Ist es Frühling oder vielleicht schon Sommer – ganz genau weiß man das nie, hier in San Francisco. Der Valentinstag fiel auf ein langes, sonniges Wochenende. Am Sonntagmorgen gehen die Singles der Stadt ritualisiert ihren Hobbys nach: Sie stehen in langen Schlangen vor hippen Brunch-Restaurants und wischen sich auf Tinder ihre Daumen wund, um kurz vor Torschluss noch ein Date für den Abend zu bekommen.
Man könnte meinen, Single sein sei einfach in der Stadt, die kollektiv am Peter-Pan-Syndrom der nicht erwachsen werdenden Männer leidet. In der es völlig normal ist, mit 40 in einer WG zu wohnen, und wo „Was machst du beruflich?“ als politisch inkorrekt befunden wird und das weniger anmaßende „Womit verbringst du so deine Zeit?“ den Smalltalk dominiert. Tatsächlich beklagen sich Männer darüber, dass es in der Stadt zu wenige Frauen gebe, und Frauen darüber, dass die Männer hier komplett inadäquat seien. Wie immer in San Francisco suchen alle gern die Schuld bei der Tech-Industrie und laden sich im nächsten Atemzug eine neue Dating-App runter, um das Problem mit Technik zu lösen. Entsprechend groß ist der Markt für Dating-Angebote. Ein Freund von mir hat 18 verschiedene auf seinem Handy, „um niemanden zu verpassen“. Bristlr ist für Männer mit Barthaaren im Gesicht, WoofDate für Männer mit Haaren auf dem Rücken. 3nder bietet, weil zwei noch nicht genug sind, Dating für Dreier an. Und „The League“ möchte selektiv die Eliten der Ivy League, des Clubs der acht sozial exklusiven Top-Unis der USA, aneinander vermitteln. Quasi Eugenik aus dem App Store. Spektakulär gescheitert ist „The Dating Ring“ mit dem Versuch, paarungswillige Frauen aus New York für Blind Dates nach San Francisco einzufliegen und dafür Männer aus dem Y-Chromosom-dominierten San Francisco nach New York zu schicken.
Frauen in San Francisco beschreiben das Problem so: Alle interessanten Männer seien vergeben, nur zwei Typen blieben übrig. Die einen seien schnell an ihren Jeans und Start-up-T-Shirts zu erkennen, nett, freundlich, hervorragende Gesprächspartner – aber eben nur, solange es um die hanebüchenen Mängel der Hexadezimalschreibweise des IPv6-URL-Schemas geht.
Die anderen: „Brogrammer“. Sie finden, dass die Brother-Kurzform „Bro“ immer noch ein erstrebenswerter Titel ist, sie wohnen im von Strandpromenadenjoggern, Jachtclubs und Mittdreißigern bevölkerten Bezirk Marina und trinken Rosé, der farblich mit ihren Ralph-Lauren-Polo-Shirts abgestimmt ist. Und ja, sie nennen den Wein Brosé, wohl um den durch ihren Rosé-Genuss befürchteten Verlust an Männlichkeit auszugleichen. Tech-Bros gehen zwar fleißig ins Fitnessstudio, trainieren aber hauptsächlich dafür, beim ersten Anzeichen von Gefühlen schnell wegzulaufen.
Diese hyperbolische Stereotypisierung ist leider symptomatisch für die Stadt, die neben ihren echten Problemen täglich mehr Klischees bekämpfen muss als jede andere. Dating ist eines dieser Probleme, das sich wohl am besten lösen lässt, indem man das Smartphone einfach mal in der Tasche stecken lässt.
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