Ein nicht vermisstes Land?

DDR im Rückblick Eine Antwort auf einen Beitrag von Simone Schmollack zum Film "Das schweigende Klassenzimmer"

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„Ich vermisse die DDR auch nicht, aber ich vermisse einen anderen Umgang mit diesem Land“
„Ich vermisse die DDR auch nicht, aber ich vermisse einen anderen Umgang mit diesem Land“

Foto: Andreas Rentz/Getty Images

Im Jahr 1956 war ich zehn Jahre alt und ging in die 4. Klasse, als der Ungarnaufstand die Welt erschütterte. Wir hörten damals viel BBC London, meine Mutter war eine sehr aufmerksame Beobachterin der politischen Situation. Aber, sie hörte manchmal auch Radio Moskau, die ebenfalls einen deutschen Dienst hatten. Alles war etwas weltläufiger als das was lokale Radiosender anboten. Selten aber hörte sie RIAS Berlin oder andere Westsender, die in Leipzig ohnehin nur mit Störgeräuschen zu empfangen waren.

Meine Mutter ist 1945 aus dem Zuchthaus Bremen-Oslebshausen von den Briten befreit worden. Noch 1944 war sie in Leipzig zu einer Zuchthausstrafe wegen Abhörens von Feindsendern verurteilt worden. Sie war Mitglied der Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und galt deshalb in manchen Kreisen als heimliche Kommunistin. Es war schon immer bequemer, zu vereinfachen.

Zwischenfall in Benderath

Im Jahr 1956 sah ich mir im Kino mehrmals einen DEFA Film an. Er war ab 6 Jahren zugelassen. Ich fand ihn vor allem schön, weil er von der Liebe unter jungen Menschen handelte, etwas das begann mich zu beschäftigen.

Zwischenfall in Benderath war der Titel des Films, bei dem die Liebeständeleien unter Gymnasiasten nur eine Beigabe waren. Er behandelte einen Skandal in einer westdeutschen Kleinstadt. Gedreht ist er nach einer Jugendbuch-Vorlage „Die Sache mit Päker“ von Curt Corrinth.

Ich sah also, wie eine Klasse von Gymnasiasten sich mit einem Schüler solidarisiert, dessen Vater Überlebender des Holocausts ist und als Kommunist bereits wieder unter Beobachtung steht. Dieser Schüler wird von einem Nazi-Studienrat als feiger Orientale und „staatsfeindliches Element“ beschimpft. Die Ursache der Beschimpfung habe ich vergessen, obwohl mir so manche verbalen Scharmützel aus dem Film durchaus noch erinnerlich sind. Humanistische Bildung und Gesinnung verkörpert ein anderer, sehr engagierter Studienrat. Er unterstützt die Schüler, die gegen die Beleidigungen aufbegehren und die Schule boykottieren. Ein beherzter Rechtsanwalt – gespielt von Jochen Brockmann, - kämpft für seinen Sohn und dessen Klassenkameraden. Brockmann hatte ein Jahr zuvor im DEFA-Film „Teufelskreis“ einen mutigen Georgi Dimitroff dargestellt.

Die Presse wird aufmerksam. Am Ende muss Päker sich entschuldigen. Aber, der Vater des Schülers Lewin wird wegen seiner kommunistischen Aktivitäten verhaftet.

Ich fand DEFA-Filme damals meist eintönig oder langweilig. Warum hätte ich gar nicht erklären können, erst viel später fand ich dafür Worte. Sie waren sehr oft schwarz-weiß, eindimensional, fixiert auf Belehrung des Publikums und scheuten Konflikte vor der eigenen Haustür. Und doch war dieser Film glaubwürdig.

Das schweigende Klassenzimmer

Mein Blick ging – wie bei vielen Heranwachsenden – nach Westen, vielleicht nicht in dem Maße, in dem offensichtlich der Blick der Schülerinnen und Schüler in dem neuen Film „Das schweigende Klassenzimmer“ zum RIAS und nach Westberlin ging. Es ist dieser Film, der mir diese alte DEFA-Produktion wieder ins Gedächtnis rief. Ich habe ihn nicht gesehen und es geht mir nicht um die Qualität. Die harsche Kritik von Matthias Dell im Spiegel habe ich mit Interesse gelesen.

Die DDR in den frühen 1950er Jahren war hart und gnadenlos. Das hatte auch mit der gesamten politischen Situation zu tun. Und ich frage mich schon, was die Schüler denn überhaupt für ein Wissen über den Ungarn-Aufstand hatten. Genügte ihnen, dass der RIAS so berichtete? Die Tage wiederholte der rbb eine Dokumentation über Otto Grotewohls Sekretärin, die wegen Spionage gegen die DDR zum Tode verurteilt worden war. Die Originalaufnahme über die Urteilsverkündung hat uns zum Frösteln gebracht.

Ich erinnere mich, dass immer mehr Freundinnen aus der katholischen Mädchengruppe plötzlich nicht mehr da waren. Ihre Familien waren nach dem Westen gegangen. Und ich weiß, dass meine Mutter, obwohl sie lange Jahre in Köln gelebt hatte, diese Entscheidung nie getroffen hätte. Vor allem aus Gründen, die mit dem Klima im Westdeutschland der 50er Jahre zu tun hatten. Es gab in unserem Leipziger Umfeld damals noch reichlich Leute, die verbissene Nazis gewesen waren, aber meine Mutter fand gut, dass die die Klappe halten mussten.

Trotzdem waren auch wir mit Zwängen konfrontiert. Ich bin nicht zur Jugendweihe gegangen und durfte deshalb nicht zum Abitur. Und dies trotz der antifaschistischen Vergangenheit meiner Mutter. Das Abitur habe ich später auf der Abendschule nachgeholt.

Es muss in dieser Zeit gewesen sein, dass meine Mutter auf einer Veranstaltung in Leipzig sprach, deren Schirmherrschaft Lotte Ulbricht, die Frau des damaligen Staatschefs Walter Ulbricht, innehatte. Sie saß im Präsidium. Das Motto habe ich nicht mehr in Erinnerung, aber es ging um Antifaschismus. Meine Mutter – wie schon geschrieben, als überzeugte Katholikin weit davon entfernt, im „kommunistischen Widerstand“ verortet zu werden – hatte ihre Einladung vom Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer erhalten. Diese Organisation hatte die aufgelöste VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) abgelöst. Meine Mutter muss die Menschen berührt haben, wohl, weil sie spontan sprach, weil sie an vergangenes Leid und Unrecht erinnerte, ohne Treueerklärungen zum sozialistischen Aufbau abzugeben.

Ich vermisse einen anderen

Umgang mit diesem Land

Nein, ich vermisse die DDR auch nicht, aber ich vermisse einen anderen Umgang mit diesem Land. Ich will die DDR in Erinnerung behalten mit allen Zwängen, aber auch mit den Aspekten, die nicht so einfach unter "verlogener Antifaschismus" summiert werden können. Ein Land, das nicht nur mit den in Ost und West eingefrorenen fünfziger Jahren erklärt wird. Ein Filmkritiker der FAZ meinte z. B. über den Film „Das schweigende Klassenzimmer“, dass auch dieser nicht vermitteln konnte, wie sich die DDR wirklich anfühlte und konstatiert „Das West-Kino spricht ein nachträgliches Machtwort über die autoritäre DDR“. Diese Machtworte durch einen gerechteren Umgang mit diesem Land zu ersetzen, wäre sinnvoll und würde manches Gefühl der Bevormundung mildern..

Der Film “Zwischenfall in Benderath“ wurde vor Jahren schon im Zeughauskino des Museums für Deutsche Geschichte gezeigt. Mit einem höchst positiven Urteil über den Film und seine Intentionen. „Regiedebütant János Veiczi nutzte den mahnenden und warnenden Satz Bertolt Brechts, ‚Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch‘, als Leitmotiv für einen zupackenden, besonders von den jungen Darstellern ergreifend gespielten Film über antisemitische Tendenzen in der Bundesrepublik der 1950er Jahre, wird auf der Vorankündigung erklärt.

Es gibt sie ja, die Bemühungen um einen - bei aller Kritik - gerechteren Umgang mit diesem Land. Aber zu wenig und viel zu unbeachtet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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