Ein offener Brief an @JanJosefLiefers

#AllesDichtMachen Sehr geehrter Herr Liefers, ich wende mich speziell und nur an Sie, da Sie als langjähriger TATORT-Ermittler der bekannteste Vertreter der Aktion #AllesDichtMachen sind.

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Ihre Freitag-Redaktion

Von den 53 so genannten Schauspielstars, die ursprünglich an der Aktion #AllesDichtMachen beteiligt waren – Heike Makkatsch hatte ihren Beitrag gestern als Erste zurück gezogen – kenne ich nur 23. Und als Filmfan, Film-Vielgucker und selbst ernannter Filmkenner und Hobby-Filmkritiker erlaube ich mir das selbstbewusste Urteil, mich gut bis sehr gut auszukennen. Inzwischen zogen zehn Beteiligte Ihre Beiträge zurück – Stand: Tagesschau vom 23.04.2021 um 20:00 Uhr. Wer von sich von der Vereinnahmung durch die Querdenker-Szene und Corona-Leugner, AFD und andere Nazis distanzieren wollte und wem die eigene Karriere und die eigene Einkommenssituation wichtiger waren als die eigene Meinung, kann ich nicht beurteilen; das müssen sie alle für sich selbst entscheiden.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Ironie, die Sie in Ihrem Video von fast 1 ½ Minuten zu beabsichtigen scheinen, kommt leider nicht sehr gut zur Geltung und das überhaupt nur nach zwei- bis dreimaligen Schauen. Das könnte daran liegen, dass Sie ein mittelmäßiger Schauspieler oder Fernsehdarsteller sind. Aber ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten und mir nichts heraus nehmen, was mir nicht zusteht. Schauspieler oder Fernsehdarsteller? Ja, schon Schauspieler. Sie spielen hin und wieder auch in richtigen Kinofilmen mit. Persönlich sind Sie mir fast ausschließlich durch Rollen in Filmen mit und von Til Schweiger, dem Donald Trump der deutschen Filmindustrie in Erinnerung. Wann Sie zuletzt auf der Bühne auftraten und zahlendes Publikum zu einem Theaterbesuch überzeugen konnten, weiß ich nicht genau. Verschiedene Quellen geben verschiedene Daten zwischen den späten 80er Jahren in der DDR (einem Staat mit gleichgeschalteten Medien) und der frühen Nachwendezeit in Hamburg an. Ihre Auftritte in Kinofilmen, in denen Sie ein zahlendes Kinopublikum vor dem Multiplex zum Erleben Ihres Films und Ihrer Rolle bringen müssen, sind doch eher selten. Den Hauptteil Ihrer Rollen spielen Sie und den Großteil Ihres Einkommens durch Gage und Tantiemen erzielen Sie vermutlich mit Fernsehproduktionen. Vom Historien-Mehrteiler über Romantik-Schmonzetten bis zu Krimireihen und Ihrer Dauerrolle als TATORT-Gerichtsmediziner. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber so etwas schaue ich nicht. Ihre Darstellungen in den vereinzelten Kinoproduktionen und die Ausschnitte aus TATORTen und anderen Fernsehproduktionen die ich nur aus Vorschau-Clips kenne, sind meiner Meinung nach alle gleich affektiert gespielt. Vielleicht tue ich Ihnen Unrecht und Sie können und wollen viel mehr, können und dürfen aber nicht mehr zeigen, weil Fernsehfilmredaktionen immer die gleiche Rolle und die gleiche Darstellung von Ihnen sehen wollen; das täte mir sehr leid. TATORTe schaue ich auch nicht – nur die Alten, z.B. mit Schimanski, Kommissar Haverkamp, Stöver oder die Klassiker von Wolfgang Petersen - er wurde übrigens vor einigen Wochen 80. REIFEZEUGNIS mit der jugendlichen Nastassja Kinski – so etwas wird heute nicht mehr gedreht. Wolfgang Petersen und Sie kennen sich ja auch aus VIER GEGEN DIE BANK, wo Sie erneut neben Til Schweiger, dem Donald Trump der deutschen Kinoszene spielten.

Den größten Teil Ihres Einkommens erziehlen Sie also vermutlich aus Gagen und Tantiemen des deutschen Fernsehens, also von Gesellschaften des deutschen Medienbetriebes, den Sie verenfacht formuliert als gleichgeschaltet bezeichnen. Und auch Ihre Gattin dürfte übrigens den größten Teil ihres Einkommens als Kommissarin in einer langjährigen ZDF-Krimireihe erwirtschaften.

Über Ihre Wohn- und Lebensverhältnisse weiß ich nichts. Ob Sie in Berlin in einem Häuschen oder in einer Villa mit Garten und vielleicht mit kleinem Schwimmbecken leben, weiß ich nicht und es geht mich natürlich nichts an. Vermutlich werden Sie mit Ihrer Familie aber nicht unter beengten Verhältnissen in einem schlecht eingerichteten Plattenbau wohnen. Ihnen geht es auf jeden Fall bedeutend besser als zahlreichen Familien mit weniger Einkommen und unatraktiveren Arbeitsbedingungen, die von Ausgangssperren sehr hart betroffen sind denen die sprichwörtliche Decke auf den Kopf fällt, deren Kinder unter der Isolation leiden, die ihn ihrem Arbeitsumfeld nicht bei #COVID-Tests und Impfungen in einer der vordersten Reihen stehen.
Ihnen geht es als Spitzenverdiener im Deutschen Fernsehen bestimmt auch bedeutend besser als unzähligen Beschäftigen vor und hinter den Kulissen zahlreicher Theater- und Kulturbetriebe, die seit über einem Jahr kaum Einkommen haben – wenn überhaupt. Theater, Museen und Kultureinrichtungen wurden bei Erläuterungen von „Lockdown“-Maßnahmen von verschiedenen Pressesprecher*innen der Bundesregierung gelegentlich in einer Aufzählung mit Glücksspielbetrieben und Bordellen genannt. Das ist scharf zu kritisieren und hier hätten Sie sich als Fernsehprominenter aus der ersten Reihe hilfreich positionieren können. Vielleicht gibt es sehenswerte Beiträge dazu von Ihnen und ich kenne sie nur nicht, weil sie von in den Berichten der gleichgeschalteten Medien übergangen wurden; das täte mir leid.
Sie könne solche Videos mit solchen Inhalten verbreiten. Es ist Ihr Recht der freien Meinungsäußerung. Sie müssen sich dann aber auch mit freien Meinungsäußerungnen als Reaktionen darauf konfrontieren lassen.

Und drei Vorwürfe müssen Sie sich gefallen lassen:

1. Sie hätten sich informieren müssen, mit wem Sie sich einlassen.

Der Initiator der Aktion #AllesDichtMachen Bernd K. Wunder machte einige zumindest interpretationsbedürftige Aussagen zum Virus, das nicht schlimmer sei als eine Grippe. Menschen, die bewusst vorsichtig sind und eine Mund-Nase-Maske tragen, nannte er „Mundschutzknappen“. Die Aufmerksamkeit von Querdenker-Szene und Rechten nimmt er immerhin billigend in Kauf. Als Medienunternehmer und Betreiber einer Streamingplattform verdiente er Geld mit der Übertragung des Max-Ophüls-Festivals und wurde dafür von der saarländischen Landesregierung gesponsort. Im übertragenen Sinn profitierte Herr Wunder also finanziell von der Schließung der Kinos und anderen politischen Pandemiemaßnahmen.

2. Sie formulieren keine Verbesserungsvorschläge.

Was hätte Ihrer Meinung nach passieren sollen? Was sollte Ihrer Meinung nach jetzt passieren? Was sollte in Zukunft passieren? Wir erfahren es nicht.
Sollten Schließungen und Kontaktbeschränkungen komplett aufgehoben werden? Soll es bei Apellen bleiben und auf die Vernunft und freiwillige Einsicht von zig Millionen Menschen gesetzt werden? Soll jeder Mensch entscheiden, ob sie / er / es eine Maske trägt oder nicht und möglicherweise zur Verbreitung der Krankheit beitragen? Wir hätten in Deutschland nicht 80.000 Tote sondern 500.00 Tote oder eine Million Tote oder noch mehr Tote. Wir hätten ein noch kaputteres Gesundheitssystem, dessen überarbeitetes Personal sich nicht um alle Erkrankten kümmern könnte – so, wie es letztes Jahr in Italien war, und so, wie es jetzt in Indien ist. Sollten die Menschen, die behandelt und nicht dem sicheren Tod überlassen werden, durch das Los ausgesucht werden oder nach dem Ursachenprinzip, ob und in welchem Umfang sie verantwortungsvoll sind und durch das Unterlassen von Kontaktbeschränkungen selbst zu ihrer Infektion beitragen? Was schlagen Sie vor? Welche Ideen haben Sie zur finanziellen Versorgung von Erkrankten und den Hinterbliebenen von Verstorbenen? Das Entgeltfortgeltzahlungsgesetz §3 sagt aus: „Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.“ Menschen, die es nicht für notwendig halten, sich verantwortungsvoll zu verhalten, wären in gewissem Umfang schuld an der eigenen Infektion und Erkankung; sie hätten demnach keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung und wären ohne Einkommen. Als Folge mehrerer Gesundheitsreformen kaputt gesparte gesetzliche Krankenkassen können nach dem Sozialgesetzbuch und nach eigenen Satzungen jetzt schon die Behandlungskosten beschränken oder sogar verweigern, wenn die Erkrankung fahrlässig oder vorsätzlich verursacht wurde. Die COVID19-Patienten*innen – wenn sie es überleben – und ihre Familien hätten vielleicht Behandlungsrechnungen von mehreren Hunderttausend Euro. Was sind Ihre Ideen dazu, Herr Liefers? In welchem Umfang sollen neben Amts- und Verfassungsgerichten zum Thema „Lockdown“-Maßnahmen und Demonstrationsrecht auch die Sozialgerichte mit der Entgeltfortzahlung und den Behandlungskosten von COVID19-Patienten*innen beschäftigt werden?

3. Sie distanzierten sich nicht von Anfang an von Rechten und Quertreibern.

Sie hätten es nicht bei einem Video von fast 1 ½ Minuten belassen dürfen sondern schon in der Einleitung eine eindeutige Abgrenzung formulieren müssen. Denn dass solche Aussagen von AFD, rechten Aktivisten und der Querdenkerszene instrumantilisiert werden würden, hätte man aus dem Weltall erkennen können. Wer vom Verfassungsschützer a.D. Hans Georg Maaßen, diversen AFD-Abgeordneten und von rechten Aktivisten weiterempfohlen wird, hätte es wissen müssen. Wessen Beiträge vom Revolutionsführer, mutmaßlichen Volksverhetzer und Antisemiten Attila Hildmann empfohlen werden, dessen Anhänger mich vor einem halben Jahr in der U-Bahn als Masken tragenden Volksverräter titulierten, der ins Internierungslager gehöre, hätte es wissen müssen und ist für eine Radikalisierung und Spaltung mitverantwortlich.

Aber vielleicht liegt es insgesamt am Drehbuch. Sie sind möglicherweise keine guten Drehbücher gewohnt. Das ist im deutschen Film ja ein großes Problem.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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