Date Rape und die Natur des Mannes

Rape Culture Pick up-Artist Roosh V erzeugt mit seiner Pro-Vergewaltigungsbewegung medialen Aufruhr. Seine misogynen Botschaften sind nichts Neues. Eine Relektüre von Camille Paglia

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Eher zufällig fiel mir vor ein paar Tagen ein Essay von Camille Paglia mit de Titel "Rape and Modern Sex War" aus dem Jahr 1991 in die Hände. Paglia, die sich einmal selbst als „antifeministische Feministin“ bezeichnete, machte in den 90ern vor allem aufgrund ihrer polemischen Attacken in Richtung des akademischen Feminismus, dessen angebliche Lebensfremdheit und Sterilität sie scharf kritisierte, Furore. Das Thema des Essays könnte aktueller kaum sein. Der Text ist, man kann es nicht anders sagen, eine Zumutung, und würde heute wohl einen epischen Shitstorm ernten.

Paglia betrachtet in ihrem Essay das Phänomen „Date Rape“, genauer gesagt: Es geht ihr um Situationen, in denen College Studentinnen von Kommilitonen sexuell genötigt oder vergewaltigt werden. Wenn man als Studentin dumm genug sei, so Paglia, mit einem alkoholisierten jungen Mann auf ein Zimmer zu gehen, dann sei man eben für die Vergewaltigung mitverantwortlich. Nun kann man sich vorstellen, was für einen Entrüstungssturm Paglias Aussage auslöste. Sie selbst weist dabei den Vorwurf des Victim Blamings zurück, oder besser: Sie akzeptiert die Frau gar nicht erst als Opfer. Schließlich müsse eine Frau wissen, in welche Situationen sie sich begeben dürfe und in welche nicht.

Hormongesteuerte Männer

Camille Paglia hat ein sehr einfaches Männerbild: Im Grunde betrachtet sie sie als hormongesteuerte sexuelle Gefahr auf zwei Beinen. Ein Mann, besonders ein junger Mann, könne eben nicht anders. Es sei Teil seines genetischen Programmes, Frauen zu erobern. Und eine Frau müsse sich, gewissermaßen wie der Hase, der sich vor dem Fuchs in Acht nimmt, jederzeit der Gefahr bewusst sein, die von einem Mann ausgehe. Das ist nicht nur eine krude biologistische Argumentationsweise; sie ist gleichermaßen – was ja übrigens eine Leistung ist – misogyn wie männerfeindlich. Denn behauptet man ernsthaft, ein Mann „könne eben nicht anders“, spricht man sogleich der Hälfte der Menschheit die Möglichkeit zu ethisch-moralischen Reflexionen ab.

Der hormongesteuerte Mann ohne Unrechtsempfinden dient Paglia als Gegenbild zum romantischen Gentleman, der in Paglias Vorstellung ein vom Feminismus kreiertes, gefährliches Wunschbild ist. Die Idee des zivilisierten Mannes sei pures Wunschdenken eines natur- und sexfeindlichen feministischen Weltbildes. Und sie behauptet weiter, der Feminismus sei damit mitverantwortlich für Übergriffe auf Frauen: Weil er Frauen vorgaukle, der Mann könne und müsse sich zügeln, und sie, die Frau, dürfe sich sicher fühlen, wenn sie mit einem Mann allein ist.

Paglia deklariert ihr Welterklärungsmodell – die Natur des Mannes/des Menschen – als rationale Einsicht in das Wesen der Dinge, die nun einmal immer so gewesen seien, während sie die feministische Vorstellung, dass ein Mann zivilisiert sein könne, zurückweist. An dieser Stelle nun wird es faszinierend: Ausgerechnet Feministinnen wird doch so häufig Männerhass vorgeworfen. Und die Vorstellung, dass ein Mann an ethisch-moralischen Grundwerten orientiert leben könne, ist nun wirklich keine Erfindung des Feminismus. Im Grunde reproduziert Paglia die Behauptung aus der feministischen Mottenkiste, „jeder Mann sei ein potenzieller Vergewaltiger“ - ein Vorurteil, das zurecht überwunden ist. Sie offenbart sich also als sexistisch in ihrem Versuch, den Feminismus einer weltanschaulichen Lüge zu überführen, und bemerkt das nicht einmal.

Roosh V, oder: maskuline Minderwertigkeitskomplexe

Nun wäre all das vielleicht keiner Rede mehr wert, wenn dieser Tage nicht die krude Bewegung des selbsternannten „Pick up-Artist“ Roosh V mit ihrer Agenda zur Legalisierung von Vergewaltigungen auf privatem Boden von sich reden machte. Diese Bewegung ist letztlich nur die konsequent zu Ende gedachte Form der Ausgangsthese Paglias: Sobald eine Frau einen Mann in ihre Wohnung eindringen lässt oder aber sich in seine Wohnung begibt, soll sie aus dem Rahmen des Gesetzes fallen. Von nun an gilt sein Gesetz. Und dieses Gesetz ist ganz offenkundig an patriarchale Vorstellungen von der „Natur“ der Geschlechter gekoppelt. Das ist eine ins Groteske verzerrte männliche Allmachtsvorstellung, und man kann die erheblichen Minderwertigkeitsgefühle, die sich dahinter verbergen, leicht erahnen. Sowohl bei Paglia als auch bei den Aktivisten verwirkt eine Frau, sobald sie dem Mann vertraut (selbst schuld!, in den Augen Paglias), das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Sie übertritt also das Gesetz, das offenkundig das Gesetz des Stärkeren ist.

Wenn wir etwas lernen können aus jenem von überkompensierten Ohmachtsgefühlen gesteuerten Maskulisten-Movement und Paglias Text, dann doch wohl, dass die Annahme eines banalen biologischen Determinismus, der wiederum mit einem Vorrecht des Mannes auf Eroberung, Besitz und Vergewaltigung der Frau einhergeht, unweigerlich und konsequent zu Gesetzes- und Straflosigkeit führen muss. Denn wo das Gesetz der angeblichen männlichen Natur herrscht, ist auch Strafe nicht legitim. Wenn er nicht anders kann, hat sie das Nachsehen.

Es kein Zufall, dass sowohl Paglia als auch Maskulisten als Hauptfeind den Feminismus auserkoren haben, denn gemäß ihrer Logik ist dieser daran schuld, dass Versuche unternommen wurden, die „Natur des Mannes“ zu manipulieren und zu attackieren. Beide durchschauen diese "natürliche Ordnung" nicht als Konstrukt, das den Körper der Frau über Jahrhunderte dem Gesetz des Mannes und seiner symbolischen Ordnung unterwarf. Aber diese Ordnung ist Geschichte. Und daran können auch Maskulisten nichts ändern.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

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Marlen Hobrack

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