Rachid Taha ist tot

Nachruf Rachid Taha brachte Raï mit Rock und Techno zusammen. In Deutschland war er nahezu unbekannt, in Frankreich ein Star. Am 12. September ist er gestorben

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Rachid Taha war ein Musiker, der seine Songs ebenso fingerschnippend und tänzelnd im Griff hatte wie sein Publikum
Rachid Taha war ein Musiker, der seine Songs ebenso fingerschnippend und tänzelnd im Griff hatte wie sein Publikum

Foto: Paolo Bruno/Getty Images

Eingebetteter Medieninhalt

Wäre die algerische Familie Taha einst nach Stuttgart oder Pforzheim ausgewandert anstatt in ein Kaff in der Nähe von Straßburg und später nach Lyon – gut möglich, dass auch hierzulande die breite Öffentlichkeit Hauptnachrichten-Information erhalten hätte über den Tod eines eines gleichermaßen außerordentlichen wie populären Musikers. In Frankreich jedenfalls sind die Gazetten und Portale derzeit voll mit Nachrufen auf Rachid Taha, der am 12. September – einige Tage vor seinem 60. Geburtstag – an einem Herzinfarkt starb. Allerdings: Der musikalische Acker für den »Punk des Raï« (Le Monde) wäre in Germany bedeutend steiniger ausgefallen. Die arabische Community ist, verglichen mit Frankreich, überschaubar. Das Spannungsfeld, dass Frankreich mit seinen arabischen und schwarzafrikanischen Communities liefert, gibt es hierzulande nicht. Obwohl, betreiben wir ein wenig Was-wäre-wenn-Geschichte: Vielleicht hätte Taha auch in Germany ein neues Genre aus der Taufe gehoben – den Maghreb-Punk vielleicht?

Den roten Teppich zur Musikkarriere hat man Rachid Taha auch in Frankreich nicht ausgelegt. Als Einwandererkind lebte er in beengten, oftmals provisorischen Verhältnissen. Provisorisch waren die Jobs (unter anderem Heizungsbauer, Anstreicher, Abwäscher sowie Enzyklopädieverkäufer von Tür zu Tür), provisorisch waren auch die ersten musikalischen Gehversuche. Wie für viele seiner Generation war der britische Punk das Offenbarungserlebnis – speziell der politische, antirassistische Zweig, für den Bands wie The Clash oder die Tom Robinson Band standen. Nach Versuchen als Plattenaufleger und Sample-Createur stellte Taha seine erste Band zusammen. Der Name: Carte de sejour – das französische Wort für Aufenthaltserlaubnis. Der Sound lag Ende der Achziger in der Luft. Raï – eine elektrifizierte, mit Rock-Elementen sowie reichlich Texten über das beschissene Leben angereicherte Variante nordafrikanisch-arabischer Popularmusik – machte auch in Deutschland Furore. Vor allem unter Linken, die mit Raï endlich einen handfesten, rockkompatiblen Ableger des damals Ethno Music oder World Musik titulierten Hauptgenres erhielten.

Carte de sejour tourten auch in Deutschland (wo auch der Verfasser dieser Zeilen das erste Mal Live-Bekanntschaft mit der Band machte). Der Rest ist Geschichte. Die Band hatte ein, zwei Hits. Dann startete Sänger Taha die obligatorische Solokarriere, zog nach Barbès, das Pariser Immigranten-Quartier nahe Montmartre. Was folgte, waren knapp zehn Alben – Studioalben, Livealben, auch zwei Konzeptalben. Obwohl es karrierelle Rückschläge gab, gelang es Rachid Taha, Zug um Zug in die erste Garde der französischen Rock- und Raï-Interpreten vorzurücken. Vergleichbar war er am Ende vielleicht noch mit Cheb Khaled, dem anderen herausragenden französischen Raï-Interpreten und, wenn man so will, dem Paten dieser Musikrichtung (hier ein Live-Video mit seinem Hit »Aicha«). Im Unterschied zu Khaled pflegte Taha noch stärker den Crossover – das Zusammenführen unterschiedlicher Musikbestandteile in einen Sound, in dem nordafrikanische Bestandteile, Rock und Techno-Samples gleichermaßen präsent waren.

Eingebetteter Medieninhalt

Rachid Taha war eine Rampensau auf der Bühne – ein Musiker, der seine Songs ebenso fingerschnippend und tänzelnd im Griff hatte wie sein Publikum. Seine Vorliebe für Substanzen jeglicher Couleur waren ebenso bekannt wie die Sonnenbrille, die auch auf der Bühne eines seiner Markenzeichen war. Kurzum: Taha lebte den Rock’n’Roll mit den üblichen Facetten. Frappierend an seinem Oeuvre ist, dass es vor allem drei Fremd-Songs sind, die zu den überragenden Highlights seines Schaffens gehören. Der erste ist »Douce France« – ein altes Résistance-Chanson aus der Feder von Charles Trenet, das Carte de sejour ironisch-keck zu einer Zustandsbeschreibung des Lebens der maghrebinischen Franzosen zweckentfremdeten. Tahas All-Times-Hit ist wahrscheinlich der alte Schlager »Ya Rayah« – ein Song des algerischen Sängers Damane El Harrachi, der Anfang der 1970er zum Hit avancierte, seinem Schöpfer jedoch, trotz einer Reihe von Cover-Versionen, kein Glück gebracht hat (er starb, nach einem langjährigen Exodus in Frankreich, 1980 vergessen in Algier).

Ein Konzert-Gassenhauer war stets auch Tahas Interpretation des Clash-Songs »Rock the Casbah«. Ein Song, zu dem es jene Art Randanektoten gibt, wie sie für die Rockmusik geradezu typisch sind. Taha äußerte in Gesprächen regelmäßig, die Komposition stamme eigentlich von ihm; in der Begründungsphase von Carte de sejour habe er der britischen Formation ein Demotape zugespielt, auf welchem auch der Casbah-Titel mit enthalten gewesen sei. Später habe er sich nicht mehr darum gekümmert – bis The Clash das Stück 1991 in die Charts und auf die Dancefloors brachten. Wahr? Eine (geflunkerte) Geschichte? Wir werden es nie erfahren. Ein Zerwürfnis zwischen Taha und den britischen Punkrockern ist – ebenfalls vielleicht typisch für den Punk des französischen Raï – nicht bekannt. Für einen Künstler, der den musikalischen Crossover so zelebrierte wie Taha, wäre ein kleinlicher Streit um einen Song auch eher unpassend gewesen.

Nun ist er – überraschend – verstorben. Der Tod wiegt schwer – nicht nur, weil eine laute, auch politisch klar positionierte Stimme der zweiten Einwanderergeneration nun nicht mehr ist. Rachid Taha ist – war – Teil einer Musikergarde, welche den Stilbruch der 1980er mit New Wave, Punk und immigrantischen Klängen entscheidend mitgeprägt hat. Paradigmisch hier ein Konzert, in er seinen Erfolgshit Ya Rayah zusammen mit einer anderen bekannten Künstlerin des französichen New Wave zum Besten gab – Catherine Ringer, Mitbegründerin der Formation Les Rita Mitsouko. Wobei auch Ringer vor nicht allzulanger Zeit einen tragischen Tod verkraften musste – den ihres Band-Mitbegründers und langjährigen musikalischen Partners Frédéric Chichin, der im November 2007 an Krebs verstorben war.

Eingebetteter Medieninhalt

Zynisch könnte man sagen: Zunehmend ist es das natürliche Ableben, welches die Rock’n’Roll-Hall of Fame füllt. Mit Rachid Taha weilt jedoch mehr als »nur« ein Ausnahmemusiker nicht mehr unter den Lebenden. Die Rock-Musik der Nach-Achtziger war immer auch ein Integrationsmoment. Der »soziale Crossover« zwischen Rock-Fans, Club-People, migrantischer Musikszene und politischen Establishment (vorzugsweise wohl aus den Reihen der Sozialisten) mag begrenzt sein und sicher nicht in der Lage, (allein) die anfälligen Probleme von Migration und (nichtrassistischer) Gleichstellung zu lösen. Es wird schwer, sich ein Miteinander vorzustellen in einer Welt, in der es dieses gelebte Miteinander nicht mehr gibt.

Vielleicht klingen das (zu) pessimistisch, vielleicht auch etwas zu sehr nach dem alten Sinnspruch: Früher war alles besser. Umgekehrt jedoch: Noch vor 50 Jahren wäre die Feststellung, dass ohne den Rock’n’Roll die Welt vor die Hunde geht, den meisten vollends abwegig erschienen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden