Man könnte institutionskritisch eine 60-jährige Geschichte über ein Residenzprogramm erzählen, das 1963 von der US-amerikanischen Ford Foundation für internationale, als Stipendiat*innen nach West-Berlin eingeladene Künstler*innen gegründet, später mit Mitteln des Auswärtigen Amtes und des Berliner Senats fortgeführt wurde und bis heute jährlich rund 20 meist renommierte Akteur*innen diverser künstlerischer Sparten für jeweils ein Jahr in die inzwischen wiedervereinte Stadt bringt. So unterschiedliche Künstler*innen wie Dorothy Iannone, Endre Tót oder Emmett Williams blieben dabei in Berlin oder kamen wieder und prägten so auch das Kulturleben der Stadt nach ihrem Residenzaufenthalt.
Oder man könnte die Ges
te die Geschichte einer Frau erzählen, die innerhalb dieses Programms – dem Berliner Künstlerprogramm (BKP) des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) – engagiert und offensichtlich mit ruhiger Hand über Jahrzehnte mit dafür sorgte, dass das BKP die Akzeptanz und Relevanz erhielt, die es bis heute hat.Das Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt If the Berlin Wind Blows My Flag. Kunst und Internationalisierung vor dem Mauerfall, das derzeit als Kooperation von vier Berliner Kunstinstitutionen gezeigt wird, macht beides gleichzeitig. Kuratiert wurde sie von Melanie Roumiguière, seit 2019 Leiterin der Sparte Bildende Künste beim BKP, und der Kunsthistorikerin Nóra Lukács. Für ihr Vorhaben, die Geschichte des Künstlerprogramms von seinen Anfängen bis 1989 kritisch aufzuarbeiten, sezierten sie erstmals dessen mittlerweile teildigitalisiertes Archiv. Die nun gezeigten, meist mit Schreibmaschine verfassten Dokumente (vor allem Originale mit Korrespondenzen, künstlerischen Projektvorschlägen und so weiter) prägen, neben ausgewählten mit dem BKP und seinen Gästen verbundenen künstlerischen Arbeiten, den Charakter der groß angelegten Schau.Intime Einblicke in die Abläufe im BKPWie ein Subtext tauchen dabei immer wieder Dokumente von Barbara Richter auf. Als eine der seinerzeit wenigen Frauen im Team der BKP betreute Richter seit 1969 die Sparte Literatur, später auch die Sparte Film, bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2003, sechs Jahre vor ihrem Tod. Richters Korrespondenzen drücken dabei „echte Wertschätzung in Verbindung mit Fürsorge für die Gäste“ aus – so zumindest sieht es Sonya Schönberger. Sie ist eine der in Berlin lebenden Künstler*innen, die das BKP-Archiv und die gezeigten historischen Werke aus aktueller Perspektive kommentieren. Anhand von Dokumenten aus Richters Nachlass und dem BKP-Archiv versucht Schönbergers Installation Barbara in der daadgalerie eine Annäherung an eine Person und deren Wirken innerhalb einer Institution, das unter anderen Umständen bei Jubiläen wie diesem oft ungenannt, ungeschrieben bleibt: „Wie entsteht ein Lebenswerk, ohne dass es offiziell anerkannt wird?“, fragt Schönbergers Arbeit. Details aus Fotos mit Richter sind hier vergrößert, ein Entwurf ihrer (leicht bitteren) Abschiedsrede zu sehen, Korrespondenzen zu Hunderten in Päckchen geordnet, ein kleines temporäres Denkmal.Dass Richters Rolle im BKP in der Ausstellungskonzeption so subtil hervorstechen kann, liegt auch daran, in welchem Licht sich manche männlichen Zeitgenossen vor der kritischen Institutionsgeschichte verantworten müssen. Gezeigt wird etwa ein Brief, den der damalige Direktor der Nationalgalerie, das ehemalige SA- und NSDAP-Mitglied Werner Haftmann, als Mitglied der Auswahlkommission des BKP, im April 1970 dem damaligen Leiter des BKP, Peter Nestler schrieb. Wie er darin den isländischen Künstler Erró als zukünftigen Stipendiaten anpreist, erhält eine besondere Note durch Haftmanns Verweis, er trüge sich insbesondere mit dem Gedanken, Errós (keinesfalls faschistisches) Gemälde Die Geburt Hitlers für die Nationalgalerie zu erwerben – was dann auch geschah. Der Satz in Haftmanns Schreiben, „Ich persönlich würde mich sehr freuen, wenn es sich einrichten ließe, Erró hier für eine Weile in Berlin zu haben“, liest sich vor diesem Hintergrund jedenfalls als Bestandteil einer Politik des Whitewashing.Überhaupt wirkt die Ausstellung dort mit am stärksten, wo kulturpolitische, nicht zuletzt den programmatischen Intentionen von Westbindung und Internationalisierung West-Berlins im Kalten Krieg geschuldete Konfliktlinien zutage treten: In den Räumen des n.b.k. geht es etwa um den erstmaligen Stipendiatinnenaufenthalt einer Sowjetbürgerin – der lettischen „kritischen Realistin“ Maija Tabaka –, die inoffiziellen Kontakte des BKP zu Jürgen Schweinebradens Ost-Berliner EP-Galerie, aber auch die künstlerische Thematisierung migrantischen Lebens in West-Berlin.Dass die mit hohem Alter immer bekannter werdende Agnes Denes, anders als früher vom DAAD behauptet, ihr Stipendium aufgrund nicht zu klärender organisatorischer Punkte überhaupt nicht antrat, war für die Kuratorinnen der Anlass, ihr in der Galerie am Körnerpark nun als Teil des Projekts ihre erste Einzelausstellung in Deutschland seit 1978 zu vermitteln. Für If the Berlin Wind Blows My Flag ist das ein Glücksfall, wird der historische Horizont der Ausstellung, die auch eine oft beklemmend düster wirkende Nachkriegsstadt dokumentiert, durch Denes’ 4.000 Jahre in die Zukunft weisende ökopolitische Konzepte doch licht aufgerissen.Placeholder infobox-1