Es ist bereits der vierte Gipfel seit Kriegsbeginn in der Ukraine, den die NATO diesmal in Litauen veranstaltet und einen Aufschlag nach dem anderen landen will – sei es in Sachen Ukraine, Wehretat, Aufrüstung und Kriegsfähigkeit, China und Asia-Pacific-Präsenz oder Truppenstationierung an der Ostflanke. Es wird eingeschworen auf eine globale Agenda und einen ebensolchen Aktionsradius.
Erinnerungen an 1999 und den Jubiläumsgipfel seinerzeit in Washington wie der dort verabschiedeten Out-of-Area-Strategie werden wach. Deren Bilanz allerdings fällt im Rückblick eher bescheiden aus, denkt man nur an Afghanistan, Nordafrika (Libyen) oder den Nahen Osten, speziell den Irak und Syrien, wo der Militärpakt mit teils relevanten Mitgliedstaaten auf den lokalen
r Militärpakt mit teils relevanten Mitgliedstaaten auf den lokalen Regime Change setzte bzw. in Anti-Terror-Operationen gegen den Islamischen Staat (IS) eingriff. Nur die kurdische Autonomie in Nordsyrien nicht schützte und türkischem Invasionsdrang überließ.Ungedeckte WechselDiesmal steht über allem die Frage, wie man im Umgang mit der Ukraine der Kriegslogik gehorcht, ohne in einen Kriegssog zu geraten, aus dem es möglicherweise kein Entrinnen mehr gibt. Daher wird die Ukraine nicht aufgenommen, aber mit dem Versprechen aufgebaut, dass es soweit sein wird, wenn der Krieg beendet und ein Waffenstillstand erreicht sein wird. Ein Wechsel auf die Zukunft, dem die verlässliche Deckung fehlt. Niemand kann heute wissen, zu welchen Bedingungen eine Feuerpause für wie lange vereinbart und wie belastbar sein wird. Eingefrorene Konflikte sind immer auch eingefrorene Kriege.Ein NATO-Mitglied Ukraine könnte versucht sein, sie aufzutauen und die Allianz für die Konsequenzen in Haftung zu nehmen. „Minsk I“ und „Minsk II“ haben bewiesen, wie Kiew mit geschlossenen Verträgen verfahren kann. Abgesehen davon, dass in diesem Fall eine Beistands- einer Kriegsgarantie gleichkommt, wären im Ernstfall nicht Litauen oder Estland zu verteidigen, sondern der nach Russland zweitgrößte Flächenstaat Europas. Die ukrainische West- als NATO-Ostgrenze einstufen und behandeln zu müssen, das verlangt Ressourcen, die es schlichtweg nicht gibt.Warum sonst die Klagen darüber, dass es derzeit kaum gelingt, etwa in den drei baltischen Staaten NATO-Kräfte zu dislozieren, die laut Brüsseler Hauptquartier als ausreichend gelten, um Russland „abzuschrecken“? Der Vilnius-Gipfel soll zwar nach dem Comprehensive Report on Deterrence and Defence „Regionalpläne“ beschließen, wonach es klare Stationierungsvorhaben gibt – z.B. eine gut 4.000 Mann umfassende deutsche Brigade in Litauen – nur sind diese Pläne ebenfalls eher ungedeckte Wechsel, solange Personal und Infrastruktur fehlen. Und solange nicht geklärt ist, in welchem Verhältnis Abschreckung und Angriffsvermögen dieser Kontingente stehen. Asien in VilniusBeachtung verdient die im Kommuniqué zu erwartende Aussage, wonach bei den Spannungen zwischen China und Taiwan „vitale Sicherheitsinteressen des Bündnisses“ berührt werden. Tatsächlich wird die NATO für das Bemühen der USA instrumentalisiert, außerhalb des Bündnisgebietes Flagge zu zeigen, was in Europa nicht unumstritten ist, wie das allein französischem Unbehagen zu entnehmen ist. Da sich die Biden-Administration dessen durchaus bewusst ist, greift sie auf das Vehikel regionaler Sicherheitspartnerschaften mit Südkorea, Japan, Neuseeland und Australien zurück. Der AUKUS-Pakt der USA, Großbritanniens und Australiens von 2021 lässt grüßen.Skeptische westeuropäische NATO-Partner werden beschwichtigt, indem die Regierungschefs der Asia-Pacific-Four nach Vilnius gebeten sind. Der gegen China gerichteten Schlagseite dieses Gipfels nimmt das nichts, im Gegenteil. Es erscheint wenig nachvollziehbar, weshalb auf einen konfrontativen Umgang mit der asiatischen Großmacht so viel Wert gelegt wird. Dem Westen genehme Breschen in das Verhältnis zwischen Moskau und Peking werden dadurch eher verhindert als geschlagen. NATO-Gipfel 2024 in Washington Bliebe noch die zum Fetisch erhobene Zweiprozent-Marge, die künftig eine Untergrenze markieren soll, geht es um die Mittel, die jedes NATO-Mitglied aus seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) für den Wehretat abführen soll. Das auf Dauer festzuschreiben, heißt, auf Dauer den Gesellschaften Ressourcen zu entziehen, die sozialem Ausgleich oder innerem Frieden zugutekommen können. Wie Not das täte, haben gerade erst die Unruhen in Frankreich gezeigt.Worin der Sinn und Wert dieser Zwei-Prozent-Vergatterung bestehen soll, wird nicht weiter diskutiert. Immerhin obliegt es nationaler Regie, wofür – bei allen Bündnisverpflichtungen – das Ausgabenplus verwendet wird. Im Fall Frankreichs und Großbritanniens etwa werden mit steigenden Rüstungsausgaben seit jeher Erhalt und Modernisierung der eigenen Nukleararsenale finanziert, die bekanntlich keinem NATO-Kommando unterstehen. Ungeachtet dessen gelten Paris und London mit ihren Fast-Zwei-Prozent-Etats als Vorbilder, denen andere nacheifern sollten.Nur steht eines außer Frage, je länger der Ukraine-Krieg dauert und je mehr militärischen Support die NATO mobilisieren will, desto weniger werden alle Mitgliedsstaaten Gefallen daran finden, dem Genüge zu tun.2024 ist wieder ein Jubiläumsgipfel fällig, der zum 75. Jahrestag der Allianz. Es steht bereits fest, dass wieder Washington der Austragungsort sein soll. Könnte dann die Ukraine die Beitrittsschwelle nehmen? Die anstehenden Beschlüsse von Vilnius deuten nicht darauf hin. Es sei denn, diese Allianz – seit 1990 ein Anachronismus zum Schaden von Frieden und internationaler Sicherheit – spielt noch mehr va banque, als das jetzt schon der Fall ist.