US-Angriffe auf Huthis im Jemen: Unberechenbare zweite Front
Luftschläge Die Huthi sehen es als ihre moralische Pflicht, mit den Palästinensern in Gaza solidarisch zu sein. Sie betrachten sich als Teil der „Achse des Widerstandes“, die sich durch die angloamerikanischen Militäraktionen bestätigt fühlt
In der „Achse des Widerstands“ wird zu Palästina gehalten
Foto: Mohammed Hamoud / picture alliance / Anadolu
Als Joe Biden den Befehl zu Luftangriffen auf Huthi-Ziele im Jemen gab, handelte er gegen eines der Hauptziele seiner Nahostpolitik: keinen regionalen Krieg. Hatte er wirklich keine Wahl? In Washington heißt es, Diplomatie, informelle Kanäle und Drohungen hätten es nicht vermocht, die unerbittlichen Huthi-Angriffe auf Schiffe im Roten Meer und Golf von Aden zu stoppen, die aus Solidarität mit den Palästinensern unternommen wurden. Dadurch waren Containerschiffe gezwungen, um Afrika herumzufahren, was Transportkosten in die Höhe trieb und Erfolge der Biden-Regierung gegen die Inflation bedrohte, ausgerechnet zu Beginn des US-Wahlkampfes. Seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober und der heftigen israelischen Reaktion gegen Gaza hat das Weiße Haus hart daran ge
gearbeitet, den Konflikt einzudämmen, indem die Israelis beispielsweise gedrängt wurden, keinen Präventivschlag gegen die Hisbollah im Libanon zu führen. Das hat vorerst gewirkt – aber eine Eskalation im Roten Meer zu verhindern, erweist sich als schwieriger.Es gibt zwar seit dem 18. Dezember mit „Prosperity Guardian“ eine multinationale Marinekoalition, der es seither gelungen sein soll, fast alle Drohnen und Raketen abzufangen, die Huthi-Einheiten auf Tanker gelenkt haben. Aber jeder Angriffsversuch kostet die USA Millionen Dollar, um sich gegen Waffen zu verteidigen, die nur einen Bruchteil dessen wert sind. Es reicht ein Huthi-Projektil, um diesen Schutzschild zu durchdringen und eine schwere Havarie auszulösen. Am 13. Dezember etwa verfehlten Huthi-Raketen nur knapp einen Tanker mit einer riesigen Ladung Kerosin.Die Huthi-Angriffe werden waghalsigerZuletzt wurden die Aktionen immer mutiger. Am Silvesterabend starteten die Huthi einen gewagten Angriff und rasten in vier kleinen Booten dem Containerschiff „Maersk Hangzhou“ entgegen. US-Hubschrauber griffen ein, versenkten drei davon und töteten die Besatzungen. Erstmals hatte es einen direkten Kampf zwischen US-Militärs und Huthi gegeben.Am nächsten Tag berief Biden sein nationales Sicherheitsteam ein, um Optionen zu besprechen. Zunächst wollte man sich auf eine Konsensbildung im UN-Sicherheitsrat konzentrieren, was zu einer Resolution führte, die das Recht auf freie Schifffahrt bekräftigte und die Huthi-Angriffe verurteilte. Biden wollte, dass „Prosperity Guardian“ vorangetrieben wird und detaillierte Vorbereitungen für eine offensive Reaktion beginnen. Es blieb unausgesprochen, aber stand außer Frage, dass damit Angriffe auf Ziele im Jemen gemeint waren.Schließlich holten die Huthi am 9. Januar mit drei Raketen und bis zu 20 Drohnen zur bislang massivsten Operation gegen Handelsschiffe und die von den USA geführten Seestreitkräfte aus. Als die abgewehrt war, berief der US-Präsident erneut sein Sicherheitsteam ein und hörte sich an, wie eine kollektive Reaktion aussehen könne. Verteidigungsminister Lloyd Austin nahm über eine Video-Schalte vom Walter Reed Military Medical Center, wo er gerade behandelt wurde, an diesem Meeting teil. Am Ende gab Biden grünes Licht für Angriffe, die 48 Stunden später beginnen sollten. Pentagon und Weißes Haus lehnten danach Angaben zu abgefeuerten Luft- und Seeraketen wie getroffenen Zielen ab, doch schienen die Militärschläge am oberen Limit der erwogenen Varianten zu liegen.Saudi-Arabien scheiterte im Jemen im Kampf gegen die Huthi„Hier geht es darum, eine Botschaft zu senden, aber ich denke, die entscheidende Frage ist: Wenn die Botschaft nicht ankommt, was ist dann der nächste Schritt, für den sich die USA und Großbritannien entscheiden? Bombardieren sie einfach mehr Ziele und wenn ja, wie lange?“ – fragt Gregory Johnsen, Wissenschaftler am Arab Gulf States Institute in Washington. Regierungsbeamte beteuern, wenn sich die Huthi auch nicht abschrecken ließen, könnten zumindest ihre Fähigkeiten beeinträchtigt werden. Man könne Raketendepots und Kommandozentralen zerstören. Johnsen weist darauf hin, dass es die Huthi gewohnt seien, unter schwerem Bombardement zu leben und zu kämpfen. Sie montieren ihre Raketen unter der Erde und stationieren Streitkräfte in zivilen Gebieten. „Saudi-Arabien flog gegen den Jemen jahrelang Luftangriffe und konnte die Huthi nicht in die Knie zwingen“, so Johnsen.Analysten argumentieren, die jetzigen Schläge würden die Huthi paradoxerweise stärken und ihr Profil in der mutmaßlich von Iran geführten „Achse des Widerstands“ und einem existenziellen Kampf mit Israel wie dem Westen schärfen. „Die Huthi warten seit 20 Jahren verzweifelt darauf, sich mit Amerika und Israel auseinanderzusetzen. Seit dem 7. Oktober haben sie 45.000 Kämpfer für den Heiligen Dschihad rekrutiert“, sagt Nadwa Dawsari vom Middle East Institute in Washington. Jetzt würden die USA und Großbritannien dafür sorgen, dass sich ihr Traum erfüllt.Die Huthi haben mit ihrer Widerstandsfähigkeit immer wieder überrascht. Als sich die Saudis 2015 in den jemenitischen Bürgerkrieg stürzten, glauben sie, in ein paar Wochen durch zu sein. Neun Jahre später achten sie verzweifelt darauf, dass dieser Konflikt nicht wieder auflebt, der für Riad zur Peinlichkeit wurde.Die größte Sorge besteht freilich darin, dass die USA, Großbritannien und ihre Alliierten mit den derzeitigen Angriffen einer direkten Konfrontation mit Iran näherkommen. „Iran war operativ an diesen Angriffen beteiligt“, erklärt ein hochrangiger Beamter der US-Regierung. „Sie haben den Huthi Geheimdienstinformationen und die Fähigkeiten zur Verfügung gestellt, die sie für diese Angriffe genutzt haben.“ Er gehe davon aus, dass die US-Regierung zunächst am ökonomischen Druck und an der Isolation festhalte, wie sie seit Jahren gegen Iran üblich seien. Allerdings erfordere jeder Versuch, die Bedrohung der Schifffahrt im Roten Meer einzudämmen, auch aggressive Maßnahmen. Die Huthi sollten daran gehindert werden, Waffenvorräte aufzufüllen, was wiederum bedeute, notfalls Schiffe aus Iran zu stoppen.
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