Saudi-Arabien: Skifahren ist Fußball-Profis verboten

Europa Transit Staatsfonds kaufen seit ihrem Ein­stieg in sau­dische Spit­zenklubs die Ligen der Welt leer. Bisher sind jedoch nur maximal acht Ausländer bei einem Verein erlaubt, doch das kann sich ändern
Ausgabe 01/2024
Ezgjan „Gianni“ Alioski ist nordmazedonischer Nationalspieler mit schweizerdeutschem Akzent
Ezgjan „Gianni“ Alioski ist nordmazedonischer Nationalspieler mit schweizerdeutschem Akzent

Foto: Georgi Licovski / picture alliance / EPA

Wer heute über europäischen Fußball schreiben will, muss nach Saudi-Arabien. Und wer statt Cristiano Ronaldo mit 126 Millionen Euro Jahresgage einen siebensprachigen Mustereuropäer kennenlernen will, der muss nach Dschidda. Ein türkischstämmiger Saudi, der vor 50 Jahren für Al-Ahli Dschidda gespielt hat, schwärmt mir in einer Sesambäckerei vor: „Die Fans lieben Alioski. Wir wollen alle, dass er spielt.“ Der Fußweg von meiner springflohfröhlichen Unterkunft zum Hotel-Wolkenkratzer „Shangri-La“ dauert eine Dreiviertelstunde, ich muss dafür bloß über eine übergangslose 16-spurige Stadtautobahn sprinten, die bei 33 Grad Lufttemperatur abgeriegelten Strände beweinen und eine weitere Dreiviertelstunde den Bauzaun der neuen Formel-1-Strecke umwandern.

In Mazedonien geborener Albaner aus der Schweiz

Ezgjan „Gianni“ Alioski (31) ist ein in Mazedonien geborener Albaner, der als Kind in die Schweiz kam und mit 16 erstmals für die nordmazedonische Nationalmannschaft spielte. Der unverstellte Blonde mit dem gemütlichen schweizerdeutschen Akzent kommt mir in dieser ungastlichen Fremde so vertraut vor, dass ich ihn instinktiv duze. Er sagt ganz normale Dinge, etwa dass die von den Saudis an manche Fußballer gezahlten Summen „ungesund“ seien. Seine Balkone im 14. Stock sind geschätzt 30 Meter lang, den Espresso macchiato macht er mir selbst, während auf einem Ohrensessel sein weißes muslimisches Pilgergewand liegt. „Etwas Emotionales“, erklärt er, „denn das ist das Land unseres Propheten – unser Zuhause.“

Er brauche nur eine Stunde nach Mekka, seinen Haddsch habe er noch nicht gemacht, kleine Pilgerfahrten indes schon mehrmals. Auf die blöde Standardfrage hin, wo er sich heimisch fühle, nennt er sein Elternhaus im Schweizer Dorf Flamatt und sagt: „In der Schweiz habe ich mir alles aufgebaut.“ Ihm fehlen die Schweizer Jahreszeiten und das Skifahren, das ihm als Fußballprofi verboten ist.

„Gianni“ meint, er sei unpolitisch, und quittiert meine Bemerkung über Albaner-Quoten in nordmazedonischen Behörden mit helvetischer Unterkühltheit. Sprachen hat er auf wundersamen Wegen gelernt: Französisch in der Schule seines zweisprachigen Kantons Freiburg, Italienisch beim FC Lugano und Spanisch eigens für den Argentinier Marcelo Bielsa bei Leeds United. Zu den Gehältern schließlich meint er: Seine Spielklasse bekomme in Europa 800.000 bis eine Million Euro pro Jahr. „Hier bekommst du das Drei- bis Vierfache, wenn nicht das Acht- bis Zehnfache.“ Er kam schon 2021 zu Al-Ahli Dschidda, also bevor der saudische Staatsfonds durch seinen Einstieg in saudische Spitzenclubs die Ligen der Welt leerzukaufen begann. Er war „überrascht, wie sie hier den Fußball lieben“ und dass er auf der Straße angesprochen werde.

Nur dass er nicht spielen darf! Im Sommer, nach seiner einjährigen Ausleihe zu Fenerbahçe Istanbul, bestritt der Abwehrspieler in Dschidda fünf Spiele, dann aber kaufte Al-Ahli weitere Ausländer, als achten den Spanier Gabri Veiga (21). Bis Januar darf „Gianni“ zwar mittrainieren, aber nicht spielen. Im saudischen Fußball gilt die Regel, dass zu einem Kader nur maximal acht Ausländer gehören dürfen. „Gianni“ ist der neunte. Der schwäbische, frisch von Red Bull Salzburg weggekaufte Trainer wolle ihn „unbedingt“ einsetzen, müsse jedoch auf die für 2024 erhoffte Erhöhung des Ausländerlimits warten. „Sie werden nicht einen Spieler für 20 Millionen kaufen und dann nicht einsetzen.“

Der Blick vom Balkon: Dschidda und das Rote Meer

Von seinen Balkonen sieht „Gianni“ das Rote Meer, die Vier-Millionen-Stadt Dschidda, den Flughafen mit dem eigenen Haddsch-Terminal, vielleicht auch einen Hauch von Mekka, doch er leidet in seiner Suite. „Es wurde uns nie kommuniziert, dass wir eventuell gehen müssen.“ Dennoch will er „für Al-Ahli weiterspielen“ und ist „diesem Land wie diesem Club dankbar“. Die Uhr tickt, ein halbes Jahr Rumsitzen ist für einen Profi auf der Höhe seines Könnens Irrsinn. Ich beneide ihn nicht, als ich aus seinem goldenen Käfig zu meinen Flöhen zurücklaufe.

Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über faszinierende Orte inner- und außerhalb Europas.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden