Regierungskunst vom Feinsten

Außenpolitik Kanzlerin Merkel hält es für "angemessen", wenn Syrien aus der Luft angegriffen wird, will es aber mit der deutschen Waffenbrüderschaft nicht übertreiben
Angela Merkels Haltung zu den Luftangriffen auf Syrien  ist ein Paradebeispiel für wohlfeilen Opportunismus
Angela Merkels Haltung zu den Luftangriffen auf Syrien ist ein Paradebeispiel für wohlfeilen Opportunismus

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images

Die deutsche Regierung war zwar dafür, dass es den jüngsten Angriff auf Syrien gab, wollte aber nicht dabei sein. Zumindest militärisch nicht. Nur weshalb, wenn man doch ansonsten überzeugt ist, dass Trump, Macron und May das Richtige getan haben? Am schlechten Zustand des fliegenden Materials der Bundesluftwaffe kann es schwerlich liegen. Die ist bei anderen Missionen im Nahen Osten sehr aktiv. Deren Luftaufklärung hatte Anteil daran, dass US-Kampfjets große Teil Mossuls vor einem Jahr in Schutt und Asche legen konnten, um den IS zu vertreiben, nicht ohne vorher Tausende Zivilisten unter den Trümmer ihrer Häuser ersticken zu lassen. Es kann also nicht daran liegen, dass sich Deutschland militärisch nicht hinreichend satisfaktionsfähig fühlt, um auf Syrien Raketen abzuschießen.

Den Kriegsstrick drehen

Aber Kanzlerin Merkel kennt die Umfragen und weiß, dass nur 15 bis 20 Prozent der Deutschen eine gewalttätige Eskalation des Westens in Syrien gutheißen, und dass eine Verstrickung in diesen Bürger- und Stellvertreterkrieg höchst unpopulär ist. Außerdem dürfte kaum jemandem entgangen sein, was und wie viel von Libyen übrig blieb, seit dort 2011 die NATO aus der Luft intervenierte. Also ist Vorsicht geboten. Deshalb heißt Bündnistreue nicht Waffenbrüderschaft. Das erinnert an den Spätsommer 2013, als sich der damalige US-Präsident Obama auf die Rote Linie eines Luftschlages gegen Syrien zubewegte. Merkel steuerte seinerzeit einen ähnlich irrlichternden Kurs, der auf politische Anteilnahme, aber militärische Abstinenz hinauslief. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl am 22. September 2013 konnte allzu bellizistisches Gebaren Wählerstimmen kosten. Besser nicht den Kriegsstrick drehen, wenn einem daraus selbst ein Strick gedreht zu werden verspricht. Opportunismus kann als existenzsicherndes Verhalten verständlich sein – als Haltung ist das verwerflich, wenn die völlig prinzipienlos gerät.

Will heißen, wer die Beteiligung an einem Angriff auf Syrien absagt, ist nicht feige, sondern glaubwürdig, sofern damit klar zum Ausdruck gebracht wird: Dieser interventionistische Eingriff ist allein deshalb abzulehnen, weil damit erneut Völkerrecht beschädigt und gebrochen wird. Es wirkt zynisch und ist eine Beleidigung von Vernunft und Verstand, wenn Außenminister Maas keine 48 Stunden nach einer Kriegshandlung, die er gutheißt, zur Syrien-Diplomatie zurückkehren will. Wie soll das jemandem abgenommen werden, der kein Problem damit hat, dass enge Verbündete die UN-Charta wie einen Anachronismus behandeln? Was soll die Phrase von der Einbeziehung Russlands, wenn absolut nichts getan wird, um ein Minimum an Vertrauen wiederherzustellen?

Ein Beispiel geben

Seit Jahren deklamieren Politiker des Regierungslagers, Deutschland müsse mehr internationale Verantwortung übernehmen. Jetzt wäre die Gelegenheit. Nicht in der Rolle des Beifahrer auf dem Trittbrett militärischer Abenteurer, sondern eines Staates, der sich dagegen verwahrt, dass eine Weltordnung immer mehr Chaos und Anarchie verfällt, der das Recht nichts mehr anhaben darf.

Ein Beispiel dafür, dass man verheerenden Fehlentscheidungen nicht aus Bündnisräson folgen muss, haben Frankreich und Deutschland – Präsident Chirac und Kanzler Schröder – im Frühjahr 2003 geliefert. Als der damalige US-Präsident Bush mit einer „Koalition der Willigen“ (ganz vorn dabei auch damals ein britischer Regierungschef – der Labour-Premier Blair) einen Angriff auf den Irak befahl, verweigerten sie sich. Und sie taten das an der Seite Russlands und Präsident Putins. Das verschaffte Ansehen und außenpolitisches Gewicht. Denn schon bald nach dem Irak-Einmarsch war erkennbar, dass die USA eine Büchse der Pandora geöffnet und ein ganzes Land in den Abgrund gerissen hatten.

Wenn Kanzler Schröder einem George Bush Paroli bot, der sich als imperialer Überzeugungstäter gerierte, wie leicht sollte es dann erst Angela Merkel fallen, sich Donald Trump zu widersetzen, der als Inkarnation irrationaler Geltungssucht sein Unwesen treibt? Wenigstens einen Sondergipfel der EU hätte sie doch anregen können. Wo bleibt die EU mit ihrer einst deklarierten Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik? Die sollte im Einvernehmen mit dem Völkerrecht betrieben werden und nicht ausgerechnet dann ein Schattendasein fristen, wenn EU-Staaten wie Frankreich und Großbritannien genau dagegen verstoßen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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