Die ersten Reflexe einen Tag nach dem Terroranschlag in Kerman waren verlässlich und vorhersehbar. Während der Gedenkfeier für Qasem Soleimani, den vor vier Jahren von einer US-Drohne in Bagdad getöteten General der iranischen Revolutionsgarden, waren dabei über hundert Menschen gestorben. Präsident Ebrahim Raisi hat Israel für die Tat verantwortlich gemacht und Vergeltung angekündigt. Nicht sofort, sondern irgendwann und gut vorbereitet.
Das Szenario eines Mehr-Fronten-Krieges gegen die Hisbollah und den Iran
Man kann das als verbale Kraftmeierei eines Hardliners abtun, die darauf zielt, innenpolitisch zu punkten und zugleich Teherans Verbündeten, die libanesische Hisbollah, von unüberlegten Reaktionen abzuhalten. Tatsächlich hat die ir
8;chlich hat die iranische Führung kein Interesse, aktiv in den Gaza-Krieg hineingezogen zu werden. Dazu ist die politische Situation im eigenen Land zu fragil. Eine Konfrontation mit Israel könnte am Ende das Schicksal der Islamischen Republik besiegeln. Auch die Hisbollah würde durch eine Eskalation die eigene Existenz aufs Spiel setzen. Angesichts der verheerenden israelischen Kriegsführung in Gaza sowie der täglichen Bilder massiver Zerstörungen und Tausender ziviler Opfer geraten jedoch beide Führungen unter massiven Handlungsdruck. Wenn der sich entlädt, droht in der Nahostregion ein Flächenbrand. Wer sollte den wollen?Es gibt Hardliner in der politischen und militärischen Führung Israels, die davon überzeugt sind, dass einer existenziellen Bedrohung des eigenen Staates durch den Iran am Ende mit militärischer Gewalt begegnet werden muss. Damit gemeint ist sowohl die Zerstörung iranischer Atomanlagen als auch das Ausschalten der von Teheran aufgerüsteten Milizen in der Region. Allerdings wäre der Schritt vom Ziel einer vollständigen Vernichtung der Hamas in Gaza hin zu einem israelischen Mehr-Fronten-Krieg gegen die Hisbollah und Teheran ohne politische und besonders militärische Unterstützung der USA nicht denkbar.Joe Bidens DilemmaDie Biden-Administration ist derzeit eher darum bemüht, mäßigend auf Netanjahus Kriegskabinett einzuwirken. Das führt zu Konflikten zwischen Washington und Jerusalem, die zuweilen den Eindruck hinterlassen, als würden sie für die amerikanische Öffentlichkeit dramaturgisch aufgewertet. Je länger jedoch das Töten und die Zerstörungen in Gaza andauern und je näher der amerikanische Wahlkampf rückt, desto weniger wird Joe Biden Netanjahu gewähren lassen können, ohne wichtige Wählerstimmen im linken demokratischen Lager zu verlieren. Jedes von den USA mitgetragene Eskalationsszenario bräuchte daher einen unzweifelhaften Aggressor – sei es die Hisbollah oder gar Teheran selbst.Terroranschläge wie der von Kerman bergen die Gefahr, einer solchen Entwicklung Vorschub zu leisten. Ob sie deshalb von israelischer Seite initiiert oder befördert werden, bleibt pure Spekulation. Israel hat in der Vergangenheit Menschen und Anlagen im Iran angegriffen und vernichtet. Dabei handelte es sich freilich stets um ausgesuchte Ziele, die dem Nuklearprogramm zugeordnet wurden. Anschläge wie der auf die Trauernden in Kerman – so betonen Experten – ließen keine israelische Handschrift erkennen.Die Gewalttaten der Volksmudschaheddin Anfang der 1980er JahreEin Blick in die Geschichte der Islamischen Republik verrät, dass es für diese Art Terror auch andere Kandidaten gibt. In den frühen 1980er-Jahren waren es die heute bedeutungslosen Volksmudschaheddin, die mit Gewalttaten auf sich aufmerksam machten. Ihnen fielen führende Köpfe der jungen Theokratie zum Opfer; darunter zwei enge Vertraute des damaligen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini – sein einstiger Statthalter im Iran, Ayatollah Motahari, und sein späterer Stellvertreter und Chefideologe Ayatollah Beheshti. Der heutige Revolutionsführer, Ayatollah Ali Khamenei, verlor bei einem Anschlag im Juni 1981 die Fähigkeit, seinen rechten Arm zu gebrauchen. Im gleichen Jahr starben der damalige Premier Mohammad Bahonar und Präsident Mohammad-Ali Rajai bei einer Bombenexplosion in dessen Büro.Obwohl die säkularen Volksmudschaheddin diese Anschläge für sich reklamierten, halten sich bis heute hartnäckige Gerüchte, die auf einen innerklerikalen Machtkampf verweisen. In den späteren Jahren taten sich eher sunnitische und ethnische Widerstandsgruppen arabischer und kurdischer Provenienz hervor. Ab 2017 dann avancierte der Islamische Staat (IS) zu einem relevanten Akteur im Iran, der sich auch jetzt zur Tat in Kerman bekannt hat. Ob das zutrifft oder pure Trittbrettfahrerei ist, bleibt unklar. Der IS hätte natürlich Grund genug, sich an Soleimani post mortem zu rächen und Irans schiitische Theokratie zu destabilisieren.Quasem Soleimani war ein Geschöpf der Islamischen RevolutionEs ist für die Islamische Republik eine bemerkenswerte Tatsache, dass es die klerikale Elite bis heute ungeachtet aller internen Differenzen vermocht hat, eine solche Erschütterung ihrer Herrschaft zu verhindern, ungeachtet des Krieges mit dem Irak zwischen 1980 und 1988, internationaler Isolation und verhängter Sanktionen, periodisch aufflammender Massenproteste und diverser Anschläge. Die iranische Theokratie hat sich als erstaunlich flexibel erwiesen. General Soleimani verkörperte als Auslandschef der Revolutionsgarden diese Wandlungsfähigkeit auf geradezu prototypische Weise. Das Attentat auf ihn vor vier Jahren in Bagdad und die Trauer um ihn, wie sie vor Tagen in Kerman offenbar wurde, haben durchaus symbolischen Charakter.Quasem Soleimani war ein Geschöpf der Islamischen Revolution. Er kam aus einer armen Bauernfamilie in der Provinz Kerman und damit aus jener Schicht Entrechteter, die mit ihrem egalitären Anspruch der Revolution zum Sieg über das Schah-Regime verhalfen und bis heute die wichtigste soziale Basis des Regimes bilden, weil sie alimentiert werden oder – wie Soleimani – Aufstiegschancen nutzen. Soleimani trat im Alter von 23 Jahren den Revolutionsgarden bei, stieg während des Iran-Irak-Krieges innerhalb von zwei Jahren zum Brigadegeneral auf und befehligte ab 1998 die Auslandssektion der Revolutionsgarden. Als solcher hat er den von Ayatollah Khomeini geforderten Export der (mit schiitischem Makel behafteten) Islamischen Revolution quasi nationalisiert und von einem religiösen Minderheitsprojekt in ein Konzept iranischer Machtpolitik überführt. Dieses stützt sich auf die schiitische Bevölkerung in den mehrheitlich arabisch-sunnitischen Regionen und nutzt den palästinensisch-israelischen Konflikt als gemeinsame Projektionsfläche.Größter Trauerzug seit 1989Soleimani hat sich dabei als agiler Realpolitiker gezeigt, der Teherans regionale Interessen auch im Auf und Ab mit dem „großen Satan“ in Washington umzusetzen bereit war. Er unterstütze die 1997 gebildete, gegen die Taliban gerichtete Nordallianz in Afghanistan und bot nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den USA eine Kooperation im Anti-Terror-Kampf an. Als deren Präsident George W. Bush den Iran 2002 zum Teil einer „Achse des Bösen“ erklärte, hatte sich das erledigt. Und doch fand sich Soleimani ab 2014 vorübergehend erneut an der Seite Washingtons. Diesmal im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) im Irak. In Syrien hatte er ab 2011 Anteil am Beistand für Baschar al-Assad, festigte dessen Herrschaft wie Abhängigkeit von Teheran und trug 2017 entscheidend dazu bei, den IS auch hier zurückzudrängen, indem er gegen US-Widerstand eine militärische Allianz zwischen Moskau und Damaskus schmieden half.Die Präsenz machtvoller pro-iranischer und schiitischer Akteure im Irak, Libanon, Jemen, in den Golfstaaten und in Syrien als langer Arm Teherans in der Region ist Soleimanis Werk. Und sein Erbe. Er war ein perfekter Virtuose der Macht. Sein Begräbnis vor vier Jahren hat Millionen Menschen in Teheran auf die Straße gebracht. Es war der größte Trauerzug seit der Beerdigung des Revolutionsführers und Republikgründers Ayatollah Khomeini 1989. Dies hat Bilder produziert, die den Toten als Symbol einer Islamischen Revolution präsentierten, die weiterhin lebt. Es waren Bilder. Und es war Propaganda. Wer immer die Bomben in Kerman gezündet hat, wollte diese Bilder des Regimes zerstören und ein Signal senden, indem unschuldige Menschen getötet wurden. Was geschah, kann eine Region in Brand setzen.