Der Hitlerputsch-Prozess von 1924 wird zum Hochamt für die Todfeinde der Weimarer Republik
Zeitgeschichte Zu ihren Lebzeiten ist die Weimarer Republik selten so vorgeführt worden wie durch den Prozess nach dem faschistischen Putschversuch vom 9. November 1923 in München. Sogar das Plädoyer des Staatsanwalts ist eine Laudatio auf Hitler
Ein hysterischer Aufschrei Erich Ludendorffs unterbricht die Urteilsbegründung am 1. April 1924 im Münchner Volksgericht. Er empfinde den Freispruch „als eine Schande, die dieser Rock und seine Ehrenzeichen nicht verdient haben“. Ludendorff trägt die Uniform eines kaiserlichen Generals und damit der Armee, die im November 1918 an der Westfront kapitulieren muss und bald danach ausgesorgt hat. Sein Auftritt wirkt wie ein Affront gegen das Gericht, zumal hier einer der Rädelsführer des faschistischen Putschversuchs vom 9. November 1923 in München das Verlesen des Urteils stört. Ludendorff ist wie Adolf Hitler und acht weitere Angeklagte des Hochverrats beschuldigt.
Hitler redet dreieinhalb Stunden, ohne dabei groß unterbrochen zu werden
Als d
werdenAls der Prozess nach 25 Verhandlungstagen endet, will auch Ludendorff in Festungshaft. Zu Recht. Schließlich sollte er das Oberkommando der Reichswehr übernehmen, wäre mit den „Novemberverbrechern von 1918 kurzer Prozess“ (Hitler) gemacht und die Republik abgeräumt worden. Doch das Gericht hofiert den militärischen Bankrotteur von der Westfront als vaterländischen Ehrenmann. „Edelster selbstloser Wille“ habe den General beseelt, so Richter Georg Neithardt, um Deutschland „aus Schmach und Schande“ zu erretten. Die Rettung besteht darin, dass sich am Abend des 8. November 1923 völkische Verbände der NSDAP im Münchner Bürgerbräukeller zusammenrotten, Hitler die Regierung in Berlin für abgesetzt erklärt, Sturmtrupps linke Politiker wie den Münchner Bürgermeister Eduard Schmid (SPD) als Geiseln nehmen und mit Erhängen bedrohen, die Redaktion der sozialdemokratischen Münchner Post verwüstet wird oder Freischärler um Ernst Röhm das Wehrkreiskommando und einige Brücken besetzenDas Gericht hat dafür Verständnis und will dem Ausdruck geben. Zu viel Volkszorn habe sich angestaut. Als Hitler zur Anklage spricht, redet er dreieinhalb Stunden, ohne groß unterbrochen zu werden. Ein politischer Prozess als Podium politischer Propaganda zeichnet sich ab. Ein Angeklagter wird zum Ankläger, ergeht sich in antisemitischen Ausfällen und hetzt gegen „den größten Feind und Gegner der arischen Menschheit“. Richter und Staatsanwaltschaft nehmen das hin. Wenn der Prozess denn schon sein muss, dann soll die Republik sehen, was sie davon hat.Solcherart Rechtspflege greift gern zum Verfassungsbruch. Ein Verfahren wegen Hochverrats hätte vor dem dafür vorgesehenen Staatsgerichtshof am Reichsgericht in Leipzig stattfinden müssen. Nach der seit dem 11. August 1919 geltenden Weimarer Verfassung ist das Strafrecht nicht Länder-, sondern Reichssache. Bei Hochverrat allemal, aber die bayrische Staatsregierung setzt sich darüber hinweg, und das Reichskabinett schweigt. Es sei unmöglich, der vorherrschenden Stimmung in Bayern zu trotzen, die nur eigener Gerichtsbarkeit in solch heikler Sache vertraue, meldet Justizminister Franz Gürtner von den Deutsch-Nationalen nach Berlin.Gustav Ritter von Kahr, Hans Ritter von Seißer und Otto Ritter von LossowAus Sicherheits-, aber ebenso aus Platzgründen ist der Prozess in keinem Gerichtsgebäude, sondern der Infanterieschule an der Blutenburgstraße anberaumt. Eine überlieferte Lageskizze des Verhandlungssaals zeigt, dass fünf Reihen zu beiden Seiten eines Mittelgangs für die Presse reserviert bleiben. Keine Zeitung kann es sich leisten, nicht darüber zu schreiben, was die auflagenstarken Münchner Neuesten Nachrichten „ein Weltereignis“ nennen. Alle Welt kann sich vergewissern, wie viel Nachsicht, wenn nicht Respekt dem Angeklagten Hitler zuteilwerden. Er soll nicht dafür büßen, „völkischer Idealist“ zu sein. Auch will man ihn gnädig stimmen. Die Verstrickung maßgeblicher Honoratioren des Freistaates in einen Staatsstreich möge – wenn überhaupt – mit Takt erinnert werden. Gemeint sind Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr, der De-facto-Regierungschef, Polizeioberst Hans Ritter von Seißer, Chef der bayrischen Landespolizei, und Generaloberst Otto Ritter von Lossow, höchste Charge der Reichswehr in München. Sie haben von den Putschplänen gewusst, daran gefeilt, nichts unterbunden. Am Abend des 8. November 1923 schließen sich alle drei im Bürgerbräukeller mit kurzen Erklärungen unter dem Beifall der nationalen Verbände ausdrücklich an.Zwar wird in der Nacht darauf widerrufen – das Bekenntnis zu Hitler sei von diesem mit vorgehaltener Pistole abgepresst worden, so das Triumvirat im Zeugenstand an der Blutenburgstraße. Tatsächlich hat sich bei den Herren am frühen Morgen des 9. November 1923 gegen drei Uhr die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Reichswehr nicht mitspielt. Reichspräsident Friedrich Ebert hat General von Seeckt („Die Reichswehr bin ich“) die vollziehende Gewalt im Staat übertragen. Und der will nichts weniger als putschen.Von Kahr verspricht Hitler: „Exzellenz, ich werde treu hinter Ihnen stehen wie ein Hund“Einem „Marsch auf Berlin“ würde daher Ähnliches widerfahren wie Hitlers und Ludendorffs Aufmarsch vor der Münchner Feldherrenhalle am Mittag des 9. November. Nachdem eine Polizeikette den Zug unter Feuer nimmt, liegen dort 14 Putschisten tot auf dem Pflaster, daneben vier durch den Schusswechsel gestorbene Polizisten. Hitler flieht, Ludendorff marschiert weiter. Bis zur Festnahme. Im Prozess sagt er über von Kahr, von Seißer und von Lossow, an jenem Tag habe „die große Stunde in ihnen kleine Menschen gefunden“. Hitler geht mehr ins Detail, wie das Prozessstenogramm festhält: „Tatsache war eines – gegen Ende Oktober 1923 haben die Herren Lossow, Seißer und Kahr mit uns das gleiche Ziel gehabt, nämlich die Reichsregierung zu beseitigen in ihrer heutigen internationalistischen und parlamentarischen Einstellung und an ihre Stelle eine nationalistische, absolut antiparlamentarische Regierung zu setzen – ein Direktorium. Wenn tatsächlich unser ganzes Unternehmen Hochverrat gewesen wäre, dann müssen diese Herren mit uns Hochverrat getrieben haben.“ Besprochen worden sei unter anderem „die geheime Mobilmachung für den ‚Tag X‘“. Kurzerhand schließt Richter Neithardt an diesem zwölften Verhandlungstag die Öffentlichkeit aus. Nur noch Gericht und Staatsanwaltschaft hören, was Hitler durch seinen Anwalt aus einer Rede Ritter von Kahrs am 8. November im Bürgerbräukeller zitieren lässt. „In der Zeitaufgabe der Schaffung des neuen Menschen liegt die sittliche Berechtigung der Diktatur, denn sie bietet die einzige Möglichkeit, die Grundlage für die Erziehung des neuen Geschlechts freier Deutscher zu schaffen.“Von Kahr sagte das aus freien Stücken, Hitler hatte den Saal noch nicht betreten, noch nicht in die Decke geschossen, kein Maschinengewehr aufstellen und keinen Stoßtrupp alles abriegeln lassen. Auch war noch nicht der Satz gefallen, der einem Treueschwur Hitlers zu gleichen schien: „Exzellenz, ich werde treu hinter Ihnen stehen wie ein Hund.“ Da hatten sich zwei. Was sie allein trennte, war die Überzeugung, selbst – nicht der andere – zum Diktator berufen zu sein.Bevor am 1. April 1924 in der Infanterieschule München die Urteile gesprochen werden, will auch Staatsanwalt Ludwig Stenglein am Hochamt für die Todfeinde der Republik teilhaben. In Teilen wird sein Plädoyer zur Laudatio für Hitler: „Über seine Parteipolitik habe ich hier kein Urteil zu fällen; sein ehrliches Streben aber, in einem unterdrückten und entwaffneten Volke den Glauben an die deutsche Sache wiederzuerwecken, bleibt unter allen Umständen ein Verdienst. Er hat hier, unterstützt durch seine einzigartige Rednergabe, Bedeutendes geleistet.“Am 19. Dezember 1924 verlässt Adolf Hitler die hoch über dem Lech gelegene FestungshaftanstaltRichter Neithardt verurteilt Hitler zu fünf Jahren Festungshaft, versehen mit dem ausdrücklichen Vermerk in der schriftlichen Fassung des Richterspruchs, dass vier Monate bereits abgesessen seien und „nach Verbüßung eines weiteren Strafteils von sechs Monaten Festungshaft Bewährungsfrist in Aussicht“ stehe. Wieder wird Recht gebeugt, nicht zufällig durch Richter Georg Neithardt, der weiß und will, was er tut. Am 12. Januar 1922 hat er Hitler wegen Landfriedensbruchs verurteilt, aber die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Wer putscht, hat dagegen, sollte man meinen, mehr als klar verstoßen und kann nach geltendem Recht nicht erneut begünstigt werden. Kann er sehr wohl. Am 19. Dezember 1924 verlässt Adolf Hitler die Festungshaftanstalt Landsberg, hoch und malerisch über dem Lech gelegen, als freier Mann. Eine Justizkomödie braucht bis zum Schluss, was ihr und dem Publikum gefällt. Ihre Oberspielleiter sind keine Trottel, sondern Komplizen eines reaktionären Komplotts, das die Republik in Schach hält.Unter den Toten des 9. November 1923 vor der Münchner Feldherrenhalle liegt auch der Oberste Gerichtsrat Theodor von der Pfordten, bei dem man die Verfassung der Putschisten findet. Darin ist u. a. zu lesen, die Pressefreiheit und alle anderen bürgerlichen Rechte ruhen, Hausdurchsuchungen sind durchweg erlaubt, alle Parteien aufgelöst. Zuwiderhandlungen werden mit dem Tode bestraft. Worüber ein „Nationalgericht“ zu befinden hat, dessen Urteile innerhalb von drei Stunden durch Erschießen oder Erhängen zu vollstrecken sind. Es ist ein Vorgriff auf Kommendes.
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