Oben ohne in Berliner Schwimmbädern: Free the Nipple ist nicht die Befreiung der Frau

Meinung In Berlin dürfen Frauen jetzt oben ohne ins Schwimmbad. Die weibliche Brust, so die Forderung, muss „desexualisiert“ werden. Aber warum denn das, um Himmels willen?
Ausgabe 12/2023
In Berliner Schwimmbädern ist Frauen nun das Baden „oben ohne“ erlaubt.
In Berliner Schwimmbädern ist Frauen nun das Baden „oben ohne“ erlaubt.

Foto: Imago/Eibner Europa

Ein wenig macht es mich schmunzeln, dass die Freiheit der Brust alle paar Jahre zum Gradmesser der Freiheit der Frau erkoren wird. Einst verbrannte man Büstenhalter, dann entflammten hitzige Diskussionen über das öffentliche Stillen. Nun geht es um die Frage, wer in Freibädern oben ohne baden darf. In Berlin dürfen das seit Kurzem auch die Frauen. Endlich, sagen die Befürworter:innen, gleiches Recht für alle! Brüste sind keine primären Geschlechtsorgane. Und nur diese müssen in Freibädern bedeckt werden.

Nun fände auch ich es lächerlich, wenn man eine obenherum Entblößte von der Polizei aus einem Freibad eskortieren ließe. Brüste tun schließlich niemandem weh. Grundsätzlich aber misstraue ich der Freiheitsbotschaft, die Geschlechtergerechtigkeit an der Nippelfreiheit misst. Es will mir scheinen, als sei die Sache mit dem Oben-ohne-Baden im Freibad ein weiteres Beispiel für einen First-World-Feminismus, der an echten Gerechtigkeitsfragen vorbeidiskutiert. Unter all den Gerechtigkeitsfragen, die wir behandeln sollten, landet die Nippelfreiheit bei mir ziemlich weit unten. Gleich neben der Tamponsteuer.

Seit vor einigen Jahren der Hashtag „Free the Nipple“ für brustwarzenbezogene Gleichberechtigung warb, höre ich immer wieder, die weibliche Brust müsse entsexualisiert werden. Aber warum denn das, um Himmels willen? Selbst eine Heterofrau wie ich findet Brüste sexy. Jedenfalls betrachte ich sie gerne, eigentlich starre ich regelrecht. Das geht einigen Männern vermutlich genauso. Muss so ein evolutionärer Reiz sein, der weit über den reinen Fortpflanzungstrieb hinausgeht – die Faszination der Mutterbrust oder so. Aber wäre die Welt wirklich schöner, besser, gerechter, wenn man Frauenbrüste nicht mehr als sexuell reizvoll empfände?

Auch im Kontext des öffentlichen Stillens insistieren einige, so eine üppige Brust, aus der Milch und Honig fließen, sei keineswegs sexuell konnotiert, sondern nur Nahrungsquelle fürs Kind. Blödsinn ist das. Eine Brust kann beides sein, Nahrungsquelle und wogende Versuchung, eine triviale Fettansammlung an jemandes Oberkörper und sexy zurechtgepushtes Flirtsignal. Da gilt es, Ambivalenzen auszuhalten.

Ganz sicher halten Sie mich jetzt für sexistisch und verklemmt. Ehrlich, so schlimm ist es nicht. Wie viele andere Frauen sitze ich an Badeseen oben ohne oder nackig herum, das erscheint mir ganz natürlich (gefährliches Wort). Es ist so eine Art Gewohnheitsrecht. Vielleicht handelt es sich um eine Ossi-FKK-Prägung, mag schon sein, aber vielen Frauen geht es genauso, sie baden eben nackt am See, während sich die Männer diesbezüglich zurückhalten. Erst in der Altersgruppe der Männer jenseits der siebzig scheint der Nacktbadedrang überwältigend; diese Altersgruppe hegt zudem einen ausgeprägten Hang zum gründlichen Frottieren der Beine in gebückter Position (was man da so alles zu sehen bekommt!). Ich schweife ab. Eigentlich ging es mir doch darum, von der Gleichberechtigung zu sprechen.

Warum also mache ich selbst eine bigotte Differenz zwischen Badesee und Freibad auf? Vielleicht, weil Freibad und Wasserspielplatz öffentliche Begegnungsräume sind; Orte der zivilen Zusammenkunft, an denen man auf Arbeitskollegen, die Eltern der Kindergartenfreunde des Sohnes oder die Verkäuferin aus der Lieblingsbäckerei stößt. Eine Spaßbad-Polis also, in der ich persönlich mir die Würde des Subjekts bewahren möchte, wozu gehört, wenigstens notdürftig bedeckt zu sein. Ausgerechnet dort nackt und frei sein zu wollen, verkennt die Natur des Ortes. Da überlasse ich es gerne den Männern, mit ihrem Brusthaar und Brustfett auch gleichsam ihre Würde zu entblößen.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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