Wenn Deutsches Kino weh tut

Kino + Film Am vorigen Wochenende begab ich mich in die Hölle der deutschen Teenie-Komödie. Ich tat es freiwillig und es bereitete mir fast körperliche Schmerzen.

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Auf meiner Liste der schlechtesten Filme des Jahres 2023 - demnächst hier - sind noch Plätze frei. Auf der Suche wurde ich bei Netflix fündig, wo die späte Fortsetzung oder Neuverfilmung der beiden HARTE-JUNGS-FILME aus den frühen 2000er Jahren läuft. Da praktischerweise auch HARTE JUNGS (2001) und KNALLHARTE JUNGS (2003) dort laufen, quälte ich mich mit einem nicht flotten Dreier. Es muss nicht unbedingt ein Film von und/oder mit Til Schweiger sein, um eine filmische Nahtoderfahrung zu erleben.

2001: HARTE JUNGS

von Marc Rothemund, mit Tobias Schenke, Axel Stein, Luise Helm, Mina Tander, Björn Kirschniok, Nicky Kantor, Tom Lass, Sissi Perlinger, Stefan Jürgens, Andrea Sawatzky

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Die Grundidee ist sehr originell. Ein pubertierender 15jähriger wacht am Morgen mit einer Erektion auf und sein Penis spricht mit ihm und fordert ihn auf, ein Mädchen zum Sexualverkehr zu finden. Seine Kommentare bringen ihn in Familie, Schule und bei romantischen Ambitionen in peinliche Situationen. Das Mädchen Luise aus der Nachbarschaft und Florian "Flo" kennen sich seit ihrer frühesten Kindheit und sie ist in ihn verliebt. Flo dagegen ist scharf auf Leonie. Kumpel Rudolf (Red Bull) unterstützt ihn mit mehr oder weniger schlechten Ideen und möchte ihn sogar als Freier im Bordell unterbringen.
Die originelle Idee nach einem Roman von Alberto Moravia wurde schlecht umgesetzt und gespielt und ist für alle Filmfiguren entwürdigend und für das Publikum qualvoll. Nur Luise Helm als Florian´s Kumpelin Lisa konnte ihre schauspielerische und charakterliche Würde bewahren.

2003: KNALLHARTE JUNGS

von Granz Henman, mit Tobias Schenke, Axel Stein, Diana Amft, Rebecca Mosselmann, Carmen-Maja Antoni, Tom Lass, Nicky Kantor, Petra Zieser und Axel Milberg

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Die Geschichte wird fortgesetzt und es geht noch schlimmer, noch peinlicher und noch entwürdigender weiter. Auch bei Rudolf "Red Bull" beginnt der Penis, mit ihm zu sprechen. Die Eltern und die einzige sympathische Figur aus HARTE JUNGS Lisa sind komplett aus der Handlung verschwunden und werden nicht mehr erwähnt. Florian "Flo" baggert sich an die hübsche Maha (Diana Amft) heran und lässt sich dazu als Betreuer der Großmutter einstellen. Die Oma hat nicht nur ein Alkohol- und Verdauungsproblem sondern ist Demenz-krank und sexsüchtig. Oma belästigt Florian und bekommt vom Alkoholgenuss je nach Dosis furzende Blähungen oder Durchfall. Wir und Florian sehen, wie die Oma trotz Durchfalls ein verstopftes Klo verursacht und ihr bei der Beseitigung und Reinigung des Durchfalls der eigene Kot ins Gesicht spritzt. Es ist abstoßend und entwürdigend.
Rudolf "Red Bull" ist scharf auf die süßen Mädels vom Mädchen-Hockey-Team und verkleidet sich selbst als als seine eigene Schwester, um mitzuspielen. Bei diversen Party-Gelegenheiten und beim Schwimmen fliegt er fast auf.
Das da kann ich nur in Teilen von 20 bis 30 minuten ertragen und schreie zwischendrin vor Verzweifelung, bevor ich unterbrechen muss.

Bei allen beiden Machwerken fällt sehr unangenehm auf, dass die Gefühlrsregung der Jugendlichen nicht mit filmischen, audio-visuellen Mitteln erzählt werden sondern durch eingesprochene Monologe. Wir sehen und hören bebilderte Hörspiele. Drehbuchautoren und Regisseure sind entweder zu unfähig oder zu faul, um mit einigermaßen anspruchsvollen Methoden der Filmsprache zu erzählen.

Es ist kaum zu glauben und nicht zu verstehen, wie sich der deutsche Erfolgsproduzent Bernd Eichinger (1949 - 2011) nach respektablen Produktionen und Welterfolgen wie CHRISTIANE F. - WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO, DIE UNENDLICHE GESCHICHTE, DER NAME DER ROSE, WERNER BEINHART und - naja - MANTA MANTA mit Til Schweiger dazu entscheiden konnte, diese beiden filmischen Körperverletzungen zu produzieren.

Was Tom Cruise (TOP GUN) und Til Schweier (MANTA MANTA) können, trauen sich die Deutschen dann auch zu und produzieren eine späte Fortsetzung. Immerhin läuft

2023: HAMMERHARTE JUNGS

nur auf Netflix und es wird keine Kinoleinwand damit kontaminiert.

Von Granz Helman, mit diversen Jungdarstellern*innen, deren Namen zu suchen, ich mir nicht die Mühe mache, sowie Axel Stein und Diana Amft

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In dieser sehr späten Neuverfilmung der früheren Filme ist die einzige originelle Idee, dass nicht nur der Penis mit dem Jungen spricht sondern auch die Vagina mit dem Mädchen. Die Jugendlichen sind älter; sie ist mindestens 18 und fährt Auto. Negativ fällt dabei auf, dass die Darstellerin der Jugendlichen bereits 27 und der Darsteller des "Jungen" 26 ist. Bei der Besetzung wird sorgfältig auf ethnische Vielfalt gesetzt. Beim unsympathischen Schülerinnen-Trio, das sie mobbt, sind eine Latina und eine Asiatin. Neu sind seit 2003 Mobiltelefone, Internet und andere technische Möglichkeiten, ohne aus negativen Folgen solcher Techniken und Netzwerke ein bestimmendes Handlungselement zu machen. Mädchen und Junge versuchen eine Intimrasur und eine Taschenmuschi, eine Gummi-Vagina-Atrappe, wird zweckentfremdet. Unerträglich.
Axel Stein (Red Bull in HARTE JUNGS und KNALLHARTE JUNGS) spielt seinen Vater und Diana Amft (KNALLHARTE JUNGS) spielt ihre Mutter. Bezüge zu den früheren Rollen gibt es nicht.
HAMMERHARTE JUNGS ist eine echte Qual, die ich mir in mehreren Teilen zwischen 20 und 30 Minuten antun musste - na ja, ich musste gar nicht - und absolut unerträglich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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