US-Militärschläge gegen die Huthi: Gaza-Krieg weitet sich auf den Jemen aus
Naher Osten Seit Wochen wird gewarnt, dass es zu einem nicht mehr einzuhegenden Krieg im Nahen Osten kommt. Die amerikanischen und britischen Militärschläge sind da nur der nächste Schritt
Es mag ein kleines Detail sein, aber es erzählt eine große und aufschlussreiche Geschichte: Die US-Regierung hat erst im März 2023 einen Botschafter in Kairo ernannt. Ein Indiz dafür, dass Präsident Joe Biden nach Amtsantritt im Januar 2021 seinem außenpolitischen Stab Anweisung gegeben hat, „den Nahen Osten von meinem Schreibtisch fernzuhalten“.
Es bestand die Vorstellung, der „Arabische Fall“ sei weitgehend abgeschlossen. „Im Nahen Osten ist es heute ruhiger als seit Jahrzehnten“, meinte der Nationale Sicherheitsberater, Jake Sullivan, in einer schicksalhaften Rede nur eine Woche vor dem Hamas-Angriff am 7. Oktober.
Der Plan bestand darin, eine Normalisierung zwischen arabischen Staaten und Israel zu fördern und dadurch
ke Sullivan, in einer schicksalhaften Rede nur eine Woche vor dem Hamas-Angriff am 7. Oktober.Der Plan bestand darin, eine Normalisierung zwischen arabischen Staaten und Israel zu fördern und dadurch den Iran zu isolieren und zu zähmen. Wie der Gelehrte Edward Said es einmal ausdrückte: „Es ist durchaus üblich, hohe Beamte in Washington und anderswo davon sprechen zu hören, die Karte des Nahen Ostens zu verändern, als ob alte Gesellschaften und Völker wie Erdnüsse in einem Glas herumgeschüttelt werden könnten.“Die gesamte arabische Welt wird in den Krieg verwickeltGenau dieses Ansinnen ist fehlgeschlagen. Die Anschläge vom 7. Oktober brachten den Nahen Osten wieder auf Bidens Schreibtisch. Die Region besteht nicht aus vielen Erdnüssen in einem Glas. Wieder einmal zeigt sich, arabische Länder haben die Angewohnheit, sich auf eine Weise zu verhalten, die eher von innenpolitischem Kalkül und regionalen Ambitionen als durch außenpolitische Prioritäten des Westens bestimmt wird. Das Ergebnis ist, dass sehr viele politische Akteure kolossal falsch lagen.Innerhalb weniger Wochen wurden der Nahe Osten wie die gesamte arabische Welt in einen Krieg verwickelt, ohne dass dem durch geeignete Maßnahmen der USA wie anderer Verbündeter Israels begegnet wurde. Man hätte auf ein Einstellen der Feindseligkeiten in Gaza drängen müssen, um ein Abkühlen der Region zu erzwingen.Nun also eine nächste Stufe der Eskalation. Die USA und Großbritannien greifen die Huthi direkt im Jemen an – als Reaktion auf deren Attacken gegen Handelsschiffe im Roten Meer, heißt es aus dem Weißen Haus. Es sei an der Zeit, dies nicht länger zu tolerieren. Ein Hinweis darauf, dass sich derartige Militärschläge wiederholen könnten, zumal nicht damit zu rechnen ist, dass sich die Huthi so schnell einschüchtern lassen. Es besteht die Möglichkeit, dass erneut der jemenitische Hafen von Hudaida angegriffen oder blockiert wird. 230 Kilometer von der Hauptstadt Sanaa entfernt, wird über dessen Kais ein Großteil der Hilfslieferungen abgewickelt, die eine vom Bürgerkrieg gezeichnete Bevölkerung braucht.Ein Umdenken der USA ist unwahrscheinlichDass die USA eine weitere Regionalisierung des Gazakrieges nicht aufzuhalten vermögen, gründet auf einem Eckpfeiler ihrer Nahost-Politik. Danach ist Israel nach wie vor ihr wichtigster Sicherheitspartner in der Region, sodass ein Überdenken von Unterstützung, vor allem Waffenhilfe, nicht in Betracht kommt.Israel sei „ein Lichtblick in einer schwierigen Nachbarschaft“, postete die republikanische Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley vergangene Woche. „Es war noch nie so, dass Israel Amerika brauchte. Es war schon immer so, dass Amerika Israel braucht.“Die Kosten dieser Logik sind hoch und eskalationsträchtig. Entsprechend wird viel geredet von einem größeren Krieg, aber die Wahrheit ist, dass ein solcher Krieg bereits stattfindet. Mittlerweile hat er sich auf den Libanon, den Jemen, den Iran, das Rote Meer und das Arabische Meer ausgeweitet. Seit Wochen kommt es entlang der Grenze des Südlibanon mit Israel zum Schlagabtausch zwischen Israel und der Hisbollah. Im November gab es israelische Luftangriffe auf den Flughafen von Damaskus, der daraufhin außer Betrieb war. Anfang Januar wurden bei einem Drohnenangriff im Herzen von Beirut ein Hamas-Führer und sechs weitere Personen ermordet, wodurch sich der Kriegsschauplatz von den Hisbollah-Hochburgen im Süden des Landes in die Hauptstadt verlagerte.Huthi-Angriffe im Roten Meer beeinträchtigen den internationalen HandelAus dem Jemen heraus haben Huthi-Milizen aus Protest gegen die Bombardierung des Gazastreifens Schiffe attackiert und beschlagnahmt, von denen die Angreifer behaupten, sie hielten Kurs auf Israel. Jede Form der Eskalation zeitigt eine Reihe von Auswirkungen. Huthi-Angriffe im Roten Meer haben den Handelsverkehr nach Nordamerika und Europa auf den dortigen Wasserstraßen erheblich beeinträchtigt, was auch negative Folgen für Ägypten hat, das Einnahmen aus den Suezkanal-Passagen dringend benötigte. Ansonsten gerät inmitten einer anhaltenden Finanzkrise die Stabilität des Landes in Gefahr.Die Lage im Roten Meer bedingt gegenwärtig weltweit steigende Handelskosten und Versicherungsprämien sowie eine Überlastung von Lieferkette auf einem Weltrohstoffmarkt, der bereits durch den Krieg in der Ukraine schwer in Unruhe geraten ist. Dies führt bereits zu verstärkten militärischen Aktivitäten in der Region - letzte Woche versenkten Hubschrauber der US-Marine Boote der Houthi, die sie beschossen hatten. Ein koordinierteres Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten, die durch die Beschießung von Houthi-Stützpunkten im Jemen bereits ein deutliches Zeichen der Waffenruhe gesetzt haben, birgt die Gefahr einer Destabilisierung des wertvollen Waffenstillstands im Land und erhöht die Möglichkeit offener Zusammenstöße mit dem Iran, der die Entsendung von Kriegsschiffen ins Rote Meer angekündigt hat.Gruppen wie der IS leben von Instabilität im Nahen OstenSicher muss nicht erwartet werden, dass Teheran oder andere Länder Israel offen den Krieg erklären – das wäre Selbstmord. Aber darin liegen ein falscher Trost wie eine verborgene Bedrohung. Böswillige nichtstaatliche Akteure, Stellvertreter und politische Instabilität können den Frieden fast ebenso effektiv zerstören. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum tödlichsten Anschlag im Iran seit der Revolution von 1979. Der Zeitpunkt des Angriffs Anfang Januar lässt darauf schließen, dass eine besiegte Gruppe die politische Volatilität des Augenblicks ausnutzt, um sich relevant zu machen. Der IS sei „ein bisschen wie der Joker“, sagte Aaron Y Zelin, Senior Fellow am Washington Institute for Near East Policy. „Sie wollen die Welt brennen sehen. Es ist ihnen egal, wie es geschieht, solange es ihnen nur nützt.“Möglicherweise wird ihr Wunsch erfüllt. Gruppen wie der IS leben von der Instabilität in Ländern mit schwacher Souveränität. Auf der anderen Seite des Roten Meeres in Ostafrika befindet sich der Sudan mitten in einem chaotischen Krieg, in dem derzeit zwei Regime um die Kontrolle ringen, während ein Großteil des Landes nicht regiert wird und seine Grenzen niemand kontrolliert. Der libanesische Außenminister spricht offen über die Unfähigkeit, die Hisbollah einzudämmen, und sagte der BBC, seine Regierung könne ihr nur „einprägen, dass sie nicht selbst reagieren sollte. Wir sagen es ihnen nicht, wir sprechen darüber mit ihnen“.In der gesamten Region gibt es eine Konstante: die Fähigkeit Irans, Stellvertreter effektiv zu finanzieren und einzusetzen, eine Möglichkeit, die durch die historische Rolle der USA bei der Stärkung des Landes durch den Irak-Krieg 2003.Die Fehleinschätzung der USAAber die Risiken sind noch größer. In diesem Machtvakuum und diesen Stellvertretergruppierungen ist die Wirkung der Szenen aus Gaza und dem Westjordanland enorm. Arabische Satellitensender berichten laufend mit forensischer Akribie über die Verwüstung. Al Jazeera Arabic übertrug die Beerdigung und die letzten Ölungen des ermordeten politischen Führers der Hamas, genau wie inländische arabische Sender traditionell die wöchentlichen Freitagsgebete aus Mekka zeigen.Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge leben im Libanon, in Syrien und Jordanien, und der öffentliche Diskurs in der gesamten Region – am Esstisch, im Kaffeehaus bis hin zur Zeitungsberichterstattung wird vom Krieg in Gaza und den Ereignissen in der Westbank dominiert. Wie schon im Iran, droht der Terrorismus dieses aufgeheizte Klima auszunutzen.Sollte es zu solchen Ereignissen kommen, werden sie zweifellos aus dem Kontext und der Geschichte gerissen, als Resultat einer extremen religiösen Ideologie, des chronischen Blutrausches der Araber oder Muslime und als weiterer Beweis für eine „schwierige Nachbarschaft“, die es zu kontrollieren gilt, dargestellt. Die Realität ist, dass der Status quo, von dem die USA und Israel hofften, dass er sich in eine breitere arabische „Integration“ und Normalisierung mit Israel, eine Eindämmung des Iran und den langsamen, stillen Tod der palästinensischen Sache verwandeln würde, immer auf der Grundlage gesichert war, dass niemand plötzliche Bewegungen macht, ein Gefühl von Stolz und Paranoia darüber auslöst, wer die Macht tatsächlich in den Händen hält.Dann schlug die Hamas zu, und was folgte, waren die Aktionen einer israelischen Regierung, die sich nicht wie eine stabilisierende Kraft in der Region verhält, sondern wie eine die Situation verschärfende. Solange die USA und andere westliche Verbündete dieser Tatsache nicht ins Auge sehen, sei es aus Trägheit oder aus Furcht vor innenpolitischen Rückschlägen, werden alle, auch Israel, einen hohen Preis für einen Krieg zahlen, der längst über eine vertretbare Selbstverteidigung hinausgeht und bald zu einer globalen Bedrohung werden könnte.
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