Vor Monaten hörte ich ein Radio-Interview mit einer Pädagogin zur Frage, wie Eltern den Lockdown mit ihren Kindern meistern können. Ein Tipp der Expertin: Es sei okay, wenn Kinder in dieser Zeit häufiger als üblich fernsähen.
Mein erster Gedanke: Wann wäre ein besserer Zeitpunkt für einen Tom-und-Jerry-Marathon als inmitten einer globalen Pandemie? Gut, ich bin keine Bildungsexpertin. Der Ratschlag blieb aber aus zwei Gründen hängen: Erstens, weil man sich Vieles vorstellen kann, auch den Untergang der Welt durch ein Virus, aber nicht das Ende des mütterlichen Fernsehzeiten-Managements. Was Common Sense sein müsste – dass die Krise manche Regeln außer Kraft setzt – ist gerade das nicht: Konsens. Sonst bedürfte es nicht der Rückversicherung durch die Expertin.
Die zweite Erkenntnis: Die offensichtlich untaugliche Reaktion auf eine beispiellose Krise ist ein Immer-Mehr eines Verantwortungsregimes, das vor allem Mütter sich auferlegen. Nun folgen Mütter keinem masochistischen Impuls. Sie reiben sich nicht vor lauter Langeweile für die Erziehung ihres Nachwuchses auf. Woher aber stammt der unbedingte Wunsch, vor den Kindern und Außenstehenden die Fassade zu wahren, weswegen man auch in der Krise streng nach alter Regel verfährt?
Schlichtweg daher, dass Mütter an allem schuld sind! Das Leben geht ja, hoffentlich, auch nach der Krise weiter. Und spätestens dann werden sich vor allem die Mütter rechtfertigen müssen: Hat man das Kind auch ernst genug heimbeschult? Hat man die Zeit effizient genug gemanagt? Ist das Kind – Himmel noch mal – leistungsmäßig womöglich hinter Gleichaltrige zurückgefallen?
Dass sich unser ohnehin in jeder Hinsicht überholtes Schulsystem in einer globalen Pandemie als untauglich erweist, kurz- oder mittelfristig auf eben diese Krise zu reagieren – geschenkt! Aber die Verantwortung für all die Probleme, die daraus resultieren, tragen natürlich die Eltern. Also, die weiblichen Eltern. Ich mag hier, aus Gründen der Geschlechtszugehörigkeit, voreingenommen sein. Aber ich hatte noch bei jedem Schulproblem meines Sohnes das Gefühl, dass ich mich als Mutter für irgendein Versagen zu rechtfertigen hätte. Ganz so, als wäre das Kind eines meiner Körperteile, das ich nach Belieben steuern und dirigieren kann.
Tatsächlich gibt es Studien, die die Erkenntnis, wonach der Schulerfolg von Kindern von den Eltern abhängt, konkretisieren: Die Mütter machen den Unterschied. Allein schon deshalb, weil sie viel mehr Zeit mit den Kindern verbringen. Wenn Mutti sich auch in der Pandemie nicht locker machen kann, dann deshalb, weil sie früher oder später die Quittung für jedes Versäumnis erhält.
Deshalb folgt an dieser Stelle – Achtung, Achtung! – ein Plädoyer für organisierte Verantwortungslosigkeit, wie sie auch meine Mutter ihren drei Kindern angedeihen ließ. Fernsehzeiten kontrollierte sie nur anfangs, kurz nach Anschaffung unseres ersten TV-Gerätes, und auch nur, weil sie fürchtete, dass häufige Benutzung die Lebensdauer des Gerätes beeinträchtigen könnte. Die Kontrolle unserer Fernsehzeiten in ihrer Abwesenheit – sie arbeitete in Vollzeit – erfolgte in Form des Handauflegens auf das TV-Gerät nach ihrer Rückkehr. War es noch warm, waren wir zu blöd gewesen, das Gerät rechtzeitig vor ihrer Ankunft auszuknipsen.
Da solch ein Regime die Unaufrichtigkeit der Kinder fördert, gab meine Mutter es rasch auf. Gegen alle Wahrscheinlichkeit wurde aus den drei fernsehaffinen Gören doch noch was: Hochschulabsolventen. Also, liebe Muttis: Macht euch lockdown-locker!
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