Lobet den Herrn!

Patriarchat Alle scheinen sich einig: Der Mann ist das defizitäre Geschlecht. Wundert es da, wenn so mancher Mann mit Wut auf diese Botschaft reagiert? Zeit für eine Rehabilitation

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Lobet den Herrn!

Foto: Staff/AFP/Getty Images

Etwas ist aus dem Lot geraten zwischen den Geschlechtern. Dafür, dass die Deutschen allenthalben eine sehr pazifistische Grundhaltung an den Tag legen, herrscht in Fragen des Geschlechtes und des Machtverhältnisses zwischen den Geschlechtern doch reichlich viel Krieg. Ein echter Grabenkrieg. Man muss sich nur einen beliebigen Artikel im Netz zum Thema „Geschlecht“, Gleichberechtigung oder „Gender“ anschauen: Im Thread zum Text entspinnen sich binnen Stunden Diskussionen, die an Häme und Niedertracht, Spott und Gemeinheit kaum zu überbieten sind. Begriffe wie „Feminismus“ oder „Gender“ sind zu absoluten Reizworten avanciert. Und die gängige Deutung für Phänomene wie das Trolling lautet: Hier tun sich die Zu-kurz-Gekommen, die Versager, die Loser hervor und attackieren die Gewinner der Geschichte. Das Patriarchat hat abgefrühstückt, get over it! Aber so einfach ist das gar nicht. Das Problem beginnt mit einem Missverständnis.

Die Geschichte wird immer von Siegern geschrieben

Die gängige Lesart vom Ende des Patriarchats lautet so: Der Feminismus (in letzter Zeit tritt eher der Begriff des Gender-Mainstreamings an die Stelle des F-Wortes) habe die Familie, die Geschlechterbeziehungen, die gesellschaftliche Ordnung schlechthin aus dem Lot gebracht. Und nun stünden alle vor dem Ruin, besonders die Männer natürlich, denen Quotenfrauen und Emanzen das Leben mächtig schwer machen. Im Grunde genommen folgen beide Seiten – Feminismus und Männerfront – dieser Lesart, nur mit unterschiedlichen Wertungen. Der Niedergang des Mannes wird also als Folge weiblicher Entthronung betrachtet. Man könnte die Geschichte aber auch anders lesen. Und damit die unsägliche Debatte um „Gender-Mainstreaming“ einfach vom Tisch kehren.

Der Anfang vom Ende des Patriarchats beginnt nicht mit der 2. Frauenbewegung der 60er und 70er. Und es waren – Tragik der Geschichte – nicht die Frauen, die das Patriarchat stürzten. Es waren die Männer selbst. Das Ende des Mannes (so ja der Titel von Hanna ­Rosins Bestseller) beginnt mit dem Ersten Weltkrieg, und es verwundert mich schon, dass im Weltkriegserinnerungsjahr 2014 so viel darüber gestritten wurde, ob in den Krieg getaumelt, schlafgewandelt oder freudig marschiert wurde. Historisch und soziologisch ebenso spannend – und mindestens genauso folgenreich - ist die Frage, welche Konsequenz der Krieg für den Mann hatte. Denn der Mann – nicht nur jeder einzelne, sondern der Mann als Patriarch, als Repräsentant eines Systems – kehrte aus dem Krieg versehrt zurück. Unabhängig davon, ob der einzelne Mann physisch verwundet oder psychisch zerstört oder augenscheinlich unverletzt heimkehrte: Der Mann als Patriarch hatte an Integrität in jedem Wortsinne verloren. Denn die Stellung des Patriarchen in Familie und Gesellschaft fußte ja nicht auf offener Unterdrückung der Frau – dann hätte sich dieses System nicht so lange halten können.

Die Vormachtstellung des Mannes in Familie, Gesellschaft, Kirche und Staat beruhte nicht auf einer kämpferischen Aneignung, sondern seiner moralischen Überlegenheit. Natürlich können wir heute diese moralische Überlegenheit als Konstruktion - oder nennen wir es Fiktion - abtun, natürlich wissen wir, dass das 18. und 19. Jahrhundert viel Energie darauf verwendete, die psychische Unterlegenheit der Frau auf deren schwache körperliche Konstitution zurückzuführen. Dass allerhand rhetorischer Aufwand betrieben wurde, der Frau Intelligenz abzusprechen. Aber Konstruktion hin oder her: Die Taktik verfing (ebenso, wie wir heute gerne die moralische Überlegenheit der Frau behaupten). Der Mann hatte auch und vor allem moralische Vormacht.

Aber niemand, der Augen zu sehen und Ohren zu hören hatte, konnte am Ende des Ersten Weltkrieges noch ernsthaft die moralische Überlegenheit des Mannes behaupten. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war gar die moralische Integrität des Menschen per se infrage gestellt. Der Krieg war offenkundiges Zeichen für den Verlust der Moral. Was blieb dem Mann also noch? Mit dem Verlust der Bedeutung der Religion als Sinnstiftung war auch die religiöse Funktion des Mannes am Ende des 19. Jahrhunderts verloren gegangen (der Patriarch verkörperte auch religiöse Rechtschaffenheit). Der Verlust der körperlichen Integrität durch Kriegsverwundung stellte schließlich sogar den männlichen Körper infrage. Nationalstolz bot sich dem Deutschen ebenfalls nicht mehr an, und im Gegensatz zum amerikanischen Mann konnte sich der Deutsche auch nicht in den Heldenmythos (die Fluchtfantasie des zerstörten Mannes) flüchten. Kurzum: Der Mann war lange vor Beginn der 2. Frauenbewegung am Ende, am symbolischen Nullpunkt angelangt. Nicht der Feminismus hat euch, liebe Männer, entthront, den König gestürzt, seinen Körper verletzt. Ihr selbst habt euch den Dolchstoß versetzt. Es gibt also keinen Grund, dem Feminismus zu zürnen. Damit erübrigt sich jeglicher Revanchismus.

Lob über den grünen Klee...

Aber sehen wir es doch einmal von der positiven Seite: Nur wenige Männer (die dafür umso heftiger) tun sich überhaupt als wütende Haudegen im Netz hervor. Der Rest ist doch sehr friedlich. Und gutmütig. Angesichts der Tatsache, dass Männer in den letzten hundert Jahren gewissermaßen kollektiv entthront wurden, schlagen sie sich also eigentlich ziemlich prächtig. Die Männer in meinem Umfeld (aber das mag ja nicht repräsentativ sein) taugen zum Feindbild überhaupt nicht, im Gegenteil: Sie sind klug und angenehm, hilfsbereit und warmherzig.

Ich will mich hier beim besten Willen nicht zur Männerversteherin aufschwingen, aber eines muss man mir zu sagen gestatten: Männer haben es gewiss nicht leicht, eine neue Rolle für sich zu finden, eine, die sie im Selbst- und Fremdbild nicht als Funktionsträger begreift – beispielsweise als Ernährer und Versorger. Der Schlüssel zu dieser neuen Rolle könnte – aber ich bin schließlich kein Mann und sollte mir hier vielleicht meine Ratschläge verkneifen – in einer Eigenschaft liegen, die ich an der Mehrzahl der Männer, die ich kenne, beobachte und absolut schätze: Sanftmut. Dieses Wort ist ein wunderbares Beispiel für die Qualität der deutschen Sprache, aus zwei zusammengesetzten Begriffen einen neuen Begriff zu formen, der die einzelnen Bedeutungen nicht nur verbindet, sondern übertrifft. Der Wortteil „mut“ bezieht sich wohl eher auf das mittelhochdeutsche „­muot“, das Gemüt vielmehr als Mut im Sinne von Tapferkeit. Und trotzdem ist natürlich auch die neue Bedeutung des Mutes enthalten, aber nicht als heldenhafte Tapferkeit, eher als Willensstärke. Denn einen sanften Helden kennt der klassische Mythos nicht (obwohl er den heulenden Helden kennt, wie Jens Jessen in seinem Artikel Über weinende Männer feststellte). Vielleicht aber könnte die Gegenwart diesen sanften Helden gebären? Einen wie Ragnar ­Lodbrok in der Serie Vikings (zumindest deren erster Staffel), der dafür, dass er ein Wikinger ist, doch reichlich sanftmütig erscheint (wenn er sich nicht gerade an Verrätern rächt – aber hey, er ist ein Wikinger!). Er ist eher ein Faust, der nach Erkenntnis sucht, als ein brandschatzender Berserker. Und ­Floki, sein Schiffsbauer, erinnert auch nicht zufällig an Mephisto! Ragnar jedenfalls ist ein weinender Held.

Neue Männerbilder

Neulich las ich in einer Frauenzeitschrift einen Artikel über DILFs (in Anlehnung an die MILF), den „Daddy I'd like to fuck“ also. Interessanterweise waren die Männer, die darin als DILFs bezeichnet wurden, Männer, die Sanftmut zeigten, indem sie ihre kleinen Kinder spazieren trugen. Ihre Sexyness entstammt also der Fürsorge und Sanftheit, die sie gegenüber ihren Kindern zeigen (während die MILF ihre Sexyness eher aus der Stärke ihrer reifen und machtvollen Erotik bezieht!). Ob MILF oder DILF: Die Anziehungskraft der jeweiligen Fantasie liegt im Bruch mit Rollenerwartungen bei gleichzeitigem Verweis auf traditionelle Rollenbilder.

Im Falle des DILFs sind ja gerade Fürsorge, Stärke und Beschützerinstinkt des physisch starken Männerkörpers, der mit jenem zerbrechlichen kleinen Wesen, dem Säugling, konfrontiert wird, das, was so anrührend ist – auch wenn das Wort etwas altmodisch erscheint. Der Begriff Sanftmut jedenfalls enthält all jene alten und potenziell neuen Bilder von Männlichkeit. Vielleicht könnte der Begriff einen Kompass, einen Orientierungspunkt für neue Männlichkeitsbilder liefern. Ich ahne, dass jetzt einige Männer sagen werden: Über Männlichkeitsbilder habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Oder, wie es das Community-Mitglied R. M. in einem Kommentar zu Männlichkeit ist Krise so wunderbar ausdrückte: "Mir fiele gar nichts anderes ein, als männlich zu sein." Diese Haltung hängt aber offenbar davon ab, wie fest gefügt das Bild von Männlichkeit ist. Und: Dieses Bild von Männlichkeit muss dann immerhin eine positive Identifikationsgrundlage bilden.

Das Ende des Mannes? Besser: Ein Neuanfang

Ich habe oben Hanna ­Rosins Buch erwähnt. Es wurde in Deutschland viel besprochen, und ich konnte mich dabei des Gefühls nicht erwehren, dass da immer auch Häme und Spott mitklangen, wenn das Ende des Mannes erklärt wurde. ­Rosin argumentiert ja, dass der Mann im Zuge der Wirtschaftskrise seine Funktion als Ernährer verlor. Und zudem wiederum in seiner moralischen Integrität erschüttert wurde – waren nicht die Auslöser der Krise „gierige Banker“? Rosin erklärt das Ende des „symbolischen“ Mannes. Aber diese Erklärung hat auch Rückwirkung auf jeden einzelnen, realen Mann: Der muss sich nämlich nicht nur mit einer Aburteilung als Angehöriger eines Geschlechtes abfinden („Männer sind Egoisten!“), er wird auch rein auf eine Funktion reduziert, die ihm abgesehen vom Geldverdienen keine nennenswerte Bedeutung im Leben einer Frau beimisst. Die Frage lautet nur, ob wir Frauen uns einen Gefallen damit tun, Männer symbolisch zu exekutieren. Vielleicht sind Häme und Spott ja die Gründe dafür, dass sich immer mehr Männer ausgerechnet dem verweigern, was viele Frauen immer noch als Primärziel ihres Lebens begreifen: einer stabilen Bindung, eine Partnerschaft fürs Leben, einer gemeinsamen Familie.

Wenn unsere Gesellschaft mittlerweile von einem Ideal von Weiblichkeit, das Klischeevorstellungen wie Altruismus und Vermittlergeist beinhaltet, geradezu überschwemmt wird, und gleichzeitig klassische Männlichkeit als obsolet gilt, stellt sich die Frage, welche neuen Formen von „männlichem Protest“ im adlerschen Sinne all das provoziert. Alfred Adler prägte diesen Begriff im Hinblick auf Männer, die gegen innere Anteile an Weiblichkeit protestieren und in einem Akt der Überkompensation nur noch Härte und Dominanzverhalten zeigen können (weil das eben „unweiblich“ ist).

Männlicher Protest

Zu Adlers Zeit geschieht dieser Protest aufgrund der realen und gefühlten gesellschaftlichen Minderwertigkeit der Frau (der Mann kann also seine weiblichen Anteile nicht schätzen, weil sie ihm per se als minderwertig erscheinen müssen). In einer Zeit aber, in der Weiblichkeit als überlegen gilt, würde die Anerkennung der eigenen weiblichen Anteile durch einen Mann zugleich die Abwertung der inneren männlichen Anteile bedeuten. Auch würde das Zulassen von scheinbar weiblichen Qualitäten einen Mann, der ohnehin von Frauen „überschwemmt“ ist (Mutter, Erzieherinnen, Lehrerinnen usw. prägen den jungen Mann), in seiner Identität weiter verunsichern und die Übermacht der Frau im eigenen ­Ich weiter verfestigen. Und diese Übermacht der Frau wird nur umso größer, je mehr es an positiven Bildern von Männlichkeit mangelt.

Im Ergebnis können sich viele Männer nur verweigern, auch und vor allem den weiblichen Ansprüchen auf Sanftmut und Fürsorge. Übrigens formulierte Adler diesen Gedanke angesichts des Ersten Weltkrieges und nimmt eine feministische Position – die männliche Übermacht sei schuld an menschlichen Verwerfungen – damit um 50 Jahre vorweg. Vielleicht hilft es also auch uns Frauen, die in Männern nicht nur einen schnöden Funktionsträger sehen, sondern jene wunderbare symbolische Ergänzung - das Andere in ihm - suchen, wenn wir ihn etwas über grünen den Klee loben. Das hat er sich einfach mal verdient. Vom Lieblingskind zum Aschenbrödel. So einen Absturz verkraftet nicht jeder. Er aber schon. Mit Sanftmut und Stärke.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden