Kurz vor dem Jahreswechsel konnte er triumphieren. Éric Ciotti hatte zusammen mit dem ultranationalen Rassemblement National (RN) für ein rigoros verschärftes Einwanderungsgesetz gesorgt. In einer ersten, moderateren Version war dessen Novellierung am 11. Dezember in der Nationalversammlung gescheitert. Dann aber gab Ciotti als Parteichef der konservativen Les Républicains den Einpeitscher, um den „Inländervorrang“, wonach Franzosen bei Sozialleistungen bevorzugt werden, zu verstärken.
Prompt fand das Dekret eine Woche später mit 349 zu 186 Stimmen eine komfortable Mehrheit, gestützt nicht zuletzt auf die Fürsprache von Marine Le Pen. Der dürfte bewusst gewesen sein, dass Emmanuel Macron ein Pyrrhussieg beschieden war. Dessen Par
Dessen Partei Renaissance hatte zunächst einen Regierungsentwurf eingebracht, der durchfiel, und danach die zugespitzte Variante schlucken müssen. Und das mehrheitlich auch tat.Éric Ciotti ist Nachfahre italienischer EinwandererDie Kollateralschäden sind beachtlich, nimmt man allein die internen Zerwürfnisse in der Regierungspartei und den Abgang von Premierministerin Élisabeth Borne in dieser Woche, die seit den Turbulenzen um das Migrationsgesetz schwer unter Druck stand. Éric Ciotti kann sich rühmen, bei der Demontage des Regierungslagers die Fäden gezogen und ganze Arbeit geleistet zu haben.1965 geboren und ein Nachfahre italienischer Einwanderer, sitzt er seit 2007 in der Nationalversammlung und hat stets bekannt: „Ich bin ein Rechter und stolz darauf, es zu sein. Ich werde mich niemals dafür entschuldigen.“ Schon vor seiner Wahl zum Parteichef von Les Républicains Ende 2022 – er war seit 2008 Präsident des Generalrats im Département Alpes-Maritimes – profilierte er sich mit Plädoyers gegen „den“ Islam.Ciotti warb für eine restriktivere Einwanderungspolitik wie den Rückgewinn von nationaler Souveränität gegenüber der EU. Damit korrespondierte, dass er die Annäherung an den Rassemblement National begünstigte und keine Berührungsängste gegenüber dem rechtsradikalen Éric Zemmour und dessen Parole vom „Bevölkerungsaustausch“ kannte. Er wolle die „Überflutung“ durch Migranten stoppen, so Ciotti, der keine Skrupel hat, ultrarechten Magazinen wie Valeurs actuelles Interviews zu geben.Ein Leumundszeugnis für ein Studium in FrankreichIn der gemischten Kommission von Senat und Nationalversammlung setzte er sich beim umstrittenen Gesetzesprojekt für Bestimmungen ein, die seit vielen Jahren zum Repertoire der Rechten zählen. Unter anderem sind das verfassungswidrig gestaffelte Sozialleistungen für Migranten, die dem Prinzip republikanischer Gleichheit, das seit der Revolution von 1789 gilt, förmlich ins Gesicht schlagen. Darunter fällt, dass ausländische Studenten Kautionszahlungen leisten und ein Leumundszeugnis aus ihrem Herkunftsland vorlegen müssen, wenn sie in Frankreich eine Hochschule besuchen wollen. Künftig ist ein Verlust des französischen Anteils bei einer doppelten Staatsbürgerschaft fällig, falls jemand krimineller Handlungen überführt wird. Dass medizinische Leistungen für Staatenlose beziehungsweise Menschen ohne Papiere („Sans-Papiers“) gestrichen wurden, hatte zum Rücktritt von Gesundheitsminister Aurélien Rousseau noch vor Weihnachten geführt.Schließlich finden sich durch das neue Gesetz Familiennachzug und Einbürgerung derart erschwert, dass sie quasi unmöglich, auf jeden Fall aber zu seltenen Ausnahmen werden, falls jemand die Paragrafen buchstabengetreu auslegt. Dass dadurch Universalismus, Weltoffenheit und republikanische Werte unterwandert werden, quittiert Ciotti mit einem Schulterzucken, selbst wenn Unternehmerverbände skeptisch nachfragen: „Braucht Frankreich im kommenden Jahrzehnt eingewanderte Arbeitskräfte – ja oder nein?“ Offenbar ging es um einen „ideologischen Sieg“ über Macron, der vornehmlich die Ultrarechten zufriedenstellte.Vor seiner Wahl zum Parteipräsidenten der Konservativen war Ciotti einige Jahre Mitarbeiter des landesweit bekannten Rechtsauslegers Christian Estrosi, der ebenfalls Nachfahre italienischer Einwanderer ist und zum Bürgermeister in Nizza aufstieg: „Über allen Rechten steht das Recht auf Sicherheit“, so seine Devise. Vor der Wahl zum Bürgermeister der Stadt an der französischen Riviera gehörte er als Staatssekretär und Minister verschiedenen Regierungen an. Zuvor war Estrosi mäßig erfolgreicher Motorradrennfahrer und machte danach als Politiker – wie Ciotti – die Kritik an der Einwanderung zu seinem Herzensprojekt. Als Bürgermeister erregte er überregionales Aufsehen, als ein „intelligentes Parkleitsystem“, das nie wie versprochen funktionierte, für Millionen Euro in den Sand gesetzt wurde.Wenn nicht das Verfassungsgericht die Notbremse zieht, wird Donald Trumps Devise „America first“ in der Le-Pen-Version „D’abord la France!“ zur Maxime in Paris. Die Zahl der Wähler sinkt, die den Rassemblement National für nicht wählbar halten. Marine Le Pens Strategie der „dédiabolisation“ (Entteufelung) hinterlässt Wirkung, wozu das Einwanderungsgesetz gerechnet werden muss. Es hat nicht nur den Anschein eines Menetekels für die Präsidentenwahl 2027.