„Unsere Regierung macht uns zu Deppen, und die ganze Welt lacht über uns“
Nationalismus Ein Tabubruch wie 1930, kurz vor dem Ende der Weimarer Republik? Die deutsche Stimmungslage, die zur Zusammenarbeit von AfD, FDP und CDU in Thüringen geführt hat, weist tatsächlich historische Parallelen auf
Reichstagswahl 1930: Auf die NSDAP entfielen 18,3 Prozent. Ist die Lage in Deutschland angesichts der AfD-Umfragewerte mit damals zu vergleichen?
Foto: aka-images / picture alliance
Als die Oppositionsparteien CDU, FDP und AfD im Thüringer Landtag gemeinsam eine Senkung der Grunderwerbssteuer durchboxten, bebte die Republik. Eine „politische Katastrophe“ sei das, ein „Tabubruch“, „ein Pakt mit dem Teufel“. Die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, erkannte historisches Versagen: „Der deutsche Konservatismus war schon einmal Steigbügelhalter des Faschismus. Auch damals begann es in Thüringen.“
Wissler spielte auf jenen Brandmauerfall an, der am 23. Januar 1930 den Anfang vom Ende der Weimarer Republik markierte. An diesem Tag konnte die NSDAP zum ersten Mal einen Minister in einer Regierung installieren. Wilhelm Frick, 1923 beteiligt am Hitlerputsch, wurde Minister für Inneres und Volksbildung. Kaum i
ang vom Ende der Weimarer Republik markierte. An diesem Tag konnte die NSDAP zum ersten Mal einen Minister in einer Regierung installieren. Wilhelm Frick, 1923 beteiligt am Hitlerputsch, wurde Minister für Inneres und Volksbildung. Kaum im Amt, entließ er republiktreue Polizisten und Lehrer und ersetzte sie durch stramme Nazis.Die Parallele zwischen Thüringen und der Weimarer RepublikMöglich machte den „Tabubruch“ ein bürgerliches Quartett, das der SPD – die noch immer die stärkste Fraktion im Thüringer Landtag stellte, die Macht entreißen wollte. Also gingen der konservative Thüringer Landbund, die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP), die mittelständische Wirtschaftspartei (WP) und die erzkonservative Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) einen „Pakt mit dem Teufel“ ein und hievten die Nationalsozialisten in die Regierung. Hitler persönlich überwachte die Koalitionsverhandlungen.Zweieinhalb Jahre später stand die NSDAP bereits an der Spitze von vier Landesregierungen – sie stellte die Ministerpräsidenten in Oldenburg, Anhalt, Mecklenburg-Schwerin und Thüringen. Die Nazis ließen sich nicht integrieren, sie schoben ihre bürgerlichen „Steigbügelhalter“ beiseite.Wie rasant die Entwicklung verlief, zeigen die Wahlergebnisse in Mecklenburg-Schwerin. Dort kam eine bürgerlich-konservative „Einheitsliste nationaler Mecklenburger“, in der sich DNVP, DVP, WP, Deutsch-Völkische Freiheitspartei und Landvolkpartei zusammengeschlossen hatten, 1929 auf stolze 44,6 Prozent, während die NSDAP auf bescheidenen vier Prozent sitzen blieb. Drei Jahre später hatten sich die Verhältnisse umgekehrt: die NSDAP erreichte 49 Prozent, die „Arbeitsgemeinschaft nationaler Mecklenburger“ scheiterte mit katastrophalen zwei Prozent. Während die Wählerschaft der linken Parteien selbst in den schlimmsten Krisenjahren relativ stabil blieb, lief das national-liberal-konservative Bürgertum in Scharen zur NSDAP über.Auf Reichsebene zeigte sich das gleiche Drama. Die liberalen und konservativen Parteien zersplitterten und zerbröselten zwischen einer relativ stabilen Linken und einer steil aufsteigenden Nazi-Partei. Das katholische Zentrum, das mit der linksliberalen DDP und der SPD lange Zeit die Weimarer Koalition gebildet hatte, vollzog 1928 mit der Wahl des reaktionären Kirchturm-Politikers Ludwig Kaas zum Vorsitzenden einen deutlichen Rechtsruck. Da die SPD die Reichstagswahlen mit dem linken Slogan „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“ gewonnen hatte, glaubten viele Zentrumspolitiker, sie müssten sich künftig als deutsche „Alternative mit Substanz“ im rechten Spektrum profilieren. Heinrich Brüning, ab 1930 Reichskanzler, spielte die 1931 geleakten Putschpläne der hessischen Nazis herunter, um sich eine spätere Zusammenarbeit nicht zu verbauen. Sein Nachfolger Franz von Papen trat aus der Zentrumspartei aus und wechselte 1938 zu den Nazis.Wie die AfD die CDU spaltetDer Deutsch-Nationalen Volkspartei erging es nicht besser. Da ihre Regierungsarbeit 1928 von den Wählern nicht honoriert worden war, glaubte sie, mit ihrem neuen Vorsitzenden Alfred Hugenberg noch weiter nach rechts rücken zu müssen. Die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei spaltete sich daraufhin ebenso ab wie die konservative Volkspartei (KVP). Sie wollten Hugenbergs Anbiederung an die Nazis nicht mitmachen. Doch der Rechtsschwenk der bürgerlichen Parteien nutzte nichts – das Original, die NSDAP, sog deren Wählerschaft auf wie ein Schwamm.Und damit zurück nach Thüringen. Die CDU konnte bei den Landtagswahlen 1999 noch sagenhafte 51 Prozent der Wähler auf sich vereinigen, 20 Jahre später hatte sich das Ergebnis mit 21,7 Prozent mehr als halbiert. Die AfD, 2014 erstmals am Start, erzielte auf Anhieb 10,6 Prozent, fünf Jahre später waren es bereits 23,4 Prozent. Doch das Auftreten der „Alternative für Deutschland“ schwächte nicht nur die CDU, auch die Liberalen büßten 2014 einen Großteil ihrer Wählerschaft ein und flogen mit desaströsen 2,5 Prozent aus dem Landtag.Daniel Günther gegen Friedrich MerzDas Abdriften der Wähler nach rechts außen scheint sich laut jüngsten Umfragen zu beschleunigen. Selbst ein Zerfall der bürgerlichen Parteien ist – wie seinerzeit in Weimar – nicht ausgeschlossen. Denn sowohl bei der Union als auch bei der FDP verstärken sich infolge des AfD-Höhenflugs die inneren Spannungen. In der Union ist ein Richtungsstreit zwischen dem pro-grünen christlich-moderaten Flügel um Hendrik Wüst, Daniel Günther, Tobias Hans und Boris Rhein und dem dezidiert konservativen Anti-Grün-Flügel um Friedrich Merz, Jens Spahn und Carsten Linnemann entbrannt, bei den Liberalen wird der Konflikt noch verdeckt durch die medienwirksamere Obstruktionsarbeit in der Ampelregierung.Während Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther eine klare Haltung gegenüber der AfD anmahnt und sogar gut gemeinte CDU-Anträge verwirft, „die absehbar nur mit Hilfe der AfD Aussicht auf Erfolg haben“, versucht Merz die Günther-Doktrin als verquere „Einzelmeinung“ abzutun. Spätestens im Herbst 2024, nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wird der Streit eskalieren und die Diskussion um den Kanzlerkandidaten prägen.Die Spaltung der CDU in zwei Teile, einen rechtskonservativen und einen, der am Ende „eine Art Grüne 2.0“ verkörpert, ist das Nahziel einer aufreizend selbstsicher auftretenden AfD. Deren Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, hat das ganz offen zugegeben. Nicht die grüne Partei, nein, die CDU sei „der strategische Hauptgegner“, denn, so Krah, „die politische Rechte kommt nur dann zum Erfolg, wenn die Christdemokraten verschwinden“.In 13 EU-Staaten haben rechtspopulistische Parteien die Konservativen überholtIn Italien und Frankreich ist das bereits gelungen. Aber auch andere Länder – wie Österreich oder Schweden – dienen als Vorbild. In 13 der 27 EU-Staaten haben rechtspopulistische Parteien mittlerweile die alten konservativen Parteien überholt oder sind ihnen dicht auf den Fersen. Im Glücksrausch des Erfolgs schaltet die AfD auf Angriff. Die Gemütsverfassung der Deutschen scheint für derbere Ansichten empfänglich zu sein.Denn die öffentliche Debatte wird seit Jahren von drei Themen beherrscht, die nach einem politischen Ventil verlangen: erstens die vermehrte Einwanderung mit ihren Folgeproblemen, zweitens die aufgrund des Klimawandels forcierte Energiewende und drittens die infolge des Russland-Ukraine-Kriegs wachsenden internationalen Spannungen mit den entsprechenden ökonomischen Verwerfungen.In allen drei Fällen braut sich ein Gefühl zusammen, das man – im AfD-Sound – etwa so beschreiben könnte: Während die anderen Staaten stur ihre nationalen Interessen verfolgen, vertreten wir Deutschen am liebsten die Interessen anderer, und zwar grundsätzlich zu Lasten der eigenen Bevölkerung. Wir lassen sämtliche Migranten und Flüchtlinge ins Land und ignorieren dabei unsere Belastungsgrenzen, während unsere Nachbarn die Ankommenden freundlich, aber bestimmt nach Deutschland durchwinken. Wir bürden der eigenen Bevölkerung – mit Wärmepumpen, Windrädern und Flüssiggas – eine kostspielige Energiewende auf, während andere Länder weiter ungerührt Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten, und zwar ein Vielfaches von dem, was die Deutschen verursachen. Wir unterstützen die Ukrainer mit Abermilliarden Euro, liefern ihnen Waffen, bilden ihre Soldaten aus und versorgen eine Million ukrainischer Flüchtlinge mit Bürgergeld und kostenloser Krankenversicherung, während bei der Grundsicherung unserer eigenen Kinder gespart wird. Wir unterstützen ein Land, dessen Militär – laut New York Times, Washington Post, ARD, ZDF, Spiegel und Zeit – mutmaßlich unsere Gasversorgung in die Luft gesprengt hat, vermeiden aber jede Diskussion darüber. Wir trauen uns nicht einmal, dreiste Forderungen ausländischer Politiker zurückzuweisen oder beleidigende Botschafter aus dem Land zu werfen. Wir schweigen zu allem und lassen uns am Nasenring durch die Arena ziehen. Unsere Regierung macht uns zu Deppen, über die die ganze Welt lacht. Soweit die Stimmung, der die AfD viel Raum bietet. Aber nicht nur die AfD. Das ständige Abledern gegen die Gurkentruppe in Berlin wird sowohl in den sozialen Medien gepflegt, in denen sich reichweitenstarke Influencer gegen Rot-Grün austoben, als auch in populistischen „Alternativ“-Medien wie Achtung Reichelt oder Tichys Einblick, ja selbst in Traditionsblättern wie Welt und Neue Zürcher Zeitung.Nationalismus als Zu-kurz-Kommen-GefühlEs ist die Stimmung des nationalen Zu-kurz-Kommens – wie im Deutschen Kaiserreich nach 1890, als rechte Agitationsverbände wie der Alldeutsche Verband, der Flottenverein und der Ostmarkenverein ihrer weltpolitisch zaudernden Regierung Dampf machten, um die sozialen Spannungen im Innern und die Ängste vor einer sich beschleunigenden Modernisierung nach außen lenken zu können. Es ist die Stimmung, die die Nazis benutzten, um der verhassten Republik und ihren Systemparteien den Garaus zu machen. Und es ist – in ihren Anfängen – die Grundstimmung einer Zeitenwende, die Klima, Migration und Krieg nur aushält, wenn das nationale Selbstwertgefühl die (Wohlstands-)Verluste kompensieren kann. Da hier aber eine Leerstelle existiert, die niemand außer der AfD (oder einer Wagenknecht-Partei) füllen will, verspürt ein wachsender Teil der Bürger heftigen Phantomschmerz und ist bereit, sich dem Nächstbesten, der verspricht, diesen Schmerz zu lindern, an den Hals zu werfen.Die Ampelregierung, die ihrem Selbstverständnis nach eine gemäßigt moderne, nüchtern-geschäftige, aber weitgehend stumm bleibende Regierung der Transformation und des Übergangs ist, versteht solche Regressionsschübe nicht. Sie hält nationale Aufwallungen für überholt. Und glaubt allen Ernstes, sie kommt damit durch.
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