Jetzt sind wir dran!

Feminismus Während der Feminismus noch seine Verdienste von gestern lobt, ist eine junge Generation von Frauen bereits dabei, der symbolischen Mutter den Todesstoß zu versetzen

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Der Freitag titelte vorletzte Woche mit der Erfolgsstory Feminismus. Eine Erfolgsgeschichte, die gerade von jungen Frauen negiert werde, indem sie sich vom Feminismus distanzieren, auch deshalb, so sieht es Jana Hensel in ihrem Text, um sich der Gunst der mächtigen Männer gewiss sein zu dürfen:

Offenbar gelten Privilegien und Koalitionen mit Männern noch immer als attraktiver als Solidarität zu Frauen. Solche Verbindungen scheinen nämlich Einfluss zu garantieren, und viele glauben, je weiter sie sich von vermeintlichen Opfern entfernt positionieren, desto näher könnten sie an solche Machtzentren herangelangen. (Jana Hensel: Mir nach, Leute!)

Das Erinnern an die erbrachten Leistungen des Feminismus in den letzten Jahrzehnten ist freilich ein schwaches Argument für künftigen Zuspruch und erinnert nicht zufällig an das Schuldgefühl, das unsere Mütter uns zielsicher und mehr oder weniger subtil einimpfen können, wenn wir mal wieder keine Zeit für ein ausführliches Telefonat haben und diesen Sonntag auch nicht auf einen Kaffee vorbeikommen können. „Ich hab doch immer alles für dich getan! Und so dankst du es nun!“

Der Gedanke, junge Frauen stünden in jemandes Schuld, ist das denkbar schlechteste Argument für einen modernen Feminismus. Zugleich mag das erzeugte Schuldgefühl auch den Abwehrreflex mancher Frau erklären.

Jana Hensel hat recht damit, wenn sie die Unlust, die gegen den Feminismus geäußert wird, auch als Akt der Selbstvergewisserung der jüngeren Generation deutet, die sich damit brüstet, das Individuum selbst habe den Freiheitskampf gekämpft und seine Emanzipation eigenverantwortlich und selbstbestimmt vollzogen.

Es scheint vielen Frauen Individualität zu versprechen, sich dem Feminismus zu verweigern. Denn dieser Individualismus garantiert ihnen, ein funkelndes Einzelwesen zu sein und kein hässliches Massentier. (Jana Hensel: Mir nach, Leute!)

Mit anderen Worten: Der Feminismus wird verleugnet, weil er scheinbar den Akt der Selbstemanzipation schmälert, der nur Pfade beschreitet, die andere zuvor ausgetrampelt haben.

So richtig Jana Hensel mit ihrer Einschätzung liegt, so sehr muss man auch fragen dürfen, ob der Wunsch, Emanzipation für sich selbst erarbeitet zu haben, nicht auch ein legitimer ist. Freilich hat meine Generation dabei nicht bei null angefangen.

Autonomie bildet den Kern des modernen Frauen-Ideals, an dem der Feminismus maßgeblich Anteil hat, wieso verwundert es dann also, wenn junge Frauen genau das heute sein wollen: Unabhängig?

Zur Inszenierung eines Generationenkonfliktes

Wir haben es, so scheint es mir, auch und vor allem mit einem Generationenkonflikt zu tun, der kulturgeschichtlich ja nichts Neues ist, wobei er zum ersten Mal vor allem das Verhältnis von zwei Generationen von Frauen betrifft und öffentlich zwischen ihnen ausgetragen wird. Die genüssliche Inszenierung des Untergangs des Alten und des Triumphes des Neuen ist ein klassischer Topos, und wie könnte man einer Bewegung einen drastischeren Todesstoß versetzen, als ihr zu sagen, sie sei belanglos, gar „ekelerregend“ (Ronja von Rönne).

Der literarische Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts kannte das Motiv des Vatermordes, ultimativ inszeniert in Franz Werfels Novelle mit dem etwas sperrig- didaktischen Titel: Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig. Genau das könnte auch das Motto des Muttermordes an den feministischen Übermüttern unserer Zeit sein: Ihr seid doch selbst schuld, herrisch, wie ihr seid!

Im literarischen Expressionismus galt die Mordlust ja längst nicht nur dem realen oder imaginierten Vater, wenn auch auf symbolischer Ebene, sondern auch jenen Literaten, die den jungen, stürmenden und drängenden Autoren im Wege standen. Man musste deren Tod literarisch in Spottgedichten und Theaterstücken besiegeln, um sich selbst an deren Stelle setzen zu können. Hinfort, jetzt bin ich dran!

Zeitgleich mit literarischen Morden an Vätern durch junge Expressionisten erschien Sigmund Freuds Totem und Tabu, in dem er den Mord am tyrannischen Urvater durch die Schar der Söhne als Beginn von Totemismus und Religion, letztlich der Kultur schlechthin imaginiert (wohl aber nur seine eigene Angst verarbeitete, von seinen Schülern entthront zu werden).

Der symbolische Muttermord

Was Feminismus-Kritik derzeit vollzieht, ist offenkundig ein symbolischer Muttermord, ein Mord an der feministischen, stets belehrenden, besserwissenden Über-Mutter, in der sich Bilder der realen und imaginierten Mutter mit der symbolischen Rolle der Frauenbewegung (die ja einst geistige Mutterschaft behauptete!) vermengen.

Kleiner Treppenwitz: In der griechischen Tragödie geht dem Muttermord stets der Mord am Vater durch die Hände der Mutter voran – im Falle des Feminismus handelt es sich natürlich um den symbolischen Mord am Patriarchat, der nun aber nicht mehr von den Söhnen (zu schwach?) gerächt wird.

Es ist die symbolische Mutter, die das Band zwischen Frauen und Männern gekappt hat und nun mit ihrem Ableben dafür bezahlen muss: Der Feminismus hat das Verhältnis zwischen Mann und Frau auf den Ebenen von Romantik, Liebe und Erotik nachhaltig verändert. Manche junge Frau mag sich betrogen fühlen, nicht um die Rolle als Heimchen am Herd, aber um ein unkompliziertes Verhältnis zu Männern, ohne Geschlechterkampf und Rollenzertrümmerung.

Schluss mit Rechtfertigungen

Gegenwärtig verspürt der Feminismus offenkundig einen Rechtfertigungsdruck, was auch die Vielfalt der Texte mit dem Tenor „Schaut, was der Feminismus für euch errungen hat!“ erklärt.

Der Feminismus aber muss sich nicht mehr rechtfertigen, er ist eine historische Tatsache. Was er verändert hat, ist - entgegen den Befürchtungen vieler Feministen - nicht mehr rückgängig zu machen. Wer permanent die Daseinsberechtigung des Feminismus zu begründen sucht, der untergräbt ihn eher. Machen statt Reden, echte Probleme angehen statt Scheinprobleme zu inszenieren, die nur wieder das Bild des Feminismus in der Öffentlichkeit beschädigen (man denke an das Berliner Verbot von „sexistischer Werbung“), sollte die Aufgabe eines modernen Feminismus sein.

Der Feminismus muss aufhören zu belehren und über das richtige Frauenleben zu diskutieren. Das richtige Leben kommt in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen daher. Ich (mit vielen anderen Frauen meiner Generation) wünsche mir einen libertären Feminismus, der in bestimmten Lebensgewohnheiten nicht gleich den Rückfall in alte Rollenmuster erkennt. Der nicht mehr in Opfer-Täter-Konstellationen, sondern in Koalitionen zwischen Männern und Frauen denkt. Ein wenig mehr positives Pathos, mit anderen Worten.

Apropos, betrachten wir die Sache mit dem Muttermord doch einmal ganz positiv: Der symbolische Mord an der feministischen Mutter in Form einer „Abrechnung“ könnte eine Entlastungsfunktion für viele Frauen haben, die sich von allen Formen der Bevormundung emanzipieren wollen. Der Muttermord könnte so zur Quelle für ein ganz neues Matriarchat (in dem man der symbolischen Mutter dann ungeteilt Verehrung zukommen lassen kann) werden.

Sodann: Der Feminismus ist tot; es lebe der Feminismus!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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