„Viele Menschen weigern sich noch immer anzuerkennen, wie sehr Frauen unter Misogynie leiden“, sagte Simone Tebet vor Monaten in einem Interview. Heute ist die 53-Jährige Planungs- und Budgetministerin Brasiliens, im Vorjahr bewarb sich die sozialliberale Politikerin um die Präsidentschaft.
Frauenrechte so in den Mittelpunkt zu stellen, wie sie das tut, ist in diesem Land nicht alltäglich. Die dunkelhaarige Frau mit dem sicheren Auftreten und der einnehmenden Stimme bezeichnet sich als Feministin. Sie setzt sich für die Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und gegen häusliche Gewalt ein. Gleichzeitig betont sie, dass Feminismus kein „links oder rechts“ kenne und lehnt das Recht auf Abtreibung ab. Mit ihrem Feminismus will sie Frauen
sie Frauen ansprechen – besonders konservative.Simone Tebet ist eine Kandidatin der MitteUm Tebets Rolle in Brasilien zu verstehen, muss man auf die hier üblichen Machtspiele schauen. Der Wahlkampf im vergangenen Jahr war äußerst polarisiert. Der rechtsextreme Amtsinhaber Jair Bolsonaro traf auf den linksgerichteten Inácio Lula da Silva. Für beide Kandidaten traf zu, dass sie jeweils für einen anderen, großen Teil der Gesellschaft als unwählbar galten.Davon wollte Simone Tebet profitieren. Die Juristin gehört zur Partei Movimento Democrático Brasileiro (MDB) und war bis 2022 Senatorin. Und nun warb sie als Bewerberin um die Präsidentschaft für einen „Dritten Weg“, eine moderate Alternative zu den beiden Antipoden Bolsonaro und Lula. Eine reale Chance, diese Abstimmung zu gewinnen, hatte Tebet nie. Umsonst war ihre Kandidatur trotzdem nicht: Sie holte beim ersten Wahlgang am 2. Oktober rund vier Prozent der Stimmen. Derzeit kennt fast jeder in Brasilien ihren Namen, bei vielen hinterließ sie den Eindruck einer kompetenten Rednerin.Vor der Stichwahl am 30. Oktober traf sie zudem eine strategische Entscheidung: Sie unterstützte den Wahlkampf von Lula. „Was auf dem Spiel steht, ist viel größer als jeder Einzelne von uns“, formulierte sie nach der ersten Runde. „Es gibt ein Brasilien, das sofort wieder aufgebaut werden, ein Volk, das wiedervereinigt werden muss. In den letzten vier Jahren wurde Brasilien im Feuer des Hasses im Stich gelassen.“Präsident Lula ließ sie im StichInzwischen ist Tebet eine von elf Ministerinnen in der brasilianischen Bundesregierung. Präsident Lula hatte zwar angekündigt, für Parität sorgen zu wollen, am Ende gingen jedoch die meisten der 37 Ressorts an Männer. Ende Dezember hatte es Diskussionen gegeben, welches an Tebet gehen sollte – das Ministerium für Bildung, das für innere Sicherheit, kurzzeitig sogar das Umweltministerium standen in Aussicht. Am Ende bekam Tebet zwar den ersehnten Ministerposten, im Planungsministerium verfügt sie allerdings über deutlich weniger Gestaltungsmacht, als sie sich gewünscht haben dürfte.Ihrem Aufstieg haftet nichts Zufälliges an, stammt sie doch aus der politischen Elite – bereits ihr Vater war Senator. Der Ehemann Eduardo Rocha ist ebenfalls Politiker, die beiden haben zwei Kinder. Tebet kommt aus dem Süden Brasiliens – genauer gesagt aus der Kleinstadt Três Lagoas im Bundesstaat Mato Grosso do Sul, der ein Teil des weltweit größten Binnenfeuchtgebiets, des Pantanals, ist. Gut drei Flugstunden sind es von dort bis São Paulo und Rio de Janeiro. In dieser Region treffen verschiedene Ökosysteme aufeinander, wobei das Sumpfgebiet als eine der artenreichsten Gegenden des Landes gilt.Fest verwurzelt in der Agrarindustrie – gerade deshalb ist Tebet glaubwürdigMato Grosso do Sul ist auch dafür bekannt, so etwas wie der Wilde Westen zu sein, woher die brasilianischen Cowboy-Filme kommen. Etwas weniger romantisiert heißt das: Dort regiert die Agrarindustrie. Riesige Rinderfarmen reihen sich an noch größere Sojaplantagen.Tebets Familie zählt zu denen, die daraus ihren Nutzen zogen „Mein Großvater war einer vom Agrobusiness, wie meine Mutter und mein Vater auch“, so Tebet 2022 in einem Interview mit dem brasilianischen Sender Globo. „Aber wir gehören zur nachhaltigen Agrarindustrie.“ Für sie heiße Landwirtschaft, sich um den Erhalt des Planeten zu kümmern. Ob Nachhaltigkeit und Agrarindustrie irgendwie zusammengehen, darf grundsätzlich bezweifelt werden. Gewöhnlich macht der Sektor vor allem durch den Einsatz von Düngemitteln, giftigen Pestiziden oder Abholzung auf sich aufmerksam. In den zurückliegenden Monaten sank zwar die Abholzung in der Amazonasregion, im Cerrado, Brasiliens Savannenlandschaft, wo sich industrielle Landwirtschaft besonders ausdehnt, stiegen jedoch die Abholzungsraten erheblich.Tritt sie 2026 nochmal als Präsidentschaftskandidatin an?Trotz ihrer Nähe zur Agrarindustrie ist Tebet keine Hardlinerin. Anders als viele Großgrundbesitzer verweist sie häufig auf die Gefahren des Klimawandels für die Landwirtschaft. Tebet gibt zu, dass sich die Situation durch die Abholzungen enorm verschärft hat. Für Brasiliens Ökosysteme, das Weltklima überhaupt, ist es wahrscheinlich trotzdem besser, wenn das Umweltministerium in Brasilien heute von der langjährigen Aktivistin Marina Silva und nicht von Tebet geleitet wird. Klar ist ebenso, die Nähe zur mächtigen Agrarlobby bringt Simone Tebet in Brasilien viel Sympathie – und steigert ihre Chancen, sollte sie 2026 nochmals als Kandidatin antreten.