Eulen nach Rom getragen

Italien Bei den Regionalwahlen am Wochenende erzielte der Partito Democratico bedeutende Gewinne. Sie könnten von kurzer Dauer sein

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Will Italien in die sogenannte Dritte Republik führen: Matteo Renzi
Will Italien in die sogenannte Dritte Republik führen: Matteo Renzi

Bild: Pierre Teyssot/AFP/Getty Images

Mit Matteo Renzi, dem jugendlich auftretenden Ministerpräsidenten aus den Reihen der italienischen Sozialdemokratie, sollte alles ganz anders werden. Dafür stand das selbst verliehene Prädikat des „rottamatore“: Verschrotten wollte und will der 1975 geborene Florentiner alles, was die sogenannten zweite Republik ausmacht. Zuallererst Silvio Berlusconi, der sie personifizierte und dann alle, die dem Tycoon die Steigbügel gehalten hatten. Auch die im eigenen Partito Democratico (PD), dessen Vorsitz Renzi in Personalunion mit dem Amt innehat.

Selbstredend, dass damit auch eine Neuausrichtung der Politik gemeint sein sollte. Ganz nach dem Bild des Machers, der als Bürgermeister von Florenz und späterer Oberster deren Provinz für lokales Furore sorgte, galt eine verstärkte Beteiligung der Regierten als ausgemachte Sache. So wie sich die informelle Opposition ab 2002 in „girotondi“, Debatten- und Demonstrationskarussells artikulierte und Beppe Grillo 2007 erstmals den „V-Day“ zelebrierte, erfanden Renzi und sein Beraterteam die „Leopolda“.

Der Symbolismus ist unverkennbar: Benutzte Grillo das „V“ in der freien Assoziation zwischen „Victory“ und „Vaffanculo“ (dt. etwa: Leck mich am Arsch), verbindet sich mit dem ehemaligen, seit Langem stillgelegten Bahnhof von Florenz Öffentlichkeit mit deren Stellenwert: (De)Industrialisierung, Mobilität, Teilhabe. Jeder, der auf Renzis „Conventions“ reden wollte, bekam auch Gelegenheit dazu; es wehte von Mitte-Links ein Hauch Basisdemokratie.

Matteo Renzis Handstreich

Der Weg, auf dem Renzi in das Amt des Exekutivchefs gelangt ist, war aber alles andere als demokratisch. Denn sein Vorgänger Enrico Letta, wie Renzi Mitglied im PD, wurde weder durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt, noch erfolgte der Regierungswechel aufgrund einer Wahl. Vielmehr beugte sich der 1966 geborene Pisaner einem Parteiratsbeschluss des PD vom 13. Februar 2014: Auf Initiative des Vorsitzenden Renzi wurde Letta aufgefordert, Platz zu machen – für Renzi selbst. Tags darauf erklärte Letta seinen Rücktritt zu Händen von Staatspräsident Giorgio Napolitano; ein im italienischen Parlamentarismus einmaliger Vorgang.

Der Webfehler, sich nie einem landesweiten Votum gestellt zu haben, hat den Regionalwahlen eine besondere Bedeutung verliehen. Denn nicht nur steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, dass durch die Föderalismusreform den Regionen im Staatsgefüge ein höherer Stellenwert eingeräumt wurde und damit den Regionalräten ein größerer Gestaltungsspielraum. Sondern die Voten sind gleichzeitig ein Indikator, inwieweit die landesweite Politik und ihr Personal auf lokaler Ebene durchschlagen.

Hier bestätigt sich bislang tendenziell, dass Renzi und die von ihm unterstützten Kandidaten die Nase vorne haben. So wie die Sozialdemokraten 2014 sich in fünf von fünf Regionen (Abruzzen, Kalabrien, Piemont, Sardinien, Emilia-Romagna) behaupten konnten, wäre dies nun auch 2015 ein Sieg: Der PD ist in Apulien, den Marken, Umbrien, und der Toskana erfolgreich geblieben und konnte sogar Kampanien der regierenden Mitte-Rechts-Formation abnehmen. Nur Venetien ist weiterhin fest in der Hand der Lega Nord, während in Ligurien sich rein rechnerisch ein rechtes Bündnis hauptsächlich aus der Berlusconi-Partei Forza Italia und der Lega Nord durchgesetzt hat. So sehr damit die Lega Nord erstmals außerhalb ihres traditionellen Gebietes in der Po-Ebene punkten konnte: Noch reicht die Sitzverteilung nicht für eine eigene Mehrheit – dieses Regionalexekutiv ist auf externe Mehrheitsbeschaffer angewiesen.

Wahlsieg, aber nur einer von zwei Berechtigten hat gewählt

Freilich ist der Erfolg teuer erkauft. Bereits 2014 zeigte die Wahlbeteiligung steil nach unten, und die Tendenz hat sich 2015 nicht verlangsamt. Mit durchschnittlich 54 Prozent liegt sie um 10 Punkte unterhalb des Durchgangs im Jahr 2010 in denselben Regionen. Renzi scheint das wenig zu kümmern. So wie er im November 2014 nach den Wahlen in Kalabrien und Emilia-Romagna im besten Fußballerjargon „2 zu 0“ twitterte, ist ihm heute der Sieg als solcher wichtiger als die Beteiligung.

Das könnte sich mittelfristig zu einem Bumerang auswachsen. Denn im gleichen Maß, wie dem Ministerpräsidenten und Parteichef das Votum als solches unbedeutender erscheint, hat er die vergangenen 15 Monate auch wesentliche Teile der eigenen Partei verprellt. Gerade in Sozial- und Wirtschaftsfragen kritische Geister wie Stefano Rodotà oder Stefano Fassina hat Renzi als „gufi“ bezeichnet. Das sind Eulen, allerdings nicht als Symbol der Weisheit, sondern in dem abergläubischen Teil italienischere Kultur die Überbinger schlechter Nachrichten. Zu einem Mem aktueller Politik avanciert, werden sie jetzt, da auf das Desinteresse an Wahlen hingewiesen wird, von dem Ministerpräsidenten als „Masochisten von links“ betitelt.

Tatsächlich wird, nachdem mit Nichi Vendola in Apulien so etwas wie der letzte Rest linken Gewissens von der offiziellen politischen Bühne abgetreten ist, die schiere Machtausübung bleiben. Denn in wirtschaftlicher Hinsicht geht es Italien mit Renzi nicht besser als vor ihm: Weder wurden die Strukturen der exorbitanten Staatsverschuldung angegangen außer durch Sozialeinschnitte, noch zeigen die weiteren Maßnahmen der sogenannten Flexibilisierung des Arbeitsmarktes Wirkung.

Trotz „Jobs Act“, wie unter anderem der Wegfall der Begründungspflicht bei Kündigungen durch den Arbeitgeber und der Vorrang von Entschädigungen vor Wiedereinstellung bei ungerechtfertigten Kündigungen im März genannt wurden, ist die Arbeitslosigkeit nicht messbar gesunken. Auf die Kritik des linken Flügels innerhalb des PD, dass es sich dabei um eine „Rückversetzung der Arbeitnehmerkräfte auf Zustände vor den 1970er Jahren“ handelt, reagierte Renzi in bekannter Manier des persönlichen Übergriffs.

Zwischen Legalität und Legitimität, unentschieden seit Berlusconi

Aber nicht nur im Kern der Politik und im Umgang mit Kritik erweist sich Renzi immer mehr als eine lediglich sympathischere Version von Silvio Berlusconi. Die Frage der Gesetzestreue hat in Kampanien eine besondere Note erhalten, seitdem dort als Spitzenkandidat des PD Vincenzo De Luca gekürt worden ist. Der langjährige Bürgermeister von Salerno ist in mehreren Strafverfahren Angeklagter, wobei er bereits in einem Fall eine noch nicht rechtskräftige Haftstrafe nebst des Verlustes der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, ausgefasst hat. Obwohl die Gesetzeslage zur Korruptionsbekämpfung ihm nun die Bekleidung verbieten würde, ist De Luca fest entschlossen, das Amt des Regionalgouverneurs anzutreten.

Für Renzi ist die Lage doppelt schwierig. Als Parteichef, weil er bereits mit der Absegnung der Wahlliste dem amtsunfähigen und damit „unvorstellbaren“ De Luca Vorschub geleistet hat. Und als Regierungschef, dem es obliegen würde, der Rechtsstaatlichkeit aufzuhelfen, indem er noch vor einem etwaigen Richterspruch die Inkompatibilität von Person und Amt öffentlich feststellte.

Seine offenkundigen Schwächen in Fragen politischer Legitimität könnten Renzi spätestens dann einholen, wenn es wieder um Sachfragen geht. Noch überlagern im Bewusstsein der Bevölkerung Wahlkampf und Parteitaktik das Geschehen; das Hochgefühl des Sieges entfaltet seine vorübergehende Strahlkraft. Und noch hilft die europäische Debatte zu Grexit der Ablenkung von sozialen und wirtschaftlichen Problemen, die in Griechenland dramatischer verhandelt, aber in Italien strukturell ebenso präsent sind. Von dem Versuch Tsipras‘, in extremis Finanzen und Bedürfnisse der Menschen miteinander in Einklang zu bringen, ist Matteo Renzi freilich in Worten und Taten weit entfernt.

Schon jetzt hat sich die Bewegung der fünf Sterne von Beppe Grillo in weiteren 4 Regionen als zweitstärkste Kraft etabliert. Nach den Parlamentswahlen von 2013 mit einem ad-hoc-Ergebnis von rund 25,5 Prozent wiederholt die Bewegung, die sich die direkte Demokratie auf die Fahnen geschrieben hat, das Ergebnis auch auf lokaler Ebene. Noch stellt sie keinen Regionalgouverneur, aber an der Beteiligung des Wahlvolkes arbeitet sie wie keine andere Partei. Die kurze Zeit, da mit Eulen in Rom Politik gemacht werden kann, dürfte auslaufen. MS

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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