Aus dem Olymp gefallen

Außenamt Mit Sigmar Gabriel muss einer der wenigen profilierten SPD-Politiker zurück ins Glied. Das ist nachvollziehbar, aber für die internationale Diplomatie ein Verlust
Es war einmal
Es war einmal

Foto: Photothek/Imago

Mit politischen Talenten ist die SPD nicht eben gesegnet. Das Schulz-Debakel spricht Bände. Insofern ist es bedauerlich, dass an Sigmar Gabriel nun ein disziplinarisches Exempel statuiert wird. Mit dem Verstoß aus der Ministernomenklatura soll offenbar geahndet werden, dass sich Gabriel jüngst öffentlich über den Wortbruch von Martin Schulz beschwert hatte, der das Amt des Außenministers im nächsten Kabinett Merkel für sich reservieren wollte. Dann aber zurückziehen musste, um unbeschwert zurücktreten zu können.

Sitzt Gabriel nicht mehr am Regierungstisch, wird bei viel zu viel großkoalitionärer Kontinuität auf eine verzichtet, die man gern erhalten hätte. Dieser Minister hat in knapp einem Jahr, seit er den zum Bundespräsidenten beförderten Frank-Walter Steinmeier beerbte, als Politiker und Diplomat an Kontur gewonnen. Die Amtsführung fand sich wohltuend von der barocken Behäbigkeit und Nullsummen-Rhetorik befreit, die der Vorgänger pflegte. Als er Steinmeier ablöste, wirkte Gabriel wie erlöst. Erst wurde er Anfang 2017 die Bürde des potenziellen Kanzlerkandidaten los, bald auch die des Parteichefs und konnte sich am 24. September sicher sein, die erreichten gut 20 Prozent hätte er auch geschafft. Spielend vielleicht sogar.

Folie Westerwelle

Gabriels kurzlebige Außenamts-Karriere ruft ein Phänomen in Erinnerung, wie das in der zweiten Hälfte der CDU/CSU-FDP-Koalition (2009-2013) zu beobachten war. Vom Vorsitz der schlingernden FDP befreit und nur noch auf das Ressort geworfen, reiste Außenminister Guido Weserwelle plötzlich mit Fortune und Schneid durch die Welt, um als erster Diplomat des Landes Eindruck zu hinterlassen.

Er verhandelte mit Regierungen in Tunis, Rabat, Kairo und Amman während des Arabischen Frühlings und bot neue Partnerschaften an. Er hatte seinen Anteil daran, dass sich Deutschland bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat am 17. März 2011 der Stimme enthielt, als mit Resolution 1973 das Mandat für ein militärisches Eingreifen in Libyen erteilt wurde, das die NATO anschließend zu einer Intervention aus der Luft und zum Sturz von Muammar al-Gaddafi nutzte.

Gabriel kann sich zugute halten, durch Treffen mit dem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu die bilateralen Beziehungen aus konfrontativer Erstarrung gelöst zu haben, auch wenn sich daraus noch keine Perspektive ergab, die wieder zu mehr gegenseitigem Vertrauen führt. Überdies wurde Traditionen deutscher Nahostdiplomatie reaktiviert. Unter Gabriel hat sich Deutschland von der Entscheidung distanziert, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Auch hielt sich seine Erbötigkeit gegenüber dem israelischen Premier Netanjahu und dessen Auffassung in Grenzen, wer nicht hundertprozentig mit uns ist, der ist gegen uns.

Am Wendepunkt

Es gab vor allem zwei Minister, die während der vergangenen sechs Monate nicht wie geschäftsführende Ressortchefs aussehen wollten – einmal die Vereidigungsministerin von der Leyen, die mit ihren Besuchen in Afghanistan und im Irak erweiterte bzw. neue Bundeswehrmandate vorbereitet hat. Zum anderen Sigmar Gabriel als Außenminister, dem es gelang, ein Bewusstsein für das immer mehr abnehmende Vermögen zu schaffen, die Europa an seinen Grenzen belagernden Konflikte zu beherrschen.

Die deutsche Außenpolitik steht fraglos an einem Wendepunkt. Die Vorstellung, durch das Ausspielen militärischer Macht Gesellschaften in Nordafrika, Nahost und Zentralasien zum Regime Change zu zwingen, ist gescheitert. Der Dualismus von Intervention und Besatzung hat nirgends funktioniert. Statt der erwünschten Kompatibilität mit dem westlichen System sind Libyen, der Irak, Jemen, Syrien oder Afghanistan Störfaktoren desselben, weil sie als Staaten nur noch bedingt funktionieren. Das Phänomen des Failed State grassiert, auch Somalia und der Südsudan sind damit gemeint.

Darüber, ob Gabriel-Nachfolger Heiko Maas dem gewachsen ist, darüber sollte und kann nicht voreilig spekuliert werden. Es fehlt bei dieser Personalie einfach eine zuverlässige Expertise, an die man sich halten könnte.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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