Meine Meinung ist nicht immer tragbar

Ruth und Bubi Auf Flohmärkten finden sich oft achtlos fortgeworfene Briefe aus Nachlässen. Dabei erzählen sie manchmal wundervolle Geschichten. Diesen sei hier Raum gegeben

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Meine Meinung ist nicht immer tragbar

Berlin-Pankow, am 9.2. 1957
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Mein liebes und gutes Ruthchen!

Um diese Zeit stehst Du in der Waschküche und schrubbst tüchtig. Könnte ich doch bei Dir sein. Ich habe solche Sehnsucht nach Dir, meine Gute. - Wenn es mir gesundheitlich besser ginge, wäre ich heute gekommen. - Leider habe ich eine recht unruhige Nacht hinter mir. Deswegen bin ich auch heute erst um 8.45 Uhr zum Dienst gefahren. -

Seit der Arzt am Mittwoch beide Kieferhöhlen gespült hat, gibt die Nase keine Ruhe mehr. Am Donnerstag wurde es zwar wieder besser, doch gestern kam gleich Blut geschossen, so daß mir auch diese ganze Sache heute noch anhängt. Offenbar hat der Arzt beim Einführen der Metallröhre eine Ader getroffen und gleichzeitig einen Nerv beschädigt, denn die oberen Zähne sind wieder tauber als sonst. - So hatte ich auch gestern keine Ruhe und Fieber. Dazu kam aber auch noch, daß ich einen Furunkel unter der Nase hatte, der den ganze Kopf durcheinanderbrachte. - Heute geht es mir aber schon wieder besser, doch ich möchte mich immer noch vorsehen. -

Ein schöner Trost ist mir Dein lieber Brief vom Donnerstag, den ich vorhin, als ich heimkam, vorfand. Habe recht, recht herzlichen Dank dafür. - Allerdings bin ich etwas traurig, daß Du bislang - eben wegen gewisser Langweiligkeit - schwermütig gewesen bist. Ich wünsche mir doch, daß Du ebenso glücklich bist, wie ich es bin. - Wenn nun auch alles wieder gut ist, so sind es doch für Dich zunächst Tage gewesen, an denen Du niedergeschlagen und etwas durcheinander warst. - Ich war übrigens diese Woche auch etwas niedergeschlagen, da sowohl in der Dienststelle wieder einmal alles unplanmäßig verlief, mir aber auch der Zahn ziemliche Sorge bereitete. - Dazu kam eben noch die Nase, die sich über den Eingriff gar nicht beruhigen will, mit ihren Mucken. -

Meine kleine Ruth, ich glaube, der Brief vom vergangenen Mittwoch hat eine falsche Nummer erhalten. Bitte, rüge mich wegen mangelnden Fähigkeiten in der Registratur. - Zunächst werde ich keine Asche auf mein "reuiges Haupt" streuen, denn davon werden die Haare nicht sauber. Habe ich doch meine Badekur mit Rücksicht auf die Nase vorläufig verschoben. -

Gestern erreichte mich auch Dein liebes Briefchen vom Mittwoch. Habe recht herzlichen Dank dafür. Vielleicht ist es am besten, wenn ich zunächst Deine Fragen der Reihe nach beantworte, damit ich nichts vergesse. - Über meine Meinung zur Plauderei und zum "Wortgefecht" hatte ich Dir schon im letzten Brief ausführlich geschrieben. Ich habe diesbezüglich keine Bedenken, denn Du willst ja nur das Beste. -
Es wäre etwas anderes, wenn Du Neigung besitzen würdest, in Tante "Margrets" Fußstapfen zu treten. Da ich weiß, dass du weder eine Neigung dazu hast, noch jemals einen solchen Geschmack gutgeheißen hast, bin ich nicht geneigt, irgendwelche Bedenken zu hegen. - Glaube mir, meine Gute, wir werden uns immer gut verstehen, auch wenn wir mal überarbeitet und dadurch aufgeregt sind. -

Allein durch die unterschiedliche Umwelt, die uns umgeben hat, sind unsere Auffassungen verschieden. Ich muss zugeben, daß meine Meinung über die Meinung und den Geschmacksinn der mich umgebenden Menschen des Beruflebens und der Straße extrem und einseitig ist. Ich bin gern bereit, meine Auffassung zu ändern, denn sie ist nun mal nicht immer tragbar. - Auf keinen Fall dürfen wir uns aber schämen, darüber zu sprechen. Das wäre grundverkehrt und könnte unserem guten Verstehen schaden. -

Mein liebevolles, kleines Frauchen, es wird notwendig sein, meinen Hals wieder in "persönliche Pflege" zu nehmen. Der Arzt stellt zur Zeit keine Unregelmäßigkeiten - außer dunkle Färbung - mehr fest (Stenographie-Zeichen). -

Die neue - hoffentlich wird es keine - Zahnlücke ist ein Beweis mehr, daß ich alt und älter werde (wenn es mir auch nicht paßt). -

Von Tante Rosa möchte ich Dir, Mutti und Vati recht viele Grüße bestellen. Sie kommt vorläufig nicht zum Schreiben, dann sie hat keine Zeit. Heute sind Deine beiden Cousins aus Kleinmachnow wieder bei ihr zu Besuch. Morgen ist wieder Besuch angemeldet. Am Montag ist Tante Rosa zum Geburtstag eingeladen usw. - Wir haben uns am Alex getroffen und sind für 1 ½ Stunde in die Lebensmittel-HO am Alex, um bei einem Wein bzw. Bier und einem Schluck Arznei zu plaudern. Mit Tante Röschens Finger geht es wieder etwas besser. - Sie hat eine kranke Nachbarin gepflegt und dadurch ist sie überhaupt nicht mehr durchgekommen. -

Unsere Bestellung hat sich durch Anfrage, Vorschlag und Einladung ergeben. Tante Röschen wollte gern wieder einmal etwa von uns und über uns erfahren. - Für mein braunes Oberhemd hat sie einen Geburtstagsschlips (oder besser Binder) mitgebracht, den ich Dir heute in einer Woche vorführen werde. -

Am Sonnabend komme ich nicht "auch" zu Dir, sondern zu Dir und auch zur Mutt und Vati. - Deinen Vorschlag für das kommende Wochenende können wir in die Tat umsetzen. Ich hatte mir sowieso vorgenommen, am Montag zu bleiben, denn der Sonnabend wird für die Nachtschicht am 14. abgefeiert und am Montag nehme ich den Heimfahrttag für den Monat Februar. - Im März - etwa ab 10.3. kann ich auch noch die 10 Tage alten Urlaub nehmen. -

Da habe ich gleich mal noch einen Vorschlag zu unterbreiten. Wäre es angebracht am Sonnabend (abends) oder am Sonntag (nachmittags, Stenographie-Zeichen) die Familien Gerhard und Mackl einzuladen? Da hätten wir diese Verpflichtung auch hinter uns. Was meinst du dazu? -

Mein Rückstand in der Post wurde gestern vom Abteilungsleiter geprüft. Auszusetzen hatte er nichts. Lediglich einen Vorwurf hat er mir in der letzten Zeit mehrere Male gemacht. Ich sei zu genau und würde alle Dinge zu ausführlich bearbeiten. Mit diesem Vorwurf ändert er mich nicht und ich brauche mir darüber keine Sorgen zu machen. Besser so, als die Beurteilung Bruno's.- Deine Post ist für mich "immer dringend". Das ist nun einmal doch etwas anderes. -

Diesem Briefchen lege ich zwei bzw. drei Artikel bei, die Dich bestimmt interessieren werden. - Morgen bzw. am Montag schicke ich Dir die "Eulenpost" und den "Wochenspiegel". -

Nun werde ich mich - nachdem ich den Brief zur Post gebracht habe - ins Bett legen. Morgen schreibe ich nach Heidelbach und an Familie Müller in Freiberg, - Wenn mir etwas besser ist, mache ich bei schönem Wetter vielleicht einen Spaziergang. -

Meine liebe Kleine, bleibe, bitte, ganz gesund und erhole Dich wieder von den Anstrengungen der letzten Tage und dieses Wochenendes. -

Komme recht gut in die kommende Woche und sei ganz lieb und innig gegrüßt und geküßt von

Deinem Bubi

Stenographie-Zeichen

Grüße, bitte, Mutti und Vati von ihrem Jungen. -

Alle Briefe von Bubi an Ruth gibt es hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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