Jedes Dresdner Kind kennt den „Gläsernen Menschen“, der gewissermaßen das Zentrum und Highlight der Dauerausstellung im Dresdner Hygiene-Museum ist. Doch wie er eigentlich entstand, das fragen sich wohl die wenigsten Besucher. Dasselbe gilt für die ungezählten Schautafeln und medizinischen Modelle, die sich nicht nur im Hygiene-Museum selbst finden, sondern von dort aus in die ganze Welt verkauft wurden. Dem Museum als Produktionsstätte nicht nur von Wissen und Diskursen, sondern im ganz konkreten Sinne von Lernmitteln widmet sich nun die Ausstellung VEB Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR.
Die Kuratorinnen Sandra Mühlenberend und Susanne Wernsing wagen einen etwas anderen Blick auf die Geschichte des eigenen Museums, das bis 1990 hauseig
as bis 1990 hauseigene Werkstätten beherbergte, in denen gläserne Menschen, Schautafeln und vieles mehr produziert wurden.Noch vor wenigen Jahren wäre solch ein Blick wohl undenkbar gewesen: Warum hätte man sich für die Betriebsabläufe und die Werktätigen interessieren sollen? Möglich wird der Perspektivwechsel durch das verstärkte Interesse an der Alltagskultur der DDR – als identitätspolitische Selbstvergewisserung derjenigen, die die DDR erlebten. Und zum besseren Verständnis für all jene, die die DDR eben nicht miterlebt haben. Auch das neue Interesse an der Arbeiterklasse in Ost und West, wie sie neue Kunstausstellungen und Romane demonstrieren, mag eine Rolle spielen.In der DDR war Arbeit – ganz gleich in welchem Volkseigenen Betrieb – ein zentrales sinn- und gemeinschaftsstiftendes Element. So kommt es, dass der Titel etwas suggeriert, das eigentlich nicht ganz stimmt. Ein Volkseigener Betrieb war das Museum nämlich nie. Seine Werkstätten allerdings waren organisiert wie einer. VEB ist eben ein griffiges Label, insbesondere für Ostdeutsche.Gestaltet wurde die Ausstellung von den Szenen- und Bühnenbildnern Susanne Hopf und Mathis Neidhardt. Sie zeigt 16 Arbeitsräume, unter anderem das Lager und das Direktorenzimmer, wobei keine Rekonstruktion stattfindet, der Besucher also keinen nachträglich in den Originalzustand versetzten Raum betritt. Vielmehr findet eine Übersetzung statt: Die Ausstellungsmacher sprechen von „Raumfiguren“, in denen collagiert und zitiert wird. Das „Klubhaus“ etwa zeigt kulissenhaft inszenierte Miniatur-Klubräume.Das Museum verdoppelt sich so in einer Rolle als „space“, indem es nicht einfach Schauplatz einer Ausstellung ist, sondern den eigenen Raum inszeniert und so sichtbar macht, welche Rolle das Museum und seine Produktionsabteilung innerhalb des Gesellschaftsraumes DDR einnahmen.Die vier Abteilungen „Netzwerke“, „Machtraum“, „Produktion“ und „Klubhaus“ zeigen politische und wirtschaftliche Verflechtungen sowie Alltägliches, etwa Betriebsfeiern.Auch wer mit den Ausstellungen des Hygiene-Museums vertraut ist, trifft hier auf Überraschendes: Nicht nur gläserne Menschen wurden hergestellt, sondern auch gläserne Kühe, die etwa auf der Weltlandwirtschaftsmesse 1959 in Neu-Delhi vorgestellt wurden. Solche Messeauftritte dienten der internationalen Präsentation der eigenen Produktpalette.Andere Anschauungsmaterialien waren ebenso gefragt, etwa Moulagen, also medizinische Wachsmodelle, die Krankheitsbilder darstellen. Leider konnten die Mitarbeiter der Werkstätten nicht immer mit allen gewünschten Modellen dienen. Die Produktion beruhte auf zahlreichen alten Abgüssen und Präparaten; diese betrafen spezifisch europäische Krankheitsbilder. Krankheiten, die in den sogenannten Entwicklungsländern endemisch waren, fehlten dagegen. So musste die Produktion speziell auf diese Länder angepasst werden. Etwa, indem man anatomische Modelle mit dunkler Hautfarbe fertigte. Entworfen werden sollte etwa ein „Schwarzer Normkörper“. Allein die Produktion von solchen Normvorstellungen im inner- und außereuropäischen Kontext wäre ein spannendes Thema für sich allein.Dass sich das Museum um den außereuropäischen Markt für medizinische Lehrmittel bemühte, hatte einen einfachen Grund: Nach einer Welle der Dekolonialisierung auf dem afrikanischen Kontinent boten sich die jungen Staaten als Wirtschaftspartner und Empfänger der sozialistischen Botschaft an. Im weiteren Sinne waren sowohl die medizinischen Modelle als auch das durch sie verkörperte medizinische Wissen Exportschlager (was wiederum einen kolonialistischen Blick beinhaltete, galt es doch, der „Dritten Welt“ Wissen über Hygiene zu vermitteln).Interessant sind in diesem Kontext auch die Werkstätten-Markenaufkleber „Made in GDR“ mit dem stilisierten Auge, das auch im Logo des Museums auftaucht. Während für Devisen ins Ausland verkaufte Produkte tatsächlich häufig erstklassig waren, war Made in GDR für DDR-Bürger nicht immer ein Qualitätsmerkmal.Dass die Ausstellung womöglich etwas zu viel anstrebt, wenn sie den Blick sowohl auf die alltäglichen Arbeitserfahrungen als auch auf die internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen der DDR, auf Kolonialismus und nationale Planerfüllung richtet – geschenkt. Sie ermöglicht einen überraschenden neuen Blick auf die „Fürsorgediktatur“ DDR zwischen emanzipatorischem Anspruch und staatlicher Kontrolle. Und trägt in diesem Sinne womöglich zu einer nuancierteren Aufarbeitung der DDR bei.Placeholder infobox-1