Wer Geschichte bemüht, sollte das nicht zulasten der Umstände tun, unter denen Geschehnisse dazu wurden. Als Olaf Scholz jüngst vor der UN-Generalversammlung die Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die Weltorganisation vor 50 Jahren streifte, passierte genau das. Er würdigte die „visionäre Politik der Entspannung“ des Kanzlers Willy Brandt und klammerte aus, wer auf der anderen Seite daran Anteil hatte, dass „Ostpolitik“ in völkerrechtlich verbindliche Verträge mündete.
Schließlich hatte die BRD der sozialliberalen Koalition einst nicht mit sich selbst verhandelt. Im August 1970 war die Sowjetunion Leonid Breschnews der Partner für den „Moskauer Vertrag“, Ende 1970 die Volksrepublik Polen für den
der Partner für den „Moskauer Vertrag“, Ende 1970 die Volksrepublik Polen für den „Warschauer Vertrag“ und im Jahr 1972 die DDR-Regierung für den „Grundlagenvertrag“.Ende des AlleinvertretungsanspruchsScholz hob bei seinem Auftritt in New York zu Recht hervor, dass ein Bekenntnis zum Gewaltverzicht in Bonn ebenso wie in Moskau, Warschau und Ostberlin das Ost-West-Verhältnis entkrampfen half. Doch wurde westdeutscher Außenpolitik seinerzeit vor allem abverlangt, Nachkriegsrealitäten in Europa anzuerkennen. Das galt für die Oder-Neiße-Grenze zwischen der DDR und Polen, die bis dahin in Bonn als „Ausverkauf deutscher Interessen“ diskreditiert war, wie die Existenz von zwei deutschen Staaten, die im Sinne der UN-Charta unabhängig voneinander waren.Um dieser Selbstverständlichkeit Genüge zu tun, gab es in besagtem Grundlagenvertrag DDR/BRD den Passus: Beide Seiten „gehen davon aus, dass keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten oder in seinem Namen handeln kann“. Bis dahin hatte das Dogma von der „nicht existenten DDR“ einen westdeutschen Alleinvertretungsanspruch gesalbt.Sanktionen der BRDBrandts „Ostpolitik“ barg insofern auch das Eingeständnis vom Scheitern der „Hallstein-Doktrin“ (sie ging auf einen Staatssekretär Konrad Adenauers zurück), die bis in die späten 1960er hinein jeden Staat, der die DDR anerkannte und mit ihr Botschafter austauschte, mit Sanktionen bedrohte. Das konnte bis zum Abbruch des diplomatischen Verkehrs reichen. Exempel wurden 1957 mit Jugoslawien, 1963 mit Kuba und 1969 mit Kambodscha statuiert. Bundesregierungen maßten sich allen Ernstes an, im Ausland „für das deutsche Volk“ allein zu sprechen. Kanzler Scholz machte nun vor der UNO geltend, dass er nicht „aus historischem Interesse“ das Gewaltverbot, die Unverletzlichkeit der Grenzen und die souveräne Gleichheit der Staaten als UN-Prinzipien hervorhebe. Natürlich nicht, es ging um Russland, dem besser angekreidet werden kann, gegen diese Normen zu verstoßen, wenn die eigene Weste eine weiße ist, was „aus historischen Gründen“ der Wahrheit widerspricht.Der beigefügte „Brief zur deutschen Einheit“Es gab nicht nur die „Hallstein-Doktrin“, die Rechte souveräner Staaten missachtete. Die Brandt-Regierung selbst gefährdete den Ost-West-Ausgleich, indem sie darauf bestand, dass die „nationale Frage“ von vertraglichen Beziehungen DDR/BRD unberührt blieb. Dem „Moskauer Vertrag“ wurde gar ein „Brief zur deutschen Einheit“ beigefügt, um das Streben danach zu bekunden und der DDR zu bedeuten, dass sie genau genommen stets zur Disposition stehe.In der Konsequenz hieß das unter anderem, eine DDR-Staatsbürgerschaft bis zuletzt nicht anzuerkennen und ein Vertretungsrecht für DDR-Bürger zu haben. Ein dosierter, aber fortdauernder Alleinvertretungsanspruch, der im Widerspruch zu Artikel 2 der UN-Charta stand, mit dem der „Grundsatz der souveränen Gleichheit“ aller UN-Mitglieder betont wird, zu denen sich die DDR seit 1973 doch wohl zählen durfte. Was war diese „Gleichheit“ wert, wenn sich ein UN-Mitglied das Recht nahm, die Staatsbürger eines anderen zu reklamieren?„Aus historischem Interesse“ wäre zudem ins Gedächtnis zu rufen, dass die 25. UN-Generalversammlung mit ihrer Deklaration vom 24. Oktober 1970 unter Punkt 3 für all ihre Mitglieder festschrieb, „sich nicht in Angelegenheiten einzumischen, die in Übereinstimmung mit der Charta zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“. Regierungen in Bonn nahmen es da gegenüber Ostberlin nie so genau, es hatte sich endgültig erledigt, als die DDR 1990 zwar noch bestand, aber als Staat nicht mehr satisfaktionsfähig war.