Wo laufen sie denn?

Nostalgie Am Abend sang Jan Plewka die Songs von Rio Reiser, am nächsten Morgen fuhren Pferdedroschken durch Prenzlauer Berg. Ist das jetzt noch Berlin, und welches eigentlich?

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Amüsiert euch ruhig. Bei mir hört da der Spaß auf!
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Foto: Florian Seefried/ AFP/ Getty Images

Ich mag Pferde, wirklich. Bin sogar schon mal auf einem durch die Steppe der Mongolei geritten, das war gut, menschenleer, nur Murmeltiere in den Felsen und Yaks, die Milch brachten.

Dann sah ich sie auf Hiddensee, vor vielen Jahren. Sie zogen missmutig einen Wagen hinter sich her, voll besetzt mit Rentnern, oder kleinen Kindern. Sie machten eine Rundfahrt auf dieser Insel, auf der bis dahin nur Fahrräder fuhren, und wenig Touristen.

Jetzt kamen sie in Kremsern. Das machte dort noch irgendwie Sinn.

Pferde bei Thierse

Am vergangenen Samstag spazierte ich mit meinem ausländischen Besuch durch Prenzlauer Berg, wir kamen am Wasserturm vorbei, und konnten den Markt am Kollwitzplatz umgehen, man muss da ja nicht unbedingt durch. An der Ecke, an der normalerweise Wolfgang Thierse einbiegt, wenn er vom Bäcker die Schrippen nachhause trägt, trabten plötzlich Pferde, mit seltsam langen Zotteln.

Und einem Wagen mit Leuten, die Wolfgang Thierse wahrscheinlich nicht verstanden hätte. Kremserrundfahrt durch den ehemaligen Arbeiterbezirk, und das jetzige Bionade-Bohème-Quartier!

"Wie in Wien?", sagte mein Besuch, und klang irritiert. Da stehen die Droschkenfahrer am Stephansdom, man kann sich ein bisschen fühlen wie in der K.u.K.-Ära.

Ans Brandenburger gehören die Kutschen vielleicht sogar hin. Aber nach Prenzlauer Berg? Konditorei, ok, Biosocken, ok, von mir aus auch Wecken statt Schrippen. Nur bitte keinen Ponyhof.

In Berlin stehen sie jetzt manchmal am Pariser Platz, in der Nähe soll bald das Kaiser-Schloss wiederauferstehen, irgendwoher soll sie dann kommen, diese Sehnsucht nach Wilhelm und Preußen, als könnte man East Side Gallery und Palast der Republik einfach so vergessen.

Am Abend zuvor hatte Jan Plewka die Songs von Rio Reiser gesungen, im Kesselhaus der Kulturbrauerei hatten die Leute ihre Hände zu Fäusten geballt. Allein machen sie dich ein, schmeißen sie dich raus... Meinem Besuch und mir kam auch das ein bisschen nostalgisch vor.

Andererseits, wenn das WIR jetzt eine Gemeinschaft meint, die am Samstagnachmittag in einem Pferdewagen mit angeklebter LPG-Werbung an Ständen vorbeizieht, die warmen Sanddorn-Saft und Olivenöl aus Griechenland verkaufen, während Berliner Behörden sich darum streiten, ob man den Pferden nicht Pferdewindeln, so genannte „Pooh Bags“ anlegen sollte - dann lieber allein. Oder mit Rio.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

Maxi Leinkauf

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