Nach jeder neuen Wahlumfrage in Sachsen mehren sich die öffentlichen Stimmen, die hier den Faschismus dräuen sehen und vor Weimarischen Verhältnissen warnen. Dabei wählte mein Heimatbundesland schon immer konservativ – und in Teilen rechtsextrem. Nur dass die Rentner, die aus Prinzip und für immer und ewig aufs Wählen der CDU abonniert schienen, heute diejenigen sind, die uns vor einer AfD-Regierung bewahren. Diese Leute haben keine Lust auf Experimente und Protestparteien wählen sie schon gar nicht. Aber richtig schmerzhaft wird es da, wo sich ein Linken- oder SPD-Wähler gezwungen sieht, seine Stimme einem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von der CDU zu geben, um eine AfD-Regierung zu verhindern. Das Problem: Die viel beschworene
„Brandmauer“ gegen die AfD, die bundesweit und auch in Thüringen wieder gefordert wird, kippte in Sachsen Brandbeschleuniger ins Feuer.SPD, Grüne und FDP kommen laut Umfragen in Sachsen derzeit auf insgesamt 18 ProzentGrüne, SPD und FDP ziehen nur noch mit geringen einstelligen Ergebnissen in den Landtag ein, wenn überhaupt: Nach derzeitigen Umfragen steht die SPD bei sieben, die Grünen bei sechs und die FDP bei fünf Prozent. Angesichts dieser Schwäche bleiben als Koalitionsoptionen eine „große Koalition“ aus Linken und CDU oder eine Vier-Parteien-Koalition, die über sämtliche politische Differenzen auf Biegen und Brechen regieren muss. Was bestätigt, was die AfD schon immer behauptete: Dass sie alle gleichermaßen „Systemparteien“ mit letztlich gleichen Inhalten seien, dass die CDU nach links gerückt sei, was insbesondere für die Landesverbände übrigens lachhaft ist.So wurde die AfD aufgrund des Versuchs der Ausgrenzung tatsächlich zur Alternative für Deutschland – für bestimmte Wählerkreise.SPD oder LinkeWie geht man mit diesem Nebeneffekt der Brandmauer um? Es könnte schon genügen, sie nicht permanent zu beschwören. Sinnvoll wäre eine Strategie, die sozusagen innerlich, dem Gewissen verpflichtet, Grenzen zieht, ohne diese ostentativ öffentlich zu betonen. Das macht in der demokratischen Praxis durchaus einen Unterschied. Wer an der Vernunft der CDU zweifelt, kann dann SPD oder Linke wählen – nach tatsächlicher Interessensvertretung, und nicht aus Angst vor einer AfD. Eine AfD-Brandmauerwahl lässt diese Partei die Politik bestimmen, aber eine Wahl, die sich nach politischen Inhalten der jeweiligen Parteien richtet, kann re-demokratisierend wirken.Wer dann eine rechtskonservative Regierung will, kann die CDU wählen und insgeheim hoffen, dass sie womöglich doch mit der AfD koaliert (eine trügerische Hoffnung, die dann enttäuscht wird, nachdem diese Frage offen ausgetragen wurde). Die Parteien können einen scharfen Wahlkampf eingehen, der klären würde, wofür die Parteien eigentlich stehen. Das wäre doch schon ein Erfolg für die Demokratie.Das Erbe der NPDWas aber ist dann mit denen, die in dieser demokratischen Wahl AfD wählen? Wer rechts wähle, sei eben rechts, heißt es gerne. Was über die eingängige Tautologie hinaus nichts für die politische Analyse bietet. Erstens erklärt das nicht, warum Wähler, die zuvor nicht rechts wählten, es nunmehr tun. Zweitens gibt es dieselben Wähler für immer verloren. Oder eben das Bundesland, in dem sie leben.Gewiss existiert ein Kern, und sicher kein kleiner, der schlichtweg rechtsextrem ist. In Sachsen schöpfte die AfD das Wählerpotenzial der NDP, die jahrelang im Landtag saß, vollständig ab. Wenn die Umfrageergebnisse für die AfD aber derart sprunghaft steigen, wie dies derzeit der Fall ist, kann das jedoch nicht nur an Wählern liegen, die immer schon rechts waren.Ein scharfer Wahlkampf, bitteMan könnte auch lang und breit und sicher sehr klug über die Rolle der AfD als Protestpartei nachdenken. Irgendeine Partei aus Protest zu wählen, ist Wahlentscheidung auf dem Niveau eines bockigen Dreijährigen, aber demokratische Realität. Bei einer Wahl, in der die Parteien wieder für sich selbst stehen, wäre jedoch auch der Grund für Trotzreaktionen aller Art kleiner.Die CDU müsste dann erklären, warum Steuersenkungen ausgerechnet „dem kleinen Mann“ und „den Familien“ helfen sollen, wo deren eigentliches Problem die Sozialabgabenlast ist. Die linken Kräfte könnten diese ideologische Erzählung als ebensolche entlarven. Man könnte auch noch einmal – sozusagen auf der Metaebene – die prinzipielle Unzufriedenheit vieler Ostdeutscher mit dem System befragen. Etwa mit Blick auf Einkommensunterschiede im Ost-West-Vergleich oder die Vermögensverteilung. Aber dann müsste man die Verhältnisse ganz grundsätzlich kritisieren. Und wo kämen wir denn da hin!