Saudi-Arabien: Am Fajfa-Berg ist das Verhältnis zu den Huthi im Jemen eher entspannt
Reportage Im Grenzgebiet zum Jemen gibt es Kontrollpunkte der Armee Saudi-Arabiens, doch die halten kaum jemanden an. Für den pakistanischen Taxifahrer in der Provinz Dschāzān jedoch ist das Thema Huthi verpönt, aus Angst vor dem Geheimdienst GIP
Wirkt wie eine sich in den Himmel hineinrankende Oase: der Fajfa-Berg in Saudi-Arabien an der Grenze zum Jemen
Foto: Michael Runkel/picture alliance/robertharding
Da nun auch die Europäische Union eine Militärmission gegen den Beschuss von Schifffahrtsrouten im Roten Meer durch die jemenitischen Huthi plant, fliege ich spontan zur jemenitischen Grenze. Ich wähle die zweitkleinste Provinz Saudi-Arabiens, es geht nach Dschāzān. Sie ist dicht bevölkert und entspricht so gar nicht unserer Vorstellung von der mittelöstlichen Wüste. Diese Gegend im Südwesten der Arabischen Halbinsel wird im Französischen „l’Arabie heureuse“ genannt, das glückliche Arabien, weil es „mehr Regen, mehr Grün, mehr Jemen“ gibt. Doch der Jemen verzichtete 1934, nach einem verlorenen Krieg gegen die aufstrebende Dynastie der Saud, im Abkommen von Taif auf Dschāzān.
Mich zieht dort b
astie der Saud, im Abkommen von Taif auf Dschāzān.Mich zieht dort besonders der Fajfa-Berg an, der auf Fotos aussieht wie eine sich über Hunderte steile Terrassen in den Himmel hineinrankende Oase. Auch das fruchtbare Hochland nebenan im Jemen ist für arabische Verhältnisse dicht bevölkert. Es wird größtenteils von den zaiditischen, mit dem schiitischen Iran verbündeten Huthi beherrscht. Im März 2015 – da übte er gerade einmal zwei Monate das Amt des „jüngsten Verteidigungsministers der Welt“ aus – trat der heutige Kronprinz Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman, als Anführer einer sunnitischen Koalition einen vorwiegend aus der Luft geführten Krieg gegen die Huthi los.Was zunächst „Operation Decisive Storm“ hieß, dann „Restoring Hope“ genannt wurde und irgendwann keinen Namen mehr hatte, blieb bis auf schmale saudische Sicherheitsstreifen im jemenitischen Grenzgebiet, deren Ausdehnung marginal ist, weitgehend erfolglos. Es gab mindestens 250.000 Tote, für den Jemen eine humanitäre Katastrophe. Doch konnten die Huthi in diesen acht Jahren des Krieges bestehen. Im November 2015 eroberten sie kurzfristig sogar Grenzstädte in der saudischen Grenzprovinz Asir. Ihre Macht im Jemen blieb stabil, wurde teilweise sogar ausgebaut. Sie verstehen sich als „Ansar Allah“ – als Gefolgsleute Allahs – und verorten sich augenblicklich in einer „Achse des Widerstands“ zugunsten der Palästinenser im Gazastreifen und darüber hinaus.Waffenruhe mit den HuthiWährend des Luftkriegs der von Riad geführten Allianz rückten auch Männer am Fajfa-Berg zu bewaffneten nächtlichen Patrouillen aus. In letzter Zeit hingegen bleibt es ruhig, die saudische Luftabwehr scheint im Ruhemodus zu sein, vor allem aber setzt der Kronprinz auf Verhandlungen und einen Waffenstillstand, der sich bisher – allen regionalen Spannungen zum Trotz – als belastbar erweist.Ich lande spät am Abend in Dschāzān. Die glanzlose kleine Großstadt liegt in der Tihama, der schwülheißen Küstenebene am Roten Meer. Auch Ende Januar ist das Rote Meer noch 28 Grad warm und die Luft tagsüber 30 bis 34 Grad heiß. Selbst im Winter erledigen die Einheimischen alles per Auto und Online-Bestellung. Als ich mir bei schon recht angenehmen Nachttemperaturen bei einem der zahlreichen Schnellrestaurants zu Fuß ein Schawarma holen will, werde ich angeglotzt wie ein Außerirdischer. Dabei erweisen sich die Huthi umgehend als Tabuthema. Schon die Miene des pakistanischen Flughafen-Taxlers verdüstert sich: „Bitte nehmen Sie dieses Wort hier nicht in den Mund! Alle saudischen Taxifahrer berichten an den GIP.“ GIP, das ist der saudische Geheimdienst.Er und seine Tante haben Englische Literatur auf Lehramt in Riad studiertAn der Rezeption meines abgeranzten Hotels lerne ich einen schicken selbstbewussten Saudi vom Fajfa-Berg kennen. Der nach meiner Schätzung etwa 30-Jährige trägt wie fast alle Saudis in der Provinz eine dieser luftigen, knöchellangen, langärmeligen Roben in strahlendem Weiß, die gleich nebenan in der Reinigung sauber gemacht wurde, dazu beige Sandalen und eine darauf abgestimmte beige Mütze. Er hat soeben nahe Riad ein Lehramtsstudium in englischer Literatur absolviert, zusammen mit seiner Tante, und ist für eine weiterführende Prüfung nach Dschāzān gekommen, zusammen mit seiner Tante. Er besteht darauf, mich zu meinem Schawarma zu fahren, im Kleinwagen seiner Tante, der er soeben eine üppige Mahlzeit aus einem anderen Lokal aufs Zimmer gebracht hat.Amdsched hängt vollkommen von seinem Smartphone ab, sogar für die strunzeinfache Rückfahrt konsultiert er es. Er bedauert, dass Billighotels wie unseres verschwinden würden, Dschāzān werde bald zum Tourismus-Hotspot. „In zwei Jahren sieht hier alles anders aus.“ Ich frage ihn nach seinem englischen Lieblingsdichter. Er nennt Shakespeare, sodass ich ihn bitte, mir irgendeinen Vers von Shakespeare aufzusagen. Mir fällt 35 Jahre nach meinem letzten Englisch-Unterricht noch „My mistress’ eyes are nothing like the sun“ ein, dem frischen Absolventen der englischen Literatur nichts. Amdscheds Tante bekomme ich indes nie zu Gesicht, als Trägerin des Nikab vermeidet sie das Verlassen von Innenräumen. Ich bin allerdings sicher, ein Literaturdiskurs mit ihr wäre ergiebiger gewesen.Amdscheds Familie hat auf ihrer Terrasse am Fajfa-Berg „sechs Mango-Bäume, die Mangos essen wir selber“. Besonders den Kaffee vom Fajfa preist er als den „köstlichsten der Welt“. Er warnt mich lachend: „Mit dem Mietwagen auf den Fajfa hinauf? Da haben Sie aber ein schönes Abenteuer vor sich!“ Er sagt das nicht wegen der Nähe zum Jemen – „Wir sperren oft nicht einmal unsere Autos ab“ –, sondern wegen der uneinsehbaren Steilkurven: „Da kommt Ihnen gern einmal ein Laster auf Ihrer Straßenseite entgegen.“Ich esse am Fuß des Berges zu Abend, bei einem von Europa träumenden AfghanenAm Nachmittag des nächsten Tages fahre ich los. Die Küstenebene ist nicht vollkommen kahl, es gibt gelbe, hüfthohe Gräser. Es wird dunkel, als das kaum mehr als 200 Quadratkilometer große Gebirge plötzlich vor mir steht. Von der Ebene aus betrachtet, nimmt es sich wie eine einzige gestapelte, saftig grüne Pyramide aus. Auch dank der zusätzlichen grünen Straßenlampen tritt die hinaufführende Serpentinenstraße plastisch hervor. Es gibt mehrere Kontrollpunkte der saudischen Armee, die auffällig dunkelhäutigen Soldaten halten aber, wie es scheint, kaum jemanden länger an.Ich esse am Fuß des Berges zu Abend, bei einem von Europa träumenden Afghanen. Es gibt einen Brotofen von der Art eines weißen Höhlengrabs, man isst auf einem großen Teppich lagernd. Neben mir drei Kerle, die dunkler gekleidet sind als die Saudis, mit turbanartig gebundenen Kopftüchern. Sie sind Jemeniten, aus der Nähe der Huthi-Bastion Saada. Sie arbeiten seit zwei Jahren in Saudi-Arabien und behaupten, sie dürften die Grenze problemlos passieren. Derartiges behaupten viele in der Provinz Dschāzān, Handel mit dem Jemen findet im Übrigen eindeutig statt. Als ich die drei nach den Huthi zu Hause frage, kichern sie am ganzen Leib und brechen langsam auf, was immer das zu bedeuten hat.Beim dritten Mal als Minderjähriger am Steuer erwischt zu werden, kostet eine ruinöse StrafeMir fallen zahlreiche Jungs von etwa zwölf Jahren auf, barfuß und mit breitem Ledergürtel. Sie setzen sich ans Steuer von Toyota-Hilux-Pritschenwagen und brausen unbegleitet davon. Noch am Abend fahre ich ein Stück weiter hinauf. Vor einer Kurve, die mir eher senkrecht als waagerecht erscheint, drehe ich lieber um. Ich finde einen kleinen futuristischen Glas-Shop, vor dem ehrwürdige Alte und gelangweilte Burschen sitzen. Unter ihnen ist der Besitzer von 100 Kamelen, die er selbst mit seinen fünf Söhnen melkt: „Das ist keine Arbeit für Frauen“, Kamele seien zu unberechenbar.Frauen sehe ich am Fajfa-Berg nur aus der Ferne, drei schwarze Pinguine auf dem Rücksitz einer in den Serpentinen verreckten Limousine. Am Shop sitzt auch ein bildschöner Schüler aus der Abiturklasse der nahen Fajfa-Schule, der mir erklärt, dass die Polizei unten in der Ebene hohe Strafen für Minderjährige am Steuer verhängt: beim ersten Mal wenig, beim zweiten Mal umgerechnet 250 Euro, beim dritten Mal eine ruinöse Summe. Am Fajfa-Berg werde jedoch nie jemand gestraft.Ich schlafe am Fuß des Berges im Mietwagen. Besser gesagt: Ich will schlafen. Schon nach wenigen Minuten Dampfsauna stellen sich kleine, nicht allzu aggressive, aber uneinholbar schnelle Stechmücken ein.Placeholder image-1Am nächsten Morgen fahre ich ganz hinauf auf den Fajfa. An den hohen betonierten Leitplanken turnen Hunderte von Pavianen herum, putzen sich gegenseitig den Pelz, strecken mir ihre roten Ärsche entgegen und stoßen entsetzliche Schreie aus. Die Steilkurven sind noch uneinsehbarer als erwartet. Einige Fajfaner überholen auch dort. Ich halte unzählige Male, so unglaublich wirkt das Gesehene. Alles ist andersrum als in Europa: Je höher man kommt, desto üppiger wird die Vegetation und desto urbaner die Gegend, und statt eines sich lichtenden Frühnebels ist der Morgen klar. Fensterlose Rundtürme, sehr alte aus Stein und auch ganz neue aus Beton. Die Luft ist endlich nicht mehr schwül, sondern angenehm.Die Landwirtschaft auf den schmalen Terrassen macht einen vernachlässigten Eindruck, Importe aus armen Billigländern wie dem Jemen sind wohl praktischer. Auch hier oben stößt man auf Massen männlicher Gastarbeiter. In einer Garage über dem Abgrund bearbeiten ein Sudanese und ein Pakistani Metalltüren. In einem Rohbau hat jemand zu tun, der aus dem ziemlich nahen Hochland Eritreas stammt. Eine weiße Wolke steigt auf. Noch bin ich schneller.Knapp unterhalb des Gipfels setze ich mich im sechsten Stock des Hotels „Faifa“, ins Aussichtscafé. Der Bangladescher Barista zieht sich in seiner voll verglasten Kabine Mundschutz und Einweghandschuhe über. Crêpes gibt es keine, „there is problem – no man“ – die Stelle des Crêpebäckers sei unbesetzt. Über den Geschmack des Fajfa-Kaffees, den er mir angeblich zubereitet, kann ich kein Urteil fällen – er wird von Milchschaum erschlagen. Der Jemen, das ist ein sanfter, langgezogener Bergkamm und erschreckend nahe. Dort drüben muss es ähnlich sein, ähnlich wunderschön. Nach kurzer Zeit hüllt mich die weiße Wolke ein. Ich bin im Himmel, und es wird kalt.
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