Die AfD ist das neue Normal im Alltag jedes dritten Ostdeutschen
Meinung In Thüringen hat die AfD zusammen mit der CDU ein Gesetz durchgebracht, aber die Normalisierung ihrer Politik hat zuvor im Alltag stattgefunden. Es gäbe eine Strategie, sie zu schwächen – nur wird die Christian Lindner nicht gefallen
Was nützt eine Brandmauer, wenn dahinter „Herein!“ gerufen wird?
Illustration: der Freitag
Die AfD hat in Thüringen ein Gesetz gemacht: Sie hat die Grunderwerbssteuer von 6,5 auf fünf Prozent abgesenkt. Der Antrag mag von der CDU gekommen sein, aber es war die Stärke der AfD-Fraktion, die die Mehrheit brachte. Im Osten ist die AfD nach Umfragen inzwischen stärkste Partei. Das Problem ist nicht so sehr die Normalisierung der AfD in den Parlamenten. Das Problem ist, dass der Wunsch nach AfD-Politik in der Bevölkerung normal geworden ist.
Die Umfragen im Vorfeld der Ostwahlen 2024 sind eindeutig: In Sachsen ist die AfD mit 35 Prozent stärkste Kraft, in Brandenburg und Thüringen mit 32 Prozent. Wenn jeder Dritte eine stark konservative bis faschistische Partei wählen möchte, dann ist das etwas, das man spürt im Alltagsleben. Wer nicht
Sachsen ist die AfD mit 35 Prozent stärkste Kraft, in Brandenburg und Thüringen mit 32 Prozent. Wenn jeder Dritte eine stark konservative bis faschistische Partei wählen möchte, dann ist das etwas, das man spürt im Alltagsleben. Wer nicht gerade in Berlin-Kreuzberg wohnt, hat in den vergangenen Jahren erlebt, wie konservative Positionen zu AfD-Positionen geworden sind: Der Nachbar, der bislang nichts zu tun haben wollte mit Politik, aber wenn sie ihm nun an die Heizung gehen, obwohl global die Kohlekraftwerke weiter laufen, dann. Der Onkel und der Cousin und Muttis Physiotherapeutin. All diese Menschen reden miteinander, jeden Tag, seit Jahren. Am Gartenzaun und beim Grillen, beim Schulfest und Schützenfest, nach dem Elternabend und in der Kaffeepause. Hier haben sich konservative Positionen als AfD-Positionen normalisiert – und innerhalb dieser Partei wird keine Grenze vor dem Faschistischen gezogen. Normal heißt nicht: ungefährlich.Dass konservative Positionen derzeit überhaupt stark werden, sollte aber nicht verwundern. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP versucht eine Transformation durchzusetzen, die tief in die Alltagskultur eingreift, von dem Wertverlust von Häusern mit Öl- oder Gasheizung über die Förderung von sozialer Elternschaft und queeren Familien, den Streit um Autonutzung bis zur Frage der Anerkennung von Industriearbeit. Nicht wenige Menschen ziehen hier den Kürzeren: Ökonomisch durch das Heizgesetz, kulturell durch eine Abwertung ihres Lebensstils. „Es gibt eine gewisse Entkopplung der Regierungsparteien von der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Das haben wir beim Heizungsgesetz ganz besonders gesehen“, so nennt dies der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im NDR.Die AfD wirkt als die beste Anti-TransformationsparteiDass sich da Widerstand formiert, ist wohl: normal. Die Interessensvertretung dieses konservativen Widerstands war lange Jahre die CDU, und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will diese Rolle der Union verteidigen, wenn er sagt, ihr Hauptfeind im Wahlkampf seien die Grünen. Nur: Im Osten hat die CDU diese Rolle bei vielen Menschen verspielt. Denn im Osten hat die CDU schon einmal bewiesen, dass sie die Kosten der Transformation auf dem Rücken der Bevölkerung durchwälzt.Was sich im Osten normalisiert hat, ist also die Überzeugung, dass die AfD die beste Anti-Transformationspartei ist. Auch im Westen zeigt sich diese Entwicklung, die AfD steht bundesweit bei 22 Prozent.Was entgegnet der liberale und soziale Teil der Gesellschaft den Transformationsverlierern? Eine Antwort darauf zu finden, das ist am Gartenzaun unser aller Verantwortung, im Parlament ist es die von SPD, Grünen, Linken – und auch FDP. Stattdessen diskutieren wir lieber über die CDU: War das gemeinsame Abstimmen in Thüringen schon eine Zusammenarbeit mit der AfD? Parteichef Friedrich Merz sieht dies nicht so: „Wir richten uns nicht danach, wer zustimmt, sondern wir richten uns danach, was wir in der Sache für richtig halten“, sagte er nun ProSieben. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther hielt dagegen, als Konservativer müsse man klarstellen: „Ich bilde keine Mehrheiten mit Extremisten. Und wenn ich darauf angewiesen bin, dann weiß ich in dem Augenblick, ich kann meine Hand nicht dafür heben.“Die CDU wird als konservative Partei abgelöstMan könnte meinen, es hänge allein von der CDU ab, ob den Faschisten um Björn Höcke der Weg zur Macht geebnet wird. So autoritär ist diese Gesellschaft aber nicht, dass eine Partei das „Go!“ gibt und schon ist ein Höcke salonfähig. Wenn in Brandenburg 38 Prozent der Gesellschaft „kein Problem“ damit haben, wenn die AfD an ihrer Regierung beteiligt würde, kann keine Rede mehr davon sein, dass „die Gesellschaft“ die AfD ablehnt und nur die böse CDU den Pakt sucht. Was tun, wenn die normale Vertreterin konservativer Politik nicht mehr die CDU ist, sondern die AfD?Es gibt nun zwei Möglichkeiten, Transformationsbetroffene politisch zu vertreten: Sie selber setzen auf den – von AfD und CDU versprochenen – Stopp der Transformation. Das können Grüne, Soziale und Liberale nicht bieten. Was sie aber bieten können, ist, der sozialen Abfederung der Transformation Priorität einzuräumen. Leider tun sie das nicht. Es brauchte großen Gegenwind, um Robert Habeck zur Ausarbeitung eines Sozialpakets zum Heizgesetz zu zwingen, und jetzt setzen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf Sparpolitik, schmälern die Kindergrundsicherung und lassen die überforderten Kommunen mit der Aufnahme von Geflüchteten alleine. Erst kippen Scholz, Lindner und Habeck Brandbeschleuniger über das schon brennende Land, und dann muss die CDU die bröckelnde Brandmauer halten? Explosiv.
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