All das Getaumel

Berlin Art Week An gleich drei Orten stellt die Künstlerin Mona Hatoum in Berlin ihr Werk aus. Es erzählt von der Zerbrechlichkeit des Menschen
Ausgabe 36/2022

Es ist ein langer Tisch. Er ist mit glänzenden Geräten aus Metall bedeckt, es sind häusliche Küchenutensilien. Darunter Schere und Schneebesen, Wasserkocher und Nudelmaschine. Drähte schlängeln sich durch die Installation, die durch Klemmen jedes Utensil miteinander verbinden. Sie leiten elektrische Ströme zu den Objekten, weshalb diese unregelmäßig aufleuchten. Das laute knisternde Geräusch von Elektrizität heult durch den Raum, während der Herzausstecher bedrohlich aufleuchtet. Das Kunstwerk steht hinter einer Barriere, die den Betrachtenden von der potenziell tödlichen Strömung der Elektrizität trennt.

Home aus dem Jahr 1999 gehört zum facettenreichen Œuvre der palästinensisch-britischen Künstlerin Mona Hatoum, dem sich zur Berlin Art Week gleich drei Berliner Ausstellungshäuser widmen: Als Kooperationsprojekt präsentieren der Neue Berliner Kunstverein, das KINDL-Zentrum für zeitgenössische Kunst und das Georg-Kolbe-Museum Schlüsselwerke Hatoums. Gezeigt werden performative Dokumente und Videoarbeiten der 1980er-Jahre, verschiedene Produktionen der letzten Jahrzehnte und neue Werke sowie ortsspezifische Installationen.

Mona Hatoums umfangreiches Werk fragt nach der zerbrechlichen menschlichen Existenz und erforscht die Fremdheit und das Verhältnis des Menschen gegenüber der Welt. Sie entwickelt eine Bildsprache, die das Alltägliche zu Außergewöhnlichem macht: Die Künstlerin verfremdet und verändert Materialien, Karten, Körper und Objekte. In ihren Performances, Zeichnungen, Videos und Installationen lässt sie Betrachtende hinter eine vermeintlich alltägliche und perfekte Fassade der Gegenwart blicken. Mona Hatoum, 1952 in Beirut geboren, lebt und arbeitet in London. Als sie 1975 für einen kurzen Aufenthalt nach London reiste, brach der Bürgerkrieg im Libanon aus und die Rückkehr in die Heimat wurde ihr untersagt.

Gefährlicher Schneebesen

Ihre Arbeit befindet sich, so sagt es die Künstlerin beim Treffen in Berlin, in einem Kippzustand zwischen Humor und Tragödie sowie Heimischem und Bedrohlichkeit. Sie spricht klar und konzentriert darüber, ohne in einen didaktischen Ton zu verfallen. Ihr ist die Mehrdeutigkeit ihres Werkes und der subjektive Blick darauf wichtig. Hatoum verwendet oft vertraute und bekannte Formen, um zunächst Ordnung und Stabilität zu suggerieren und erst bei genauem Hinsehen ein unangenehmes, fast klaustrophobisches Gefühl auszulösen. Ihre Kunst ist über den Körper definiert, egal ob sie sich selbst als Protagonistin in einer Videoperformance zeigt oder den Betrachtenden in ihre räumliche Installation mit einbezieht: sie ist erfahrbar, unmittelbar und oft auch spürbar.

In Home wird das glänzende Küchengerät auf dem Metalltisch, ausgehend von einer häuslichen Assoziation mit der – traditionell weiblich konnotierten – Küche, durch Licht und Sound zu einem monströsen Objekt voller angsteinflößender Utensilien, denen man sich nicht nähern möchte, verändert. Der gängige Schneebesen, erklärt Hatoum, wird so zum Instrument eingesperrten Frusts und lauernder Gewalt. Sie will Fragen nach dem „Zuhause als Hafen“ aufwerfen, nach dem Zuhause-Ankommen und danach, was es bedeutet, ans Zuhause gefesselt, ihm ausgeliefert zu sein. Home erinnert an verdrängte Quälereien und das Eingesperrtsein in Geschlechterrollen.

Die Relevanz ihrer Werke lässt sich ständig neu lesen und übertragen. In der Installation Mobile Home II ist das „Zuhause“ zwischen zwei Polizeibarrieren eingesperrt. Mit dünnen Drahtseilen, die an eine herkömmliche Wäscheleine erinnern, werden Objekte langsam in entgegengesetzte Richtungen hin und her gezogen. Mobile Home II spricht von Deplatziertheit am Ort der Zuflucht, von permanenter Bewegung, vom Reisen, von freiem und unfreiem Willen, von Heimat und Flucht. Der Titel der Arbeit drückt ein ambivalentes Verhältnis zu der sicheren, nährenden Umgebung aus, die das Wort Heimat impliziert.

Das Metaphorische ist typisch für Hatoums Werk. Nutzungsgegenstände werden zu Feinden, der notwendige Strom zur Lebensbedrohung. Kartografie als klare Orientierung wird unlesbar gemacht. Aus dem flachen Papier werden hügelige Landschaften. Sie explodieren aus der Karte heraus oder fallen ineinander, bäumen sich zu einer dreidimensionalen Landschaft auf. Die kartografischen Konstruktionen von 3-D Cities aus den Jahren 2008/09 zeigen Beirut, Kabul und Bagdad. Sie weisen auf den Zyklus von Konstruktion, Zerstörung und Re-Konstruktion an diesen Orten hin. Doch über den konkreten Bezug hinaus geht es ihr darum, beim Betrachten dieser Arbeiten ein generelles Gefühl von Bedrohung zu vermitteln.

Das Gefühl, vor etwas Zerbrechlichem zu stehen, egal wie imposant und groß oder klein und unscheinbar es aussieht, ist zentraler Bestandteil von Hatoums Arbeit. Tectonic, ein neues Werk, ist eine Weltkarte, die in viele gläserne Rechtecke zerteilt ist, die gefährlich prekär auf Glasperlen balancieren und jederzeit verrückt werden oder sich gegenseitig beschädigen könnten. Diese Sensibilität, das Unberücksichtigte und doch sehr Instabile der Welt als Ganzes ist in ihrem Werk sowohl auf den Erdball als auch auf einzelne Städte und Gesellschaften beziehbar. Die Arbeit Beirut (major) zeigt eine Karte der libanesischen Hauptstadt, auf der allerdings nur die Gebäude verzeichnet sind, die von der Explosion im Hafen der Stadt 2020 am stärksten betroffen waren. Deren Umrisse wurden in das Papier eingebrannt. Der Rest der Stadt bleibt auf dem Bildgrund weiß zurück und nur die Markierungen am Rand lassen erahnen, wie groß der Schaden relativ zur Größe der Stadt sein muss. Von Weitem sehen die verbrannten Gebäudeumrisse aus wie Ornamente.

Es ist auch der eigene fragile und prekäre Körper, der verwundbar ist und unter staatlicher Kontrolle steht, der in Hatoums Arbeit eine politische Dimension einnimmt. Die Künstlerin gibt in ihrer Arbeit keine direkten Verweise oder lässt klare Positionierungen zu; ihre Kunst impliziert nur, welche Menschen von politischer Gewalt betroffen sind. Hatoum weist nicht nur auf Unterdrückung hin, sie zeigt auf, wo es zu handeln gilt. Auch dabei spielt sie oft mit Vieldeutigkeiten. Ihre Arbeit Hot Spot, erzählt sie, zeige auf einer käfigartigen Stahlkugel in Neon die Konturen der Kontinente, um über die politischen Unruhen und Kriege der Welt zu informieren, während das Werk zugleich als Hinweis auf die globale Erwärmung gelesen werden kann.

Viel über die eigens entwickelte raumgreifende, kinetische und ortsspezifische Installation, die sie in einer enormen Höhe in das Kesselhaus des KINDL-Zentrums für zeitgenössische Kunst baut, will Mona Hatoum zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht preisgeben. Nur so viel: Die Arbeit besteht aus einer Gitterstruktur aus quadratischen Metallrohren. Hatoum lässt dabei offen, ob die Architekturen als Ruinen übriggeblieben oder kurz vor dem Abbau oder Wiederaufbau stehen. Durch zufällige Bewegungen scheint die riesige Struktur instabil, sie zittert unter ihrem Gewicht, als sei sie kurz vorm Einstürzen. Der Titel All of a quiver lässt sich ins Deutsche etwa mit „alles ein Zittern“ übersetzen und drückt damit die Undurchschaubarkeit und das Prekäre der Welt aus, ihr permanentes Getaumel, ihre Resistenz und Robustheit und gleichzeitig ihr Zusammenbrechen.

In all dem Wirrwarr der Gefühle erschöpft sich die Kunst von Mona Hatoum allerdings nie. In ihren Arbeiten kann man nach sich selbst als Mensch mit einem Platz in der Welt suchen. Diese eigene Wahrnehmung erlaubt es den Werken der Künstlerin, zeitlos und offen zu bleiben. Es ist ein omnipräsenter Kreislauf der Wechselwirkungen zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen, aber zwischen all diesen Gratwanderungen der Extreme finden sich die Worte Hoffnung, Umwälzung, Wiederaufbau und Erneuerung.

Mona Hatoum
Neuer Berliner Kunstverein (n. b. k.) 15. September 2022 bis 13. November 2022

Georg-Kolbe-Museum 15. September 2022 bis 8. Januar 2023

KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst. 18. September 2022 bis 14. Mai 2023

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