Balanceakt im Schatten des Todes

Dietrich Bonhoeffer Am 9. April 1945 wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg hingerichtet. Er war ein herausragender Vertreter der Bekennenden Kirche

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Balanceakt im Schatten des Todes

Foto: KIRILL KUDRYAVTSEV/ AFP/ Getty Images

Sie entstand, nachdem das NS-Regime nach seiner „Machtergreifung“ direkten Einfluss auf die innere Gestaltung der Kirche nahm. Ihre Grundlage war die "Barmer Erklärung". Dietrich Bonhoeffer schloss sich dem Widerstand an, darüber gibt es ausführliche Quellen auch im Internet. (s. linke Spalte)

Vor einiger Zeit schon habe ich die Briefe Dietrich Bonhoeffers aus dem Zuchthaus an seine Verlobte Maria von Wedemeyer „Brautbriefe Zelle 92“ gelesen, die mich sehr beeindruckt haben.

Als diese Briefe im Jahr 1992 zum ersten Mal in Deutschland herausgegeben wurden, sprach die Kritik von einer Sensation. Der Briefwechsel bildete eine Grundlage für den Film „Die letzte Stufe“ über die letzten Monate im Leben Dietrich Bonhoeffers, eine deutsch-amerikanisch-kanadische Koproduktion, die im Jahr 2000 in die Kinos kam.

Die achtzehnjährige ostpreußische Gutsbesitzertochter lernte Bonhoeffer im Jahr 1942 kennen. Als er ihr im Hause ihrer Großmutter in Finkenwalde begegnete, schien sie dem Mittdreißiger wie die Erfüllung all seiner Wünsche. Eine charaktervolle junge Schönheit, stilvoll und lebenszugewandt zugleich. Diese Verlobung war ein Balanceakt - eigentlich sollten die Versprochenen für ein Jahr eine Kontaktsperre einhalten, weil Marias Mutter ihre Tochter für zu jung hielt. Anzunehmen ist auch, dass sie von Bonhoeffers Widerstandsaktivitäten zumindest ahnte und deshalb in Sorge war. Dazwischen kam im Jahr 1943 die Verhaftung des Theologen.

"Auch ohne
Liebe für ihn"

Maria von Wedemeyer hatte zu Beginn dieser Verlobung in ihr Tagebuch geschrieben: »Das Innerste und Eigentliche steht fest - auch ohne Liebe für ihn. Aber ich weiß, dass ich ihn lieben werde«. Auch Bonhoeffer selbst hatte neben seiner Faszination für Maria den Wunsch, eine repräsentative Partnerschaft für die Welt zu leben. Thomas Manns Wort vom »strengen Glück« über seine Verbindung mit Katia Pringsheim kommt in den Sinn. Thomas Mann hatte andere Gründe als Bonhoeffer für ein solches Lebenskonzept, aber beide Verbindungen sind entstanden aus Neigung und mit dem Gedanken, dem eigenen Lebensziel und der Familientradition Angemessenes zu tun, der eigenen Existenz einen Rahmen zu schaffen.
Die Verhaftung Bonhoeffers zwang den beiden Brautleuten eine Vertrautheit auf, die im alltäglichen Umgang nicht entstanden war und in dieser von Familien- und Traditionsbewusstsein geprägten Umgebung auch so schnell gar nicht entstehen sollte. In dieser Atmosphäre mussten die Briefe - die auch noch von fremden Augen kontrolliert wurden - tiefe Verschiedenheiten überbrücken, Nähe herstellen. Sie sind ein Balanceakt im Schatten des Todes. Das gelingt Bonhoeffer viel besser, er ist es gewohnt sich auszudrücken, Nuancen zu setzen. Maria hat es schwerer und manchmal spürt man ihren Briefen die Anstrengung an.

"Furcht vor dem
Verlassen werden"

Es ist Bonhoeffers Furcht, sie könnte sich anders besinnen, sie könnte ihm in Ungeduld oder Verzweiflung abhanden kommen, die auch seine Sprache ändert. Diese Furcht jedoch versteckt er hinter »Gottes Willen«, und schon wegen dieser Briefstelle lohnt sich die Lektüre. Sie sagt alles darüber aus, wie ein Mensch fleht und bittet, dabei aber trotzdem die Regeln setzen will, um die eigene ohnmächtige Furcht vor dem Verlassen werden zu kontrollieren. Nachdem er ihr vorstellt, wie wichtig es sei, zu ihm zu reisen, und fragt: »...spürst du hinter dem allem, dass es mir um unsere Ehe, allein darum geht? Wir dürfen uns nicht uns selbst und unseren Gefühlen überlassen. Daran gehen wir zugrunde.« Und dann: »Die Zeit darf uns einfach nicht zu lang werden. Es gibt über Gottes Willen und unsere Unterwerfung unter ihn einfach keine Diskussion. Ich will gewiss nicht bemitleidet sein, so wenig, wie du es willst, aber ich will, dass du mit mir wartest und geduldig bist, je länger es dauert, desto mehr«.
Niemand könnte sagen, was aus dieser Beziehung geworden wäre. Von Dietrich Bonhoeffers Hinrichtung erfuhr Maria von Wedemeyer erst nach dem Krieg. Sie studierte Mathematik, heiratete mehrmals, hatte Kinder, ging nach Amerika, war sehr erfolgreich in ihrem Beruf. 1977 starb sie an Krebs. Sie war eine höchst eigenständige und faszinierende Frau, berichten alle, die mit ihr Kontakt hatten. Ihre Beziehung zu Bonhoeffer hielt sie in Ehren. Die Begegnung mit ihm hat Zeichen in ihrem Leben gesetzt. Wie es an seiner Seite geworden wäre, wie wäre das zu sagen.

Brautbriefe Zelle 92 – Dietrich Bonhoeffer / Maria von Wedemeyer 1943–1945. C.H. Beck, München 1992

Besonders berührend finde ich nach wie vor Dietrich Bonhoeffers GebetVon guten Mächten wunderbar geborgenauch wenn ich es weniger als Gebet, denn als schöne Utopie lese:

Hier die letzte Strophe

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
Erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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