Verlorene Kicks

Krimi In „Blutwunder“ muss Dealer Ryan sich an drei Frauen abarbeiten. Auch sonst hat er Ärger
Ausgabe 45/2019
Ein bunter Rausch. Beste Voraussetzungen für eine Straftat
Ein bunter Rausch. Beste Voraussetzungen für eine Straftat

Foto: Imago Images/Seeliger

Frauen sind so ein Thema für Ryan. Nicht nur Karine, die Frau, die Ryan seit sechs Jahren liebt, und der es doch nicht gelingt, ihn von den Drogen und dem Dealen fernzuhalten. Als Karine schließlich die Nase voll hat von ihm, tritt plötzlich die seltsam forsche Natalie in sein Leben. Die charakterisiert sich selbst als Hexe, ist jedenfalls eine Verführerin des psychisch mächtig angeschlagenen Mannes, besitzt allerdings nicht die hellseherischen Kräfte Maureens, der dritten Frau, mit der Ryan sich herumschlagen muss. Maureen aber, die er auf einem Rummelplatz kennenlernt, ist anders. Nicht jung, nicht schön; sie ist für ihn eine Art Mutterfigur. Eine, die es vermag, ihn zu durchschauen. Viel zu viel weiß sie über ihn, weswegen Ryan unbedingt mehr über Maureen erfahren muss. Das ganze Kuddelmuddel wird noch komplizierter, als sich herausstellt, dass es eine Verbindung zwischen Maureen und Ryans verstorbener Mutter gibt: Es ist das Klavier, das dem sensiblen Jungen nach dem Selbstmord der Mutter genommen wurde.

All diese Komplikationen mit den Frauen machen Ryans ohnehin so verwickeltes Leben nicht leichter. Denn da ist ja noch der Deal mit der neapolitanischen Camorra, den er für seinen Ziehvater und Großdrogendealer Dan sichern muss. Ryan lebt in Cork, ist ein Kind der Arbeiterklasse der irischen Stadt. Aber seine Mutter und Nanna stammen aus Neapel. Allzu viele irische Drogendealer mit flüssigen Neapolitanischkenntnissen gibt es eben nicht in Cork, weswegen Ryans Hilfe für Dans Deal unerlässlich ist. Aber alles geht, natürlich, schief. Die Lieferung mit Superpillen, die die Trance-Schuppen Corks mit verheißungsvollen Kicks fluten sollten, geht verloren. Wer hat das Geschäft verraten? Von nun an zählt Ryan zu den Verdächtigen, und es ist nicht klar, ob Dans Vertrauen in seinen Ziehsohn noch lange anhalten wird.

Blutwunder ist kein klassischer Kriminalroman, trotz der vielen spannenden Twists, zum Beispiel diesen magischen und unerwarteten Verbindungen der Charaktere miteinander. Immer weniger scheint Ryan der zentrale Knotenpunkt im Netz der Handelnden zu sein; eher wirkt er bald wie eine Fliege, gefangen in einem Netz, das andere gewoben haben, und in dem mehr als eine Person ein doppeltes Spiel spielt. Da hilft es auch nicht, dass Dans Konkurrent Jimmy Phelan plötzlich auch noch ein Hühnchen mit Ryan zu rupfen hat. Natürlich würde auch Phelan gerne die Wunderpillen in seine Finger bekommen. Lässt sich Ryan vielleicht auf einen Deal mit ihm ein?

Kopf abschrauben, bitte

Dicht dran an Ryans Seelenleben bleibt die Erzählstimme, die seine Gedanken in einen hypnotischen Sprachflow übersetzt und bisweilen in amüsant-schiefe Bilder: „Er will einfach nur schlafen – sich den Kopf abschrauben, ihn ins Regal stellen und ein Handtuch drüberlegen.“

Blutwunder ist der zweite Roman Lisa McInerneys, Jahrgang 1981, die ihre Schreibkarriere als Bloggerin begann und bereits für ihren ersten Roman mehrfach ausgezeichnet wurde. Werner Löcher-Lawrence, unter anderem Übersetzer von Autoren wie Nathan Englander und Hilary Mantel, verdankt der Roman im Deutschen eben jenen oben genannten Flow, der seinerseits an Ryans Trance-Kompositionen erinnert. Trance, das sind hypnotische Klangteppiche, auf denen Körper bei 130 Schlägen pro Minute, bisweilen unter dem Einfluss von Pillen und Plättchen, dahintanzen. Lisa McInerney wiederum beherrscht die ganze Klaviatur der Gefühlssprache, das sind schnelle Dialoge, Bewusstseinsströme, innere Monologe.

Aber was ist nun das eigentliche Blutwunder dieses Romans? Ein Blutwunder kennt man von Hostien und Reliquien; es ist die Wiederverflüssigung des Blutes der Heiligen und Märtyrer. Auch Neapel ist der Ort eines Blutwunders. Das des Januarius, dem übrigens Nietzsche ein ganzes Buch seiner Fröhlichen Wissenschaft widmete. Auch Ryan wird bluten müssen, aber Gott sei Dank bleibt ihm am Ende die Rolle des Märtyrers erspart. Zwischen die Fronten der Drogenbosse Corks geraten, ist es eine gehörige Portion Glück, die seinen Kragen rettet, ein veritables Wunder.

Blutwunder Lisa McInerney Werner Löcher-Lawrence (Übers.), Liebeskind 2019, 336 S., 22 €

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

Marlen Hobrack

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