Frankreich: Die Macron-Partei „Renaissance“ droht bei der Europawahl unterzugehen

Wahlkampf Die forschen Töne des Präsidenten zum Ukraine-Krieg gelten nicht zuletzt Marine Le Pen und ihrem Rassemblement National (RN), denen eine Nähe zum Kreml vorgeworfen wird
Ausgabe 14/2024
Kritiker:innen nennen ihn „Président BlaBla“: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Kritiker:innen nennen ihn „Président BlaBla“: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron

Foto: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Was für ein Kerl! Der Bizeps schwillt, die Fäuste sind in grimmiger Anstrengung geballt: So ließ sich Emmanuel Macron jüngst von seiner Hoffotografin Zoazig de La Moissonnière ablichten, die ihn als Boxer in Szene setzte. Eine virilistische Ikonisierung für Instagram. Man stelle sich kurz vor, Olaf Scholz würde ... nein, das lassen wir lieber. Sieht man „Rocky Macron“ bald beim Kampf mit einem Braunbären? Da ist reichlich Stoff für Theken-Psychologen. Echte Boxer empfehlen „Président BlaBla“, wie er im eigenen Land zuweilen heißt, einen besseren Trainer. Nur wird das Macron kaum gerecht. Als er vor einem Monat am Rande des Pariser Ukraine-Gipfels Bodentruppen gegen Russland ins Spiel brachte, waren die meisten der 21 Staats- und Regierungschefs schon abgereist. Später wiegelte die Entourage des Präsidenten ab: Er habe lediglich auf die Frage einer Journalistin geantwortet. Tatsächlich hatte Macron das Thema beim Dinner aufgegriffen. Niemand wusste, wovon er eigentlich sprach. Ging es um kämpfende Einheiten? Und wenn ja, welche der NATO? War es eine Drohung gegenüber der Atommacht Russland?

Die Deutungsvarianten lagen irgendwo zwischen Rettung der Ukraine (deutsche Position) und der (unwahrscheinlichen) Niederlage Russlands (US-Strategie), Donbass und Krim inklusive. Macron mäandert, je mehr er redet, desto undeutlicher kann er werden. Gewiss sind westliche Soldaten längst in der Ukraine – als Aufklärer, Berater, Zielleitspezialisten. Immer unter der Schwelle, die den Gegner zum Handeln zwingen würde. Alle sehen sie, niemand muss sie offiziell gesehen haben. Unerwartet brach Macron mit diesem Modus Vivendi und zielte damit weniger auf Wladimir Putin als auf Marine Le Pen.

Deren Rassemblement National (RN) liegt in Umfragen zur Europawahl mit 31 Prozent deutlich vor den Macronisten, die sich eine harte Niederlage kaum leisten können. Geht die Partei „Renaissance“ im Juni an der Urne unter, könnte Le Pen Neuwahlen zum Parlament erzwingen – Macrons zweite Amtszeit würde endgültig zum Desaster. So wird lanciert, was Le Pen besonders gefährlich mache, sei ihre Affinität zum Kreml, und das alte Lied von russischen Panzern auf den Champs Élysées gesummt. Was die RN-Spitzenpolitikerin weit von sich weist. Vor Jahren waren es freilich russische Kredite, die ihre Partei vor dem Untergang bewahrt haben. Zuletzt sind mehrere von Frankreichs Top-Diplomaten mit Moskau-Faible zu ihr übergelaufen. In die erste TV-Debatte zur Wahl schickte Le Pen nicht ihren Parteichef und Spitzenkandidaten Jordan Bardella, sondern den Ex-Minister Thierry Mariani, einstiger Nationalsekretär der gaullistischen UMP.

Emmanuel Macrons diffuse Kommunikation

Über Außenpolitik wird häufig Innenpolitik gemacht, eine alte Erfahrung. Der Irrsinn nimmt besonders dann seinen Lauf, wenn Diplomaten und Generäle zu Fragen von Krieg und Frieden nicht gehört werden, weil Macron sie kaltgestellt hat. Er agiert lieber allein, selbst wenn ihn hohe Militärs händeringend bitten, keinen Krieg anzuzetteln, dafür sei die „erste Armee des Kontinents“ – Atommacht hin oder her – nicht gerüstet. Richtig hässlich wurde es, als Macron am 5. März bei einer Rede in Prag erklärte, er wolle nicht der Daladier des 21. Jahrhunderts sein. 1938 hatten der französische Premier Édouard Daladier und sein britischer Amtskollege Neville Chamberlain in München die Tschechoslowakei Hitler ausgeliefert. An dieser Ukraine-Analogie ist so gut wie alles schief, nicht zuletzt die Gleichsetzung Hitler-Putin.

Es bleibt letztlich offen, was Macron zu seiner Truppenidee bewog. Er habe bei der Geberkonferenz kompensieren wollen, dass Frankreich weit weniger für die Ukraine leiste als Deutschland, wird gemutmaßt. Auch kursiert die Annahme, er habe eine letzte Lanze für die europäische Streitmacht brechen wollen, zumal die meisten Freunde, Berlin voran, lieber US-Kampfjets als französische „Rafale“ kaufen. Oder man gibt mitfühlend zu Protokoll, Macron leide unter dem Bedeutungsverlust Frankreichs, seit die Sahelstaaten Mali, Niger und Burkina Faso seine Truppen hinausgeworfen haben.

Was trifft zu bei einem Staatschef, für den Kommunikation einen hohen Stellenwert genießt? Selten vergeht ein Tag ohne Ansage – ob zur Drogenszene in Marseille, zu Schuluniformen oder zur Ukraine. Dabei kommt Macron entgegen, dass sich kaum jemand an Aussagen von gestern erinnert. Was ist heute mit dem Satz, man müsse eine Demütigung Russlands vermeiden? Wie ist das mit der internationalen Kriegskoalition gegen Hamas „nach dem Muster des Bündnisses gegen den IS“, die Macron Ende 2023 gefordert hat? Ist dies allein einem stets bedürftigen Ego zuzuschreiben? Begriffe zu relativieren und Ziele zu variieren, das gilt als Instrument des Neoliberalismus, um öffentliche Debatten taktischen Erwägungen zu unterwerfen. Frankreich, schreibt der Historiker Johann Chapoutot, sei der „frenetische Brutkasten“ eines verschärft autoritären Neoliberalismus. Ein Zeichen für den Hang zur formierten Gesellschaft ist das bereits angelaufene Projekt Macrons, Hunderttausende von 14- bis 17-Jährigen in einen militärischen Jugenddienst einzubinden. Vorläufig ist der „SNU“ noch freiwillig.

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