Storytelling über Bardella könnte man fast vergessen, wofür er inhaltlich steht. Ohne das Wort zu benutzen, spielt er immer wieder auf die verschwörerische Theorie des „großen Austauschs“ an, bei dem die eigene Bevölkerung bewusst durch Zuwanderung verdrängt werden soll. Er trat für die mittlerweile verbotene identitäre Bewegung ein und plädierte als Europaabgeordneter für eine Wirtschaftspolitik, die weniger Brüssel zugetan als auf nationale Souveränität bedacht ist. Inzwischen benennt Bardella auch den Klimawandel als Problem, was wiederum im ländlichen Raum – geplagt von Dürre und Hitze – durchaus Eindruck hinterlässt. Letzten Endes jedoch wird er nicht wegen politischer Visionen oder Lösungsvorschläge bei der Europawahl triumphieren, sondern weil viele Franzosen das glauben, worauf sein Image-Coach ihn jahrelang trainiert hat: „Für einen ‚Fascho‘ wirkt er eigentlich ganz sympathisch.“