Heute sind es nun gerade zwei Jahre

Ruth und Bubi Auf Flohmärkten finden sich oft achtlos fortgeworfene Briefe aus Nachlässen. Dabei erzählen sie manchmal wundervolle Geschichten. Diesen sei hier Raum gegeben

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Heute sind es nun gerade zwei Jahre

Berlin, am 5. September 1957
(177)

Mein liebes, gutes Ruthchen, meine liebevolle, kleine Frau!

Wie steht es doch gleich auf Deinem lieben Kärtchen vom Montag, über das ich mich sehr gefreut habe:

Du bist doch lieb, mein schwarzes Kätzchen,
Beißt Du mich auch mal ins Ohr,
Ich weiß, Du tust's doch nur aus Liebe,
S'kommt ja auch sehr selten vor!

Du wirst mir sicher diese Abweichungen vom Originaltext gestatten, zumal ich damit gleich auf Deine erste Frage eingehen möchte. Mein, mein lieber kleiner Räuber - oder besser: mein liebes schwarzes Kätzchen - ich kann dir nicht böse sein, auch wenn einmal die "Krallen" nicht gleich wieder in die weichen Pfötchen zurückkehren. Schließlich bin ich auch mehr oder weniger mitschuldig - nicht selten alleinverantwortlich für dieses oder jenes Mißverständnis. - Das darf uns aber nicht verwundern, denn vor zwei Jahren waren wir am 5. September gerade erst dabei, uns zu "beziehen". Manche Eheleute kommen ihr ganzes Leben nicht vom "Ich" zum "Wir". Wir verlagen das von uns nach 731 Tagen, ohne dabei richtig zu bedenken, daß wir gerade an die 200 Tage mehr oder minder Zeit und Gelegenheit hatten, uns aufeinander einzustellen. Trotzdem haben wir doch viel, sehr viel, auf dem noch kurzen gemeinsamen Weg erreicht. Wir dürfen doch auch nicht vergessen, daß uns die vor dieser Zeit liegenden reichlich 25 Jahre individuell beeinflußt haben. Dazu kommt unsere Veranlagung zu hitzigen Dickköpfen - darüber waren wir uns schon am 17.9.1955 einig! - , obwohl wir uns doch schon sehr geändert haben. Letzten Endes liegt es aber doch daran, daß uns Zeitnot ein ständiger Begleiter ist. Die im Dienst über Gebühr beanspruchten Nerven fordern Ruhe, die wir eben beide nicht in dem notwendigen Maße zur Verfügung haben. -

Bislang habe ich mich sehr "stark" gefühlt und deswegen Deine, wie auch Mutti's und Vati's, Einwände nicht voll gelten lassen. Besonders schlimm ist aber dabei, daß ich damit Dir oft die notwendige Ruhe geraubt habe, weil Du dann offenbar auf ein Stündchen erquickenden Schlaf am Nachmittag meinem Unruhegeist zuliebe verzichtet hast. - Ist es nicht so? -Ich will mich im zukünftigen Zeitverteilungsplan danach richten. - Hilf mir, bitte, dabei, Du Gute, sicherlich hast Du am Dienstag nicht einschlafen können. Meine Gedanken waren ganz bei Dir. Obwohl ich bald ins Bett wollte, habe ich doch der Einladung des Kollegen Haake zu einem Plauderstündchen im Hotel "Goldener Löwe" in Möckern Folge geleistet. Von 19 bis 23.15 Uhr haben wir uns einmal bei Spiegelei mit Röstkartoffeln, Kaffee, 2 Pilsner und 3 "Weinbränden" privat unterhalten. Im Grunde genommen fehlt dem Kollegen Haake nur ein gewisser Halt, um den er sich wohl bemüht, aber scheinbar ist eben bei einem Flieger der Nacht - oder Blindflug ein Erlebnis. An diesem Abend fehlte ihm der "Treibstoff", so daß er sich mit lauer Kasse ohne weiteres gesittet benahm. Da die beiden Seiten der Gruppe Landbedarf in Karl-Marx-Stadt und Rostock nicht kamen - es war so vereinbart - , hatte ich Zeit genug, in freudigen Gedanken bei Dir zu verweilen.

Gestern war wieder ein arbeitsreicher Tag, so daß ich reichlich müde deinem Wunsch, mich bald schlafen zu legen, Folge geleistet habe. Angesichts der heutigen langen Nacht bin ich heute auch erst eine Stunde später zum Dienst, denn morgen muß ich allein die Stellung halten. -

Heute sind es nun gerade zwei Jahre, seitdem wir - es ist wohl einmalig geblieben - mit Abstand auf der Bank ernsthaft Gedanken austauschten in dem unbewußten Gefühl des vollen gegenseitigen Verständnisses. Ja, es war noch mehr, etwas das sich schwer in Worte fassen läßt. Glück, Erfüllung der Wünsche, Liebe, Vertrauen und reine Freude waren vermischt mit Ungewißheit und Sorge um den Bestand und die Dauerhaftigkeit ohne Enttäuschung. - Wie schön ist alles geworden. -

Da habe ich gleich einen Vorschlag: Wenn es während unseres Urlaubs das Wetter erlaubt, hole ich Dich vom Markt ab und wir gehen dann wieder einmal den gleichen Weg wie damals. - Von daheim kommen wir bis zum Markt gemeinsam, weil wir dieses Mal doch die Erlaubnis dazu haben. Was meinst Du dazu? -

Für den kommenden Sonntag schlage ich vor, daß wir zu Zimmermanns nach dem Mittagessen gehen und uns gegen 18 Uhr wieder absetzen. Ausreden habe ich auf Lager. Bist Du einverstanden? -

Es ist nur gut, daß es nur noch wenig Fliegen gibt, sonst hätte ich gestern einige erschlagen und mit offenem Mund eingefangen, als ich meinen Kopf über Arno's Karte geschüttelt habe. Kurz und präzise informiert er uns mittels Postkarte zu DM 0,10 + Tinte über seine Vermählung mit "Frau Eva". Es scheint, daß der "ökonomische Hebel" mit aller Gewalt dominiert. Es läßt sich schwer dazu etwas sagen, wer den schnellen Entschluß zur Heirat durchgesetzt hat. Eva's Eltern waren ja dagegen, daß in einem Jahr zwei Paare heiraten. Scheinbar sucht Arno geregelte Verhältnisse, die aus moralischen Gründen legitimiert und legalisiert sein möchten. Letzeres schon deswegen, daß es notwendig ist um des Gerede willens. Daran ist er aber er aber insofern mitschuldig, da er sich in Heidelbach sehr rar macht, selbst aber auf fremde Hilfe beim An- und Auskleiden angewiesen ist. Ob ersteres gar um des Nachwuchses willen ist, glaube ich nicht, bleibt aber offen, denn dafür gibt es weder Garantien noch unumstößliche Absichten, sobald es außerhalb des eigenen Einflußbereiches liegt. Sollen sie machen, was Ihnen beliebt. -

Für uns ist die knappe - fast im Tone einer Geschäftseröffungsmitteilung gehaltene - Mitteilung ein Grund, uns über eingesparte Haushaltsmittel zu freuen. Neben der Zeit, die wir für uns behalten, können wri im Urlaub die 100 DM Fahrgeld, die wir dabei sparen, anderweitig verwenden oder sparen. Wegen des Geschenkes können wir uns am Sonnabend oder Sonntag unterhalten. Es eilt nicht, denn wir haben ja auch erst jetzt davon erfahren. - Mögen sie auf ihre Weise glücklich sein. -

Mein liebes, gutes Ruthchen, vielleicht kann ich am Montag noch daheim bleiben, denn die Nachtwache bringt immerhin neben einem müden Freitag auch einen freien Tag ein. Ich möchte ihn jetzt mit abbüßen, damit ich nicht darauf verzichten brauche. Gegen Ende September ist mit einem Beschluß über die Staatlichen Kreiskontore zu rechnen, der mir wieder viel Arbeit bringen wird. Damit ist die Zeit noch knapper als jetzt. -

Mit diesen Betrachtungen möchte ich für heute schließen. Bis zum Wiedersehen von ganzem Herzen alles Gute wünscht Dir, kleines, schwarzes Kätzchen,

(Stenographie-Zeichen)

Dein Bubi

(Stenographie-Zeichen)

Viele liebe Grüße auch an Mutti und Vati.

Alle Briefe von Bubi an Ruth gibt es hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden