Der Geist, der stets leugnet

Biennale Venedig Eine Ausstellung in Rotterdam, eine Doku in Venedig: Steve Bannon ist noch lange nicht tot

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Kann das Böse so banal sein?
Kann das Böse so banal sein?

Foto: Joe Raedle/Getty Images

Nun also ist er in Europa angekommen. Nicht wegen seiner tatsächlichen oder kolportierten Verbindungen auch persönlicher Natur zu rechtsextremen Parteien und deren FührerInnen auf dem sogenannten alten Kontinent; die pflegt er schon länger. Erst recht nicht als Herold des abgefeimten neofaschistischen INet-Kosmos‘ „Breitbart News“, der unter seiner Ägide die Kampfzone über den anglophonen Raum hinaus ausweiten wollte.

Stephen K. Bannon wird am 4. bis 6. September beim Filmfest der Biennale von Venedig aufschlagen, als Protagonist eines Dokumentarfilms. Autor und Regisseur Errol Morris präsentiert mit „American Dharma“ einen der gefährlichsten politischen Akteure der USA, wie er von einigen Medien dort genannt wird, im Interview, das das Rückgrat des Streifens bildet: Welche Filme den ebenfalls für sein Medienschaffen vor allem Berüchtigten maßgeblich beeinflusst haben.

Dass hier wohl nicht nur chronologisch „Twelve O’Clock High“ (dt.: der Kommandeur, 1949) an prominenter Stelle steht, dürfte kaum überraschen. Die Geschichte um einen brutalen Schleifer in der US-Air-Force, dargestellt von Gregory Peck, der mitten in den Flächenbombardements auf Nazi-Deutschland aus seinen Untergebenen mit unnachgiebiger Härte das herausholt, was gemeinhin als das Beste im Soldatenmann gilt, ist Programm. Es geht um „Führungsqualitäten“, weswegen das preisgekrönte Fliegerspektakel auch jahrelang „as a leadership training film“ in der US-Fliegerei verwendet wurde.

Seit seinen Tagen als spätberufener Student an der Harvard Business School soll Bannon davon geträumt haben, dereinst eine tragende Rolle im US-Exekutiv und damit in der Führung des Landes zu spielen, idealerweise als Verteidigungsminister. Das hätte zu dem bisherigen Lebenslauf gepasst, der den Mann aus kleinbürgerlichen Verhältnissen bis zum Rang eines Leutnants zur See gebracht hatte, Teilnahme an Kriegshandlungen und Intelligence-Tätigkeiten inklusive.

Bekanntlich kam es anders: Nicht politische Tippel-Tappel-Tour und die in den USA geläufige Drehtür zwischen Staatsdienst und Privatwirtschaft, sondern Investmentbanker, Filmemacher, Medienmensch, zur herkömmlichen Politik stets auf unnachgiebig kritischer Distanz. Der eigens für ihn geschaffene Posten des „Chefstrategen“ für US-Präsident Donald Trump, zeitweise verbunden mit dem Anwesenheitsrecht im innersten Zirkel der Macht, dem National Security Council, war keine logische wie hierarchische Konsequenz. Sie war der Lohn, eigentlich: die Belohnung für den erfolgreichen Wahlkampf, den Bannon ab August 2016 als Chef Executive Officer maßgeblich geleitet und zum Erfolg verholfen hatte.

So fulminant die letzten Etappen des Aufstiegs, so tief der Fall. Nach nur 7 Monaten musste Bannon das Weiße Haus wieder verlassen. Und „Breitbart News“, wohin er zurückgekehrt war, trennten sich von ihm im Januar 2018. Autor Michael Wolff hatte in seinem Buch „Fire and Fury: Inside the Trump White House“ nicht nur Peinlichkeiten veröffentlicht, sondern handfeste Nahrung für strafrechtliche Ermittlungen aus dem Mund Bannons: Etwa dass das Treffen zwischen Trumps Kampagnenteam und russischen Emissären vom Juni 2016 im Trump Tower verräterisch gewesen sei. Oder dass der vormalige Intimus des US-Präsidenten die Familienunternehmungen von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner mit Geldwäsche in Zusammenhang brachte. Bannon besaß nun nicht mehr das Ohr, und wie es bei „Breitbart“ hieß: den „direkten Draht in The Donalds Gehirn“. Seine Illoyalität wurde bestraft.

Eine seltsame Faszination

Der eigentlich recht kurze Parabelflug des Stephen Bannon allein dürfte kaum Anlass der Dokumentation gewesen sein, zu sehr hat sich Errol Morris profiliert in der Aufarbeitung komplexer Sachverhalte wie in „The Thin Blue Line“ (1988) und komplexer Persönlichkeiten wie die des früheren Verteidigungsministers Robert S. McNamara im oscargekrönten Streifen „The Fog of War“ (2003). Auch die unmittelbare politische Wirkung Bannons wird eher nicht ausschlaggebend gewesen sein, sie ist bekannt: Propagandaminister ohne Portefeuille von Trumps Gnaden, Drehbuchautor für Mauerbau, Kriegsszenarien und Muslim-Ban, neofaschistischer Propagandist, der es geschafft hat, die destruktive Ideologie als „alt-right“ zu verharmlosen und in die US-Administration einzuführen.

Recht schnell kommt Morris im Gespräch mit dem Kolumnisten der „New York Times“ Frank Bruni zum Eigentlichen. In „The Devil in Steve Bannon“ vom vergangenen Samstag ist es die Persönlichkeitsstruktur des Subjekts, die eine Faszination ausübt, der sich auch Morris nicht entziehen kann. Die zentralen Sätze: Bannon sei belesen und offenkundig smart. „Aber wenn du dir die Philosophie anschaust, dann ist es nur – das unzusammenhängend oder rudimentär zu nennen, wäre zu freundlich. Es ist nur Unordnung: Etwas von hier, ein wenig von dort, ein bisschen Kreuzzüge, ein bisschen Thucydides, etwas verrückte rechtslastige katholische Theologie. Dazu eine Prise Filme.“ „Dyspeptic“ nennt Bruni das, schlecht verdaut. Andererseits habe Bannon mit seiner identitären Ausrichtung einen Punkt, so Morris.

Faszinierend scheint aber vor allem das Spiel mit dem „Bösen“ zu sein. Bannon habe sich angetan gezeigt, als Morris dem Satan in „Paradise Lost“ (1667) von John Milton „bannonesque Züge“ attestierte. Das Zitat daraus „Besser in der Hölle zu herrschen“ vervollständigte Bannon spontan aus dem Gedächtnis mit „als im Himmel zu dienen.“ Dass der Satz abgewandelt Kernmotto des „Duce“ Benito Mussolini und der italienischen Faschisten wurde, dürfte dem Belesenen durchaus geläufig sein: „Besser einen Tag als Löwe leben als hundert Tage als Schaf“. Erst recht Bannon, hat sein späterer Chef den Satz und eine Abwandlung doch in vollem Sendungsbewusstsein getweetet. Nur nahm kaum jemand im Februar 2016 Trump und seine Texterei wirklich ernst.

Eingebetteter Medieninhalt

In der Figur des Bösen aber liegt zugleich die Schwierigkeit der Rezeption: Stellt die Figur Bannon das Böse nur dar oder ist er es? Absolut in einem religiös-dämonischen, Sinn, dessen Vorstellung im US-amerikanischen Kulturkreis immer noch stark präsent ist? Oder ist es eher der diesseitige Mephistopheles, der damit Spiel und Spott treibt, dass wir Menschen für das moralisch Böse selbst verantwortlich sind?

Der gekränkte Mephistopheles …

Letzteres entspräche eher der vor allem deutschen, nicht nur faustgeprägten Sichtweise. In seinem im „Spiegel“ veröffentlichten Essay „Der verkehrte Mephistopheles“, geschrieben in der deutschen Wendezeit, räsonierte der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch unter anderem über Friedrich Hegel. Der habe, nach dem Wesen der Dialektik befragt, Goethe zitiert: „Der Geist, der stets verneint“. Wie Johann Peter Eckerman überliefert hat („Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“, Kapitel 279, 1836/48), unterhielten sich Goethe und Hegel kurz und prägnant darüber beim gemeinsamen Tee.

„Es ist im Grunde nichts weiter“, sagte Hegel, „als der geregelte, methodisch ausgebildete Widerspruchsgeist, der jedem Menschen inwohnt, und welche Gabe sich groß erweiset in Unterscheidung des Wahren vom Falschen.“ „Wenn nur“, fiel Goethe ein, „solche geistigen Künste und Gewandtheiten nicht häufig gemißbraucht und dazu verwendet würden, um das Falsche wahr und das Wahre falsch zu machen!“ „Dergleichen geschieht wohl“, erwiderte Hegel, „aber nur von Leuten, die geistig krank sind.“

Zweifellos ist Bannon von sich überzeugt, ein Widerspruchsgeist zu sein und dies(en) in die Welt zu tragen. Aber nicht nur, dass er das mit Versatzstücken und damit eigentlich un(aus)gebildet tut: Für Morris hat sich die Frage ergeben, warum der Mann, der kraft Ausbildung und beruflichem Werdegang selbst zum Establishment („the Party of Davos“) gehört, so dagegen wütet. Frank Bruni: „I feel like if we had a nanny cam on his past, we would see a moment when there was some sort of humiliation or rejection by that liberal elite that would help us understand better his fury. Do you feel that way?“ Morris: „I agree completely.“

Kränkung, nicht Krankheit: Die Aussagen oder Handlungen einer Person der Zeitgeschichte anhand ihrer Persönlichkeit zu rekonstruieren, ist keine ganz junge Wissenschaft mehr. Ein recht vollkommenes Beispiel aus jüngerer Zeit ist sicherlich „Goebbels“ (2010) von Peter Longerich. Der von einem konsultierten Expertenteam erhobene Befund lautet, von Longerich zusammengefasst, ein „exemplarischer Fall von Selbstüberschätzung“, wobei „alle wesentlichen Kriterien“, die nach dem „heutigen Stand der Psychoanalyse eine narzisstisch gestörte Persönlichkeit charakterisieren“, erfüllt seien. Dieser Ausgangspunkt ermöglichte die genaue Analyse der Tagebücher eines der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte und mit ihnen einen ungewöhnlich klaren Einblick in die eigentliche NS-Struktur.

Diese Hilfsmittel wird das Publikum von „American Dharma“ ganz überwiegend nicht zur Hand haben. Auch ist Bannon, im Gegensatz zum Propagandaminister des sogenannten dritten Reichs, eine noch quicklebendige Person, über die die Geschichte noch kein Urteil gefällt hat. Dabei ist die hiesige Heranziehung der narzisstischen Kränkung anhand des Goebbels keineswegs ein Ausdruck von Godwin‘s Law, kokketiert doch Bannon gerne selbst damit, „Leni Riefenstahl der GOP“, der republikanischen Partei sein zu wollen. Und auf den Posten des „Chefstrategen“ im Weißen Haus ist er zwar auch als „Spin Doctor“ geklettert, vor allem aber als anfänglich loyaler Helfershelfer des despotisch auftretenden derzeitigen Mieters im Weißen Haus. Mit dieser Person verbindet sich kongenial das ganze Ausmaß eines „Nie wieder“, das doch wieder möglich scheint.

… ist er banal?

Sollte der Protagonist persönlich auf dem Filmfest erscheinen, ist im Gegenteil anzunehmen, dass selbst distanzierte Beobachter ihm einen gewissen Charme attestieren würden, so wie Morris von sich selber sagt: „I’m appalled by Bannon, but I like him.“ Hier hilft der Regisseur aber abermals aus, indem er sinngemäß die einfachsten aller Fragen an Bannon richtet: Glauben Sie selbst, was Sie sagen? Oder was Trump sagt?

Es sind die Fragen, die das Publikum zwanglos den Figuren stellen könnte, für die Bannon und sein Wirkungskreis stellvertretend in Europa stehen: Den Salvinis, Straches, Le Pens, Gaulands, Höckes, aber vor allem den Sarrazins, Kubitscheks und Elsässern, den Matusseks und Tichys. Sie alle verhandeln mit Versatzstücken: Ein wenig Evola hier, ein bisschen Raspail da, unendlich viel Carl Schmitt mit unverdautem Nietzsche,durchgemixt mit Aphorismen von Rosa Luxemburg, aufgerichtet an pseudochristlicher Vulgärkritik am „Islam“.

Bannon liegt mit der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit im Krieg. Die These, vor knapp zwei Jahren aufgestellt, hat eine klare Bestätigung in der Ausstellung „Steve Bannon: A Propaganda Retrospective“ (Het Nieuwe Instituut, Rotterdam; bis zum 23. September) gefunden. „In Bildern von Sturm und Orkan [seiner Filme] kündigt sich der blutige clash of civilizations an, den Bannon herbeisehnt“, schrieb dazu der Kunstkritiker Georg Imdahl. Das ist mehr, so sollte angefügt werden, als der nicht erst seit Thomas Jefferson patriotisch klingende Satz: „Der Baum der Freiheit muß von Zeit zu Zeit mit dem Blut der Patrioten und der Tyrannen begossen werden.“ Es ist vielmehr, solitär ausgebildet, der Satz aus dem „Faust“: „alles, was entsteht, / Ist wert, daß es zugrunde geht.“ Das führt bei Goethe wie in der realen Welt zu unterschiedslosem Mord und Totschlag. Wo aber der Mephistopheles wieder eingefangen wird, indem Faust für die Ewigkeit gerettet wird (Mulisch), bietet Bannon keine Lösungen (Morris). Es bleibt bei der radikalen Negation. Sie ist, wiewohl durch Ozean und Kulturkreise getrennt, das Bindeglied zwischen Charlottesville und Chemnitz.

„Sympathy for the Devil“ kann man hegen, wie es 1968 die Rolling Stones besungen haben und davon ein Teil jener Generation geprägt wurde. In faustischen Zeiten ist diese Versuchung besonders groß. Nur sollte sich anschließend niemand wundern, dass das Böse so banal sein kann wie ein Steve Bannon und zu höchsten Widerwärtigkeiten fähig. Oder Verbrechen.

ms

„American Dharma“, Dokumentarfilm, USA/GB, 95 Min., Buch und Regie: Errol Morris, 4.,5.,6.9.2018, Biennale di Venezia (Programm)

„Steve Bannon: A Propaganda Retrospective“, Jonas Staal Het Nieuwe Instituut, Rotterdam; bis zum 23. September (Netzpräsenz)

Der Beitrag ist zuerst bei "Blatt Eins" erschienen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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