Wegen Islamismus-Kritik: Literaturfestival in Karatschi cancelt Ronya Othmann

Meinung Die deutsche Autorin Ronya Othmann war auf ein Literaturfestival in Pakistan eingeladen und wurde dann wieder ausgeladen. Den neuesten Fall globaler Cancel Culture und was das Ganze mit dem Gaza-Krieg zu tun hat, erklärt unsere Autorin
Ausgabe 08/2024
Die Autorin Ronya Othmann wurde für ihre Verurteilung der Strategie der Hamas vom Literaturfestival in Karatschi ausgeladen
Die Autorin Ronya Othmann wurde für ihre Verurteilung der Strategie der Hamas vom Literaturfestival in Karatschi ausgeladen

Foto: Beliban Stolberg

Es heißt ja, die Feder sei stärker als das Schwert. Das scheint nur mehr der fromme Wunsch derjenigen zu sein, die an die Literatur als ethische Orientierungshilfe glauben. Tatsächlich erweist sich die Tastatur der Social-Media-Krieger, die allenthalben Unterdrückung wittern – nur nicht da, wo sie sich ereignet –, inzwischen als mächtigste Waffe gegen die Feder. Da wird protestiert und gecancelt, bis die Tasten klemmen. Das jüngste Opfer getippter Cancel-Aufrufe ist die deutsche Schriftstellerin und Journalistin Ronya Othmann.

Othmann war vom internationalen Karatschi-Literaturfestival in Pakistan zunächst eingeladen, dann kurz nach ihrer Einreise in Pakistan wieder ausgeladen worden. Othmann hatte aus ihrem Debütroman aus 2020, Die Sommer, in dem sie die Ermordung der Jesiden durch den IS thematisiert, sowie aus Gedichten lesen sollen, doch die Moderatorin des Abends, Claire Chambers von der University of York, weigerte sich, mit „der Zionistin“ Othmann aufzutreten.

In einem Protestbrief pakistanischen Ursprungs, der auf Social Media kursierte, hatte es zuvor geheißen, Othmann sei islamophob. Solch ein Vorwurf grenzt in Pakistan, in dem islamistische Extremisten über erheblichen Einfluss verfügen, an eine Drohung. Othmann musste aus Sicherheitsgründen ihr Hotel wechseln.

Ronya Othmann kritisiert den politischen Islam

Zu lesen war Othmann auch in dieser Zeitung. Wer Othmann kennt, ihre FAZ-Kolumnen liest oder ihr auf Instagram folgt, weiß, dass sie nicht davor zurückschreckt, den politischen Islam zu kritisieren. Othmann schrieb über die gezielte Verfolgung von Jesidinnen durch den IS. Sie berichtete ausführlich über die Massenproteste gegen die Sittenpolizei Irans. Während viele europäische Feministinnen das islamische Kopftuch zum Instrument der Emanzipation verklären, kritisiert Othmann dessen Symbolik scharf.

Auch die Strategie der Hamas im Kontext des Massakers am 7. Oktober in Israel benannte sie klar als das, was sie war: eine dschihadistische Methode, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wobei die Strategie, die Bilder des Mordens online zu verbreiten, die Opfer also ein zweites Mal symbolisch zu vernichten, klar beweist, dass die Täter die öffentliche Meinung auf ihrer Seite sahen. Wer hätte gedacht, dass sie damit richtiglagen!

Scheitern des postkolonialen Denkens

Man könnte meinen, dass eine Position wie Othmanns, die Islamismus verurteilt, konsensfähig sei. Dass das Vergewaltigen von Frauen und Köpfen von Babys gleichermaßen verurteilt werden müsste, ob nun Christ, Jude oder Moslem. Ganz besonders von jenen, die sich zu Antisexismus und Antirassismus bekennen. Weit gefehlt! „Intellektuelle“ weltweit verklärten den Hamas-Terror zum Freiheitskampf eines geknechteten Volkes und folgten dem Narrativ der Terrororganisation, indem sie Palästinenser und Terroristen gleichsetzten.

Othmanns Fall ist ein weiterer Beleg für das Scheitern des postkolonialen Denkens, das nicht über eine dichotome Logik von Gut und Böse, Verfolgern und Verfolgten hinausdenken kann. Wenn jeder Grauton, jede Nuance, jede Komplexität verneint wird, kann selbst die Tochter eines kurdisch-jesidischen Vaters, die sich für die Freiheitsrechte muslimischer Frauen einsetzt, gecancelt und zur Verfolgung für den islamistischen Mob freigegeben werden.

Ob man es nun als Tragik oder Farce begreift: Die Verschwesterung der postkolonialen Freiheitsdenkerinnen (die lautesten Stimmen sind ja tragischerweise weiblich) mit islamistischen Terroristen markiert das Ende der Unschuld der Bewegung. Sie wäre eine moralisch wie intellektuelle Lachnummer – wenn sie nicht so einflussreich wäre.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

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