Komm, Krebs, mein Geliebter

Kino Andrè Erkaus Romanadaption „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ oder die Frage, was ein deutscher Unterhaltungsfilm sein könnte und an welche Gefühle er appelliert
Ausgabe 16/2013

Christine Schorn musste schon einmal Krebs haben im Kino – 1982, in Lothar Warnekes Film Die Beunruhigung. Schorn spielte eine Eheberaterin in ihren Dreißigern, mit einem Sohn und einem Geliebten, gelangweilt von den Problemen ihrer Klienten, hedonistisch, unverbindlich. Bis sie beim Arzt erfährt, dass etwas ist in ihrem Körper, was etwas sein könnte, das weitere Untersuchungen folgen müssen, ein Eingriff womöglich. So macht der Film Entwicklung: Es ist am Abend des einen Tages, an dem der Film spielt, vieles anders, als es am Morgen schien.

Jetzt hat Christine Schorn wieder Krebs in André Erkaus Film Das Leben ist nichts für Feiglinge. Mittlerweile ist sie die Oma, kurz vor ihren Siebzigern, da kommt der Tod nicht mehr so überraschend. Schon deshalb hat die Diagnose nicht die Wucht von damals: Es ist danach nicht alles anders. Im Gegenteil, es wird am Ende alles gut gewesen sein, so wie es war.

Interessant ist die Verbindung beider Filme nicht allein durch die Filmografie der Christine Schorn, die in den letzten Jahren immer dort gespielt hat, wo eine Großmutter gebraucht wurde im deutschen Kino: großzügig, gutmütig, bisschen verrückt.

Blockbuster in Schwarzweiß

Interessant ist der Zusammenhang beider Produktionen, wenn man sich einen Begriff davon machen will, was das deutsche Kino ist. Wie würde man, von heute aus betrachtet, zu Die Beunruhigung sagen? Vermutlich Filmkunst, Arthouse, weil ein ernstes Thema in Schwarzweiß erzählt wird, dazu in dieser DDR, die das Anschauen noch mal zu erschweren scheint mit Fragen nach Ideologie. Und vermutlich liegt man damit falsch.

4,3 Millionen Zuschauer haben Die Beunruhigung einst gesehen, wenn auch unter anderen medialen und ökonomischen Bedingungen als heute: Man muss sich den Film als Unterhaltung vorstellen, wie sie heute durchaus noch funktionieren könnte (und wie sie selbst als eine Art Remake von Agnès Vardas Cleo de 5 à 7 von 1961 funktioniert). Was einem anachronistisch daran scheinen mag, ist der Ernst, mit dem Warneke die Krise erzählt. Solche ambivalenten Gefühle ließen sich heute wohl nur noch in Filmen wie Andreas Dresens Halt auf freier Strecke darstellen; und schon da wäre eine leichtere Desillusionierung keine Option.

Umarmung zur Versöhnung

In Das Leben für Feiglinge tritt an die Stelle des Ernstes eine konsequente Süßsäuerlichkeit, die im Weinen immer auch das Lachen sucht und im Tod der geliebten Person die Freude am eigenen Weiterleben findet. Das muss man nicht einmal negativ meinen; es ist erst einmal nur so: Der Tod der Ehefrau und Mutter Färber lässt zwischen Vater Markus (Wotan Wike Möhring) und Tochter Kim (Helene Woigk) eine Entfremdung hervortreten, die so gravierend aber nicht ist, dass sie durch Tochters Pubertieren allein nicht hätte erklärt werden können.

Versöhnung, deren Bild die innige Umarmung ist, wird schließlich verbrieft durch den Tod der Oma: An deren Grab tritt Kim, die den Film als stachelige Lisbeth-Salander-Gruftie begonnen hatte, dann als reverbürgerlichte junge Frau, die sich die Schminke dissidenter Stile abgewaschen hat. Der Nachteil der Süßsäuerlichkeit von Das Leben ist nichts für Feiglinge ist die grundsätzliche Abgeschlossenheit gegenüber Gegenwart: An Wirklichkeitsresten findet sich ein wenig Bio-Lebensmittelwitz und eine modernere Männlichkeit, die Gefühle von Trauer zulassen kann. Was Erkau basierend auf dem Buch von Gernot Gricksch allerdings gelingt, ist die handwerkliche Durchformung einer solchen Geschichte mit großen Bildern (Kamera: Ngo The Chau) und gepflegter Inneneinrichtung (Szenenbild: Iris Trescher), so dass er Film gekonnt mit Emotionen kokettiert, in deren Tiefe er sich aber nie begeben will.

Was das heißt, kann man in Marc Rothemunds vor drei Wochen gestartem Unterhaltungsfilm Heute bin ich blond sehen, der über das Stadium einer Materialsammlung für die Geschichte, die er sein könnte, nicht hinaus ist. Zeitdiagnostisch von Belang ist allein, dass es auch hier um Krebs geht (und Umarmung ubiquitär ist). Die Krankheit als Stoff für deutsches Mainstreamkino – das könnte zumindest ein wenig beunruhigend sein.


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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

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