Der Nachweis, dass eine Regierung und ein Staat politisch bankrott sind, weil sie für die Sicherheit ihrer Bürger nichts mehr oder nicht genug tun können, lässt sich am besten in der Hauptstadt führen. Das sichert Aufmerksamkeit über Landesgrenzen hinweg und sät Zweifel am Handlungsvermögen der zuständigen Autorität. Offenbar haben sich die Taliban mit unerbittlicher Hingabe der Absicht verschrieben, diesen Beweis anzutreten.
Es gab innerhalb weniger Tage in Kabul zwei verheerende Anschläge, die ihnen zugeschrieben werden – erst den Angriff auf das Hotel Intercontinental, bei dem 20 Hotelgäste starben. Diesem Inferno folgte am 27. Januar die Wahnsinnstat eines Selbstmörders, der sich in bester Stadtlage mit einem Krankenwagen in die Luft sprengte und mehr als 100 Menschen in den Tod riss. Schließlich wurde zu Wochenbeginn eine Militäreinheit an der Marschall-Fahim-Akademie angegriffen, wieder gab es Todesopfer, nur dass in diesem Fall ein IS-Ableger zuständig sein soll.
Keine Friedensstifter
Wie es um die Motive der Täter auch immer bestellt sein mag – wer mit solcher Menschenverachtung vorgeht, verdient Verachtung. Was sonst? Weder Verhandlungen, noch Verantwortung für das Land, noch Teilhabe an der Regierung.
Wer einen asymmetrischen Krieg führt und dafür die eigenen Landsleute als Geiseln nimmt, legt wert auf die Botschaft: An der Barbarei sollt ihr uns erkennen und fürchten lernen. Es ist eine so urwüchsige wie unbestreitbare geschichtliche Erfahrung, wer keinen Frieden stiften will, weil er damit möglicherweise nichts anfangen kann, droht mit Gewalt und übt sie aus.
Frieden lässt Feindbilder verblassen, erschüttert das Mauerwerk, mit denen sich Machthaber um ihrer selbst willen umgeben, lässt Köpfe heller werden und Gefolgschaften schwinden. Was davon könnte den Taliban willkommen sein, nachdem sie zwischen 1996 und 2001 ihr Land zum Kalifat erklärt haben, in dem eine brachiale Auslegung des Koran galt?
Ihr Terror kann kein Mittel zur Befreiung des Landes von militärisch aufgeladener Fremdbestimmung sein, wenn darin einen Vorgriff auf ihre Art von Selbstbestimmung zu vermuten ist. Die Absurdität sich darin spiegelnder Weltzustände wird vollends offenbar, werden die Erklärungen der Täter zur Verklärung des Terrors bemüht. Zum Beispiel, dass die USA und ihre Verbündeten ebenfalls der Barbarei verfallen, wenn sie bei Luftangriffen in Afghanistan – von den Folgen anderer Militäroperationen abgesehen – unbeteiligte Zivilpersonen töten.
Mittel zum Zweck
Auch sie sind Opfer terroristischer Gewalt. Diese wurzelt in dem hybriden Anspruch, ein Land seit nunmehr 17 Jahren, seit der ersten US-Intervention kurz nach 9/11 – missionieren zu wollen, „Demokratie“ zu verordnen und auf Gewalt als Mittel zum Zweck angewiesen zu sein. Oder sein zu wollen, um auf der eigenen – wie der Seite der Aufständischen – ohne Skrupel den Krieg als vorübergehende Lösung oder gar Dauerlösung zu betrachten, weil es für Afghanistan keine andere Lösung gibt.
Das ist keine Kapitulation vor der Logik der Ereignisse, sondern ein Hinweis auf das Vermeiden von Lösungskompetenz, wie sich das auch in anderen Weltgegenden zeigt. Aus dem Vermeiden von Lösungen wird wird zusehends ein Verzicht auf Lösungen. Ein augenscheinlich erfolgversprechender Ansatz, sonst gäbe es keine derartige Konstanz bei der Zahl regionaler Konfliktherde, bei denen sich seit Jahren nichts zum Besseren wendet. Damit sind nicht nur Libyen, Syrien, Palästina oder der Jemen gemeint – auch Somalia und der Südsudan wären anzuführen. Die jüngsten Terroropfer von Kabul und anderswo in Afghanistan wären dann zu den Kollateralschäden einer Politik zu rechnen, die den Krieg als Mittel zum Zweck wie zur Selbstbestätigung und zum Selbsterhalt, nicht verlieren will. Das gilt für die Taliban wie ihre westlichen Gegner.
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